Piaggio Carnaby
|
|
|
Mir wurde eine Bürde auferlegt,
deren Gewicht mir erst nach und nach bewusst wird.
Vor Jahren durfte
ich den ersten Rollertest durchführen und es sollte nicht der letzte
gewesen sein. Vielmehr sollte sich die Welt der kleinhubraumigen
Automatikfahrzeuge unfreiwillig zu der meinen entwickeln. Jetzt heisst es
nur noch: Roller? Macht der kot. Auch für den Piaggio Carnaby 125 war
der Testfahrer schnell gefunden. Ab nach Wien und die Kiste durch den
Freitagsverkehr getrieben.
|
Für einen Motorradtest entfernt man sich für gewöhnlich möglichst weit
von jeglicher Zivilisation und Verkehr und hat so viel Platz, um
ungestört zu fahren, das Motorrad ans Limit zu treiben und zu stürzen.
Das geht deshalb, weil es primär um Leistung und Performance des
Motorrads an sich geht, und die Möglichkeit eines Einsatzes im täglichen
Leben zweitrangig ist. Bei Rollern ist das anders. Sie müssen das hohe
Ende der Alltagstauglichkeit darstellen, sozusagen die Referenz. Mit
ihnen muss man dorthin, wo es weh tut. In die Grossstadt am Wochenende.
Die Fragen, die gestellt werden sind "Wie gut komm ich von der Ampel
weg, wird mich die Blechlawine hinter mir überrollen?", "Komm ich
zwischen den zwei LKWs durch oder bleib ich stecken?", oder "Lieg ich
beim ersten Schlagloch sofort auf der Papp'n?" Jetzt dürfte klar sein,
wieso diese Testsmir übertragen werden.
15 PS und 16 Zoll
Ich sah dem ganzen dennoch positiv entgegen. Der 125er 4-Takt Motor
leistet immerhin 15 PS. Wesentlicher sind aber die 16" Räder, die
dafür sorgen, dass sich der Roller Spurrillen und Fahrbahnunebenheiten gegenüber
relativ unbeeindruckt zeigt. Zudem liegt man viel besser in der Kurve
und fühlt sich schon fast wie auf einem Motorrad. Ist zwar nicht mehr ganz so wendig, fährt
sich aber wesentlich entspannter und einfacher als auf den üblichen
Reifen im Honeynut-Loops Format. Der Unterschied zwischen 10 und 16"
kann auf Strassen mit Schlaglöchern so gross wie Bombenkrater über Sieg
oder Niederlegen entscheiden.
105 km/h auf der Triester
Die 15 PS beschleunigen den Carnaby laut Prospekt auf 104
km/h, 105 hab ich auf der Triesterstrasse erreicht. Eine ehrliche Angabe
also. Der
Weg dorthin ist allerdings ein langer. Apropos Beschleunigung. Die geht
zwar in Ordnung, bis der 125er Motor allerdings antritt, braucht er
offenbar eine Gedenksekunde. Es wirkt so, als würde
man mit dem 2. Gang anfahren und erst nach ein paar Metern den 1.
einlegen. Vielleicht ein Versuch, den enormen Schlupf bei
Automatikgetrieben zu verringern. Ampelduelle wird man jedenfalls nicht
viele für sich entscheiden. Leider wird der Motor bei starker
Beschleunigung bzw. hoher Geschwindigkeit etwas laut und für den Fahrer
unangenehm. Es wird nicht viele Leute geben, die sich das Ding kaufen
und sich einen ordentlichen Spruch wünschen. Könnte also ruhig etwas
leiser sein.
Ab durch die Mitte
In der Stadt geht ein Rennen sowieso nur bis zur nächsten Ampel und
da ist es wichtig, sich ganz vorne anstellen zu können. Schmäler als
jedes Motorrad, weil man die Beine ja parallel zueinander auf die
Bodenplatte stellen kann, schlängelt sich der schlanke Roller durch die
Fahrzeugkolonnen. Beim Vorantasten durch enge Passagen spürt man erneut
den Vorteil von grösseren Rädern, weil der Roller weniger kippelig
reagiert und selbst im Schneckentempo stabil bleibt. So ist man am Ende
der Rotphase immer Erster.
Stop heisst Stopppp!
Beinahe aus den Socken gehauen hat mich die Bremsleistung des Carnaby.
Für die für Roller ungewöhnliche Verzögerung sind zwei 260er Scheiben
verantwortlich. Damit kann man nicht nur rechtzeitig stehen bleiben,
sondern auch jede Menge Spass haben. Folglich wird dann der
Reifenverschleiss ebenfalls ungewöhnlich hoch sein. ABS gibt es momentan
nicht mal optional. Dass man beim Bremsen
nicht vom Sessel rutscht, dafür sorgt der griffige Stoff auf der
Sitzbank. In dieser liegt ausserdem eine wärmeabweisende Polsterung. So
gibt der Sitz ordentlich Halt und bietet hohen Komfort.
|
|
Integrierte Blinker
|
|
Nette, analoge Armaturen. Nur die Uhr ist digital.
|
|
Rücklichter und Blinker sind eine Einheit. Positiv: Auch von der Seite
gut erkennbar.
|
|
Funkelndes Detail an den Lenkern trägt zum
hochwertigen Gesamteindruck bei.
|
|
|
16 Zoll Rad, 260mm Scheibe. Tolle Verzögerung und viel Spass.
|
Den Mund zu voll genommen. Das Staufach schluckt nur einen
Halbschalenhelm.
|
|
Stauraum sucht Topcase
Unter die Sitzbank passt lediglich ein Halbschalenhelm, ein Handschuhfach
für Kleinteile wie Handy, Handschuhe etc. fehlt zur Gänze. Allerdings
gibt es das sogenannte "Easy Bag" im Zubehörkatalog, das als Ersatz-Handschuhfach montiert werden kann.
Dennoch,
wer mit dem Roller nicht nur ein Eis essen fährt, sondern ab und an die
Jause für die Kollegen im Büro holt oder kleinere Einkäufe
erledigt, dem wird ein Topcase nicht erspart bleiben. Der Aufbau dafür
ist bereits vorhanden. Für Ganzjahresfahrer ist ausserdem das "Hot Cover"
erhältlich, das die Abwärme der Kühlrippen nutzt, um die Beine zu
wärmen.
|
|
|
Am Rande der Gesellschaft fristet nur
kot sein Dasein. Der Carnaby hingegen ist mittendrin.
|
2.990 Euro (Preis Österreich, Version 200 ccm: 3.499.-) gehen für diesen Roller absolut in Ordnung.
Die Verarbeitungsqualität ist hoch und steht der japanischer
Modelle in Nichts nach. Die Leistung ist O.K., der Komfort bestens und
die Bremsen in dieser Klasse aussergewöhnlich. Der boomende 125er Markt
ist um ein weiteres Modell reicher geworden, und die Auswahl damit schon
wieder etwas schwerer. In Österreich ist der Carnaby in den
Farben Schwarz und Silber erhältlich.
|
|
|
Wir sehen den Carnaby im Vergleich zu einem
gewöhnlichen Durchschnittsauto, wie wir es jeden Tag zu Tausenden zu
Gesicht bekommen, und erkennen: Der Roller ist fast nur ein Viertel so
breit, auf verkehrsüberlasteten und engen Strassen also absolut
überlegen.
Fazit: Das abgebildete Auto möchte ich nicht einmal geschenkt.
|
Technische Daten: Piaggio Carnaby 125 (200)
|
Motor
|
Einzylinder-Viertaktmotor Piaggio LEADER
mit 4 Ventilen, Sekundärluftsystem sowie zweistufigem
Katalysator
|
|
Hubraum
|
124 cm³ (198 cm³)
|
|
|
|
|
Leistung |
15 PS (11 kW) bei 9.750 U/min (21
PS (15,4 kW) bei 9.000 U/min)
|
|
Drehmoment |
12 Nm bei 8.000 U/min
(21 Nm bei 6.250 U/min)
|
|
Kühlung |
Flüssigkeitskühlung mit Zwangsumlauf |
|
Getriebe |
"Twist-and-Go"-CVT (CVT = continuously
variable transmission - Getriebe mit variabler und stufenloser
Übersetzung)
|
|
Starter
|
Elektrisch (Bendix) mit Startautomatik
|
|
Rahmen |
Einzelgabel aus hochfesten
Doppelstahlrohren
|
|
Vorderbremse |
Edelstahlscheibe 260 mm, schwimmender
Bremssattel mit zwei Bremskolben, 25,4 mm
|
|
Hinterbremse |
Edelstahlscheibe 260 mm,
schwimmender Bremssattel mit zwei Bremskolben, 25,4
mm
|
|
Vorderradfelgen
|
Aluminiumlegierungsdruckguss, 16" x 3.00
(14" x 3.50)
|
|
Hinterradfelge
|
Aluminiumlegierungsdruckguss, 16" x 3.50
(12" x 3.00)
|
|
Bereifung vorne
|
Schlauchlos, 110/70-16
|
|
Bereifung hinten
|
Schlauchlos, 130/70-16
|
|
Länge/Breite |
2.000 mm/740 mm |
|
|
|
|
|
Höchstgeschwindigkeit |
104 km/h (keine Angabe) |
|
Interessante Links:
|
Text & Fotos: kot
|
|