Kawasaki Ninja ZX-10R 2016 Test

Green Machine in der Gluthölle

Manches erlebt man wahrscheinlich nur einmal im Leben. Zum Beispiel die internationale Pressevorstellung einer neuen Kawasaki Ninja ZX-10R in Sepang. Mit nur jeweils 6 Fahrern gleichzeitg auf der Strecke. Mit dem amtierenden Superbike Weltmeister Jonathan Rea als Guide. Bei 45 Grad in der Boxengasse. Und da haben wir noch gar nicht über das sensationelle Motorrad gesprochen.

Es muss nicht mehr darüber diskutiert werden: Technisch sind die Rennsemmeln aus der Superbike WM Lichtjahre von den Serien-Supersportlern entfernt; was nicht bedeutet, dass Teile der Entwicklungen aus der Millionenschlacht nicht zum gemeinen Volk durchsickern und in erschwingliche Fliessbandproduktion gegossen werden. Und es sickert immer mehr und immer schneller. Erstmals montiert Kawasaki eine "Balance Free Fork" in einem Strassenmotorrad.

Balance Free Fork: Premiere im Serienbau

Druck- und Zugstufendämpfung werden unabhängig voneinander erzeugt und eingestellt. Der Mechanismus zum Erzeugen der Dämpfungskraft ist ausserhalb des Zylinders angeordnet, wodurch die gesamte Oberfläche des Hauptkolbens als Pumpe dienen kann. Schwankungen des Druckausgleichs durch das Ein- und Ausfedern werden minimiert. Das bedeutet ein gleichmässigeres, präziseres Ansprechen.

Wenn ich die neue Ninja ZX-10R 2016 mit zwei Worten beschreiben müsste, dann wären es: Phantastische. Front. Aber dann würden alle anderen positiven Eigenschaften und Änderungen in den Hintergrund gerückt und das wäre diesem Motorrad, das in allen Bereichen spürbar verbessert wurde, nicht gerecht. Einzig die Optik spiegelt vielleicht nicht gebührend wieder, welch revolutionäre Technik unter der Verkleidung steckt.

Keine grüne Kawa. Wenn schon, dann die Winter Test Edition

Ausserdem fehlt mir eine grundgrüne Version, die 2016 leider noch nicht zur Wahl steht. Das Basismodell ist die Version in "Metallic Matte Carbon Grey", etwas Grün gibt es nur zur KRT Replica. Wenn man dafür aber schon ein paar Hunnis drauflegt, sollte man sich gleich die ebenholzschwarze "Winter Test Edition" gönnen, die neben einer Schneeflocke auf der Scheibe und einer Plakette auf der Gabelbrücke einen Akrapovic-Auspuff mit sich bringt.

Praktisch neuer Motor: Jetzt echte 200 PS?

Aber genug über substanzlose Äusserlichkeiten, widmen wir uns den wahren Werten, wie den 200 PS, die man trotz bestandener EURO4-Norm bewältigt haben will. Was die ZX-10R schliesslich auf die Walze stemmt, werden die ersten Prüfstandsläufe zeigen, die erste Erfahrung ist jedenfalls Evidenz für brutale Potenz, die sich noch dann zu steigern im Stande ist, wenn du bereits den Höhepunkt erreicht zu haben glaubtest. Das Aggregat wurden in so vielen Punkten bearbeitet, dass man von einem neuen Motor sprechen kann. Neuer Zylinderkopf, Iridium-Zündkerzen, grössere Ventile, um 25% grössere Airbox (10l), neue Kolben, neue Kurbelwelle mit 20% weniger Trägheitsmoment, neuer Ölkühler, elektronische Drosselklappen,...

Gewicht Kawasaki Ninja ZX-10R 2016: 206 kg

Trotz umfangreichem Elektronikpaket und EURO4-Verstopfung soll der grüne Star vollgetankt nur 206 kg wiegen. In Bewegung fühlt er sich wesentlich leichter an, eigentlich wie eine 600er mit dem Motor einer 1000er. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Entwicklung das endgültige Ende der Supersport-Klasse bedeuten und es die 600er bald nur mehr als 100PS-Alltagssportler geben könnte. Die 1000er haben in den letzten Jahren eine unfassbare Evolution erlebt, die einen wundern lässt, ob ein Serienmotorrad noch besser werden kann, ohne sämtliche Konten und Kreditlimits zu sprengen.

In Sepang, einer Strecke, die man als Ostösterreicher etwas weniger gut kennt als den Pannoniaring, hat man mit einigen sekkanten Ecken zu kämpfen, die einen fast vollkommen einbremsen. Hier heisst es mal umlegen-umlegen und mal umlegen-aufstellen-Vollgas. Hier wird deutlich, welch grossen Schritt die 10er in Sachen Handling gemacht hat, weil selbst extreme Wechsel locker von der Hand gehen und das Fahrzeug kompakt deinen Impulsen gehorcht. In dieser Disziplin hat mich die Ninja nur an ein anderes Superbike erinnert, die Aprilia RSV4.

Längere Schwinge, Fahrer näher beim Lenkkopf

Auch an der Geometrie wurde getüftelt. Der Radstand beträgt 1440 mm, die Sitzhöhe 835 mm, die Schwinge ist um ganze 15,8 mm angewachsen, der Lenkkopf sitzt nun um 7,5 mm näher beim Fahrer. Man sitzt kompakt, angriffslustig aber nicht unbequem. Die Schräglagenfreiheit ist für ein Serienbike überdurchschnittlich gross, die Bewegungsfreiheit ordentlich, allerdings wurden meine Knie stärker belastet, als das auf anderen Supersportlern der Fall war. Wobei ich anmerken muss, dass ich auch überdurchschnittlich viel herumturne, man muss ja heutzutage den Ellenbogen auf den Asphalt bringen.

Rea einarmig auf der Ideallinie

Nach der technischen Theorie- und das war noch längst nicht alles, was wir uns in der von Ventilatoren und Eiskästen flankierten Box morgens anhören durften - ging es an die Praxis. Wir erlebten einen der seltenen Fälle, wo man einen Lehrer erwischt, dem man auch glaubt, was er einem erzählt. So eine Rennstrecke lernt sich schliesslich nicht von alleine und so engagierte Kawasaki den amtierenden Superbike Weltmeister Jonathan Rea, der den Grünen in zwei Jahren den zweiten Titel bescherte. Er fuhr dann zwei Turns völlig entspannt auf der Ideallinie voraus, während ich mit vollem Risiko und unter Einsatz sämtlicher elektronischen Fahrhilfen versuchte, nicht zu weit davon abzuweichen. Temperaturen von über 40° waren der Konzentration nicht förderlich.

Ein Fahrwerk wie gemacht

Wenn der Streckenverlauf vom Gehirn vermessen und abgespeichert worden ist, kann man seine Sinne endlich dem Fahrzeug und dessen Dynamik widmen. Wie eingangs erwähnt ist es die Front, die mich am meisten an der neuen ZX-10R fasziniert hat. Zwar ist auch das Federbein neu (wie die Gabel von Showa) und der Rahmen geändert, doch die Front hebt sich am stärksten von jenen der Mitbewerber ab. Transparenz und Präzision suchen ihresgleichen, ohne Vorwissen würde man beim Anbremsen und Einlenken vermuten, das Fahrwerk wäre gemacht. Das war mein erster Eindruck, der mich bis zum letzten Turn nicht mehr verliess: Das Fahrwerk fühlt sich an wie gemacht. Ein Lenkungsdämpfer von Öhlins sorgt zusätzlich für Ruhe, wenn man den Sturm aufzieht.

Brembo monoblocs. Hammerharte Feinmechanik

Eine starke Front ist nichts ohne ebensolche Bremsen. Die bezieht Kawa von Brembo mit dem Topmodell "M50", mit zwei 330 mm Scheiben und monobloc-Zangen vorne. Auf einem Motorrad mit einer solchen Ausstattung macht mir das Bremsen mehr Spass als das Beschleunigen. Millimetergenau zu dosieren und hammerhart am letzten Drücker, notfalls vom intelligenten ABS, das neben den üblichen Daten von Vorder- und Hinterrad auch den hydraulischen Druck an den vorderen Bremszangen, sowie verschiedenste Daten des Motor-Steuergeräts überwacht und dementsprechend reagiert. Zudem ist das Wirken des Systems am Hebel kaum wahrzunehmen.

Traktionskontrolle - Schnelligkeit vor Sicherheit

Ebenso unauffällig wie wirkungsvoll arbeitet die fünfstufige Traktionskontrolle. Kawasaki verwendet die gängige Bosch IMU (Inertial Measurement Unit) mit 5 bestehenden und einem berechneten Freiheitsgrad zusammen mit einem eigenen Programm zur dynamischen Modellierung. Der Fahrzustand wird besser wahrgenommen und die Elektronik unterstützend darauf reagieren. Die Funktion der Traktionskontrolle liegt nur nicht auf maximaler Sicherheit, sondern auf besten Beschleunigungswerten durch optimale Traktion. Deshalb erlaubt die TC der ZX-10R ein gewisses Mass an Schlupf, das mit den äusseren Bedingungen variiert. Drei Modi können angewählt werden, wobei jeder Modus 3 weitere Stufen - strong, medium und low - unter sich hat plus 2 "Full Power"-Modi. Das ergibt insgesamt 11 Level.

Elektronik sagt die Zukunft voraus

Gemessen werden die Geschwindigkeiten von Vorder- und Hinterrad und viele weitere Parameter am Motor(rad). Gewissermassen kann das künstliche Hirn im Abstand von 5 Millisekunden berechnen, was im nächsten Moment passieren wird, wie es auch zwischen sanften und abrupten Wheelies unterscheiden kann. All das ermöglicht eine äusserst geschmeidige, konstante Beschleunigung im idealen Bereich. Was Kawasaki gar nicht an die grosse Glocke hängt, sind Launch-, Wheelie- und Slide-Control. Diese sind Teil des Softwarepakets, werden aber in der Produktbeschreibung kaum erwähnt. Der Grund dafür ist, dass man das System als eine Einheit betrachtet, die alle Funktionen untrennbar in sich verschmilzt.

Leistungsmodi: 100%, 60% und variabel

Einstellen lassen sich auch die Leistungsabgabe und das Ansprechverhalten. Dazu stehen 3 Modi zur Verfügung. Full steht für volle Leistung, Low für eine auf ca. 60% reduzierte Leistung. Der Middle-Modus liegt nicht genau in der Mitte zwischen diesen beiden Stufen, sondern variiert je nach Drehzahl und Drosselklappenstellung. Beträgt die Drosselklappenstellung weniger als 50 %, entspricht die Motorleistung im Wesentlichen der im Low-Modus. Wird die Drosselklappe weiter als zur Hälfte geöffnet, kann bis zur vollen Leistung abgerufen werden. Der Fahrer selbst entscheidet also je nach Situation, vornehmlich beim Gebrauch auf öffentlichen Strassen, wie viel Leistung er wie abrufen möchte.

Ohne meinen Blipper fahr' ich nicht aus dem Haus

Zwei weitere Vorteile sind die einstellbare Motorbremse und der serienmässige Schaltautomat. Das Racing-Kit ergänzt Letzteren um die Blipperfunktion, die das Runterschalten ohne Kupplung bei geschlossenem Gasgriff möglich macht. Wer das noch nie probiert hatte, der sollte es unbedingt. Selbst Rennfahrer waren erstaunt, welche Ressourcen plötzlich im Hirn freiwerden, wenn man sich voll auf den Bremsvorgang konzentrieren kann, weil man die Gänge exakt und butterweich nur mit dem Fusshebel runterklopfen muss. Wer einmal einen Schaltautomaten probiert hat, möchte ihn nicht mehr missen. Dasselbe gilt für den Blipper.

Kit mit Blipper und Akrapovic-Anlage

Nachdem ich mich auf das Standardmodell eingeschossen hatte und mehr als zufrieden damit war, konnte ich einen Turn mit dem "Kit-" Bike drehen. Während die EURO4-Norm die Originalanlage beinahe sprachlos macht, entfaltet die Akrapovic-Anlage die ganze Stimmgewalt des 998 Kubik-Reihenvierers. Satt, kräftig, laut und trotzdem angenehm anzuhören. Bei den ersten Explosionen beim Gaswegnehmen dachte ich allerdings, ein Zylinder wäre explodiert oder das Kassettengetriebe herausgesprungen. Monströs! Zusammen mit der optimierten Fahrwerksgeometrie ein echtes Racingbike.

Insgesamt wurde die ZX-10R eins: sehr viel schneller. Und noch eins: viel leichter zu fahren. Hoch qualitative Komponenten, die ausgezeichnet aufeinander abgestimmt sind und eine Elektronik wie aus dem Spaceshuttle ermöglichen berechenbare, transparente Fahrdynamik am Limit. Die Front ist eine Sensation, die Traktionskontrolle so feinmotorisch wie nie zuvor. Kawasaki wollte sein Superbike in erster Linie nicht sicherer im Sinne der StVO machen, sondern schneller. Noch nie fühlte man sich mit einem ganz normalen Serienbike so nahe an der SBK.

Fazit: Kawasaki Ninja ZX-10R 2016

Insgesamt wurde die ZX-10R eins: sehr viel schneller. Und noch eins: viel leichter zu fahren. Hoch qualitative Komponenten, die ausgezeichnet aufeinander abgestimmt und eine Elektronik wie aus dem Spaceshuttle ermöglichen berechenbare, transparente Fahrdynamik am Limit. Die Front ist eine Sensation, die Traktionskontrolle so feinmotorisch wie nie zuvor. Kawasaki wollte sein Superbike in erster Linie nicht sicherer im Sinne der StVO machen, sondern schneller. Noch nie fühlte man sich mit einem ganz normalen Serienbike so nahe an der SBK.


  • Superbike-Gabel
  • Feedback an der Front
  • Brembo-Bremsen
  • Traktionskontrolle
  • Handling
  • Optik altem Modell sehr ähnlich
  • Blipper nicht Serie

Bericht vom 28.01.2016 | 31'809 Aufrufe

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