BMW Techday in Miramas - (K)ein Spielplatz für grosse Buben

Ein Blick hinter die Kulissen von Forschung und Entwicklung

BMW gilt als Technologieführer in Sachen Fahrzeugsicherheit und Assistenzsysteme. So brachten die Bayern bereits 1988 das erste ABS-System für Motorräder auf den Markt, zu diesem Zeitpunkt war ABS selbst im Automobilbau den Oberklassemodellen vorbehalten. Aber wie schafft es BMW hier eine derartige Vorreiterrolle einzunehmen? Beim Techday in Miramas bekamen wir Einblicke in die Methoden und Informationen zu den Messtechniken, die das ermöglichen.

Ein grosser Vorteil, den BMW gegenüber vielen anderen Motorradherstellern hat, ist der Synergieeffekt, der sich ergibt, wenn im gleichen Unternehmen auch Autos hergestellt werden. Eine Testanlage wie die in Miramas mit einer Fläche von über 437 Hektar wäre für einen Hersteller, der nur Motorräder produziert unfinanzierbar, zudem können viele Systeme aus dem Automobilbau übernommen werden. Am Standort Miramas wird neben alternativen Antrieben, die ich in Form des BMW E-Power Roadster testen durfte, an multifunktioneller Motorradbekleidung, der Herausforderung des autonomen Verkehrs, und stetiger Weiterentwicklung bestehender Modelle gearbeitet.

Welche Tortur eine BMW überstehen muss, bevor sie auf den Markt kommt

Jede BMW ist so konstruiert, dass 99% der Kunden bzw. Fahrer am Markt die in und an ihrer Maschine verbauten Materialien nicht an ihre Grenzen bringen. Da man nicht jede Eventualität bzw. jede Herausforderung aller Einsatzgebiete weltweit im echten Leben erproben kann, setzen die Münchner hier mittlerweile vermehrt auf virtuelle Simulationen.

Dabei wird die Nutzung der jeweiligen BMW in drei Bereiche aufgeteilt:

  • Normale Nutzung
  • Selten auftrende hohe Belastung
  • Missbrauch des Materials

Zwei Faktoren beeinflussen die Belastung des Materials massgeblich, zum einen der Zustand der Fahrbahn, zum anderen die Geschwindigkeit mit der diese Befahren wird. Ein Beispiel für eine normale Nutzung wäre das Befahren einer in Mitteleuropa üblichen Landstrasse bei normalem Tempo (100 km/h). Eine selten auftretende hohe Belastung wäre das Fahren über einen Randstein mit niedriger Geschwindigkeit. Missbrauch des Materials wäre das Fahren über einen Randstein mit hoher Geschwindigkeit. Für diese drei Szenarien wird dann ein virtuelles Modell entwickelt, sodass die Belastung beliebig oft wiederholt werden kann, ohne dass ein Testfahrer 100 Mal mit 50 km/h über einen Randstein brettern muss.

Vibrationen als besondere Herausforderung

Eine andere Form der Belastung stellen Vibrationen, die vor allem durch den Motor überall am Fahrzeug entstehen, dar. Die niedrig-frequenten Vibrationen, wie wir sie aus dem Sitzen im Sattel kennen, sind dabei weniger problematisch für die im und am Motorrad verbauten Materialien, als die hochfrequenten Vibrationen. Zur Messung werden an über 160 Stellen Drei-Achsen-Gyrosensoren am Fahrzeug montiert. Zusätzlich liefern die vier installierten Kameras am Bike jeweils 160 Bilder pro Sekunde aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Menge an aufgezeichneten Daten ist dabei so gross, dass der 8 Terrabyte-Speicher am Fahrzeug binnen weniger Stunden voll ist. Die Auswirkungen auf Materialentwicklung, Performance sowie Haltbarkeit der Fahrzeuge, die die Analyse dieser Daten bietet, sind enorm.

Testfahrer für BMW - nicht immer ein Vergnügen

Daneben finden aber natürlich auch Tests im realen Umfeld statt, um die Eigenheiten der vielen verschiedenen Länder, in denen BMWs unterwegs sind, bei der Entwicklung mitberücksichtigen zu können. Von sengender Hitze in der Wüste bis hin zu eisiger Kälte am Polarkreis ist alles dabei. Auf den Testfahrzeugen, die bis in die entlegensten Winkel der Welt vordringen, werden ebenfalls einige Instrumentarien befestigt. Als Beispiel wurde uns eine Felge aus Aluminium und Carbon gezeigt. Sie wird von einer schweizer Firma mit unfassbarer Präzision makellos aus einem Aluminiumblock gegossen und danach mit den Karbonelementen verbunden. Die Felge dient dazu, alle Impulse die während der Fahrt auf jede Stelle der Felge einwirken aufzuzeichnen. Preis pro Felge ohne Elektronik: 30.000 Euro!

Auch andere Bauteile wie Gabel, Bremse und Rahmen sind an zig Punkten mit Sensorik ausgerüstet und zeichnen die Belastung am jeweiligen Bauteil auf. Die riesige Datenmenge wird dann über WLAN auf einen am Fahrzeug befindlichen Linux-PC übertragen und weiterverarbeitet. BMW arbeitet derzeit an einer App, die den Testern alle relevanten Daten in Echtzeit während des Tests anzeigt.

Fast jeder Kunde ist auch Tester bei BMW

Wer eine BMW ab dem Modelljahr 2010 fährt und seine Maschine brav zum BMW-Händler zum Jahresservice bringt, steuert Daten, die vom Fahrzeug während des Betriebs gesammelt werden, bei. Die Daten werden von BMW anschliessend anonymisiert, so sind keine Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich. Wer nicht möchte, dass Daten seines Bikes an BMW gesendet werden, kann dieser Praxis in der Werkstatt widersprechen. Am Ende profitieren aber alle Endnutzer aus den gesammelten Daten, da aufgrund dieser Daten wichtige Rückschlüsse gezogen werden können und zB. Rückholaktionen gestartet werden.

Eine Zahl, die ich euch nicht vorenthalten möchte, ist der Vollgasanteil mit dem 75% aller BMW-Fahrer weltweit, gemessen an der Fahrtdauer unterwegs sind: Nur 0,18% der Zeit ist der Gashahn mehr als 72% geöffnet. Selbst das extremste Prozent der BMW-Fahrer bringt es gerade einmal auf 2,4% Vollgas.

Autonomes Fahren – eine Bedrohung für uns Motorradfahrer?

Viele Automobilhersteller übersehen in ihrer Forschung zum Thema autonomes Fahren den Umstand, dass auch Zweiräder auf der Strasse unterwegs sind. Nicht so BMW, den Münchnern ist es naturgegeben ein besonderes Anliegen, uns Motorradfahrer weiterhin im Verkehr zu haben, schliesslich wollen sie ja auch 2030 noch Motorräder verkaufen. Lange Zeit werden wir sogenannten Mischverkehr erleben, das bedeutet es werden smarte Fahrzeuge zugleich mit Fahrzeugen, die nicht mit einander kommunizieren können auf der Strasse unterwegs sein. Es wird daher hauptsächlich daran gearbeitet, dass autonom fahrende PKW uns Motorradfahrer erkennen, auch wenn wir für ein Auto untypische Fahrmanöver durchführen.

Aktive Assistenzsysteme – next steps

Als erstes aktives Assistenzsystem hat BMW 2015 den Totwinkel-Assistent im Grossroller C 650 GT präsentiert. Zurzeit wird an mehreren Systemen wie Abstandserkennung nach hinten und Spurhalteassistenten geforscht. Generell ist man bei Eingriffen in die Fahrdynamik, also Gas, Bremse und Lenker vorsichtig seitens BMW. Man setzt eher auf optische Warnsignale im Display. Dennoch gilt es als sicher, dass der abstandshaltende Tempomat auf der nächsten EICMA präsentiert werden wird.

Motorradbekleidung und Connectivity

Die Designer der futuristischen Roller und Motorradprotoypen haben hier mächtig vorgelegt und so konnten auch die Damen und Herren, die die Motorradbekleidung der Zukunft entwickeln nichts Antiquiertes präsentieren. Taten sie auch nicht. Highlight war eine Jacke mit zwei integrierten Displays die mit dem Fahrzeug und dem Smartphone über Bluetooth verbunden ist. Über die Displays kann der Hintermann vor Gefahren gewarnt werden und die Innentaschen können das Handy kabellos aufladen. In einem zweiten Schritt soll die Jacke dann auch mit dem Stromkreis des Fahrzeugs verbunden werden und eine Kühl- bzw Heizfunktion bieten.

BMW forscht zudem an verschiedenen Arten von Head-Up Displaysystemen. Informationen über Streckenverlauf und die wichtigsten Bewegungsparameter des Motorrads werden dem Fahrer direkt in den Rand des Sichtfelds halb-transparent eingeblendet, sodass der Blick nicht mehr von der Strasse genommen werden muss. Beim Sozius gehen die Bayern gar noch einen Schritt weiter. Mittels Augmented Reality können hier wahlweise Daten zur Strecke, aber auch Informationen über die Sehenswürdigkeiten in der Nähe oder zB. der Name des nächsten Berges in die Brillengläser eingeblendet werden. Als nächsten Schritt in der Jetztzeit erfährt die BMW Connectivity App ein umfangreiches Update und bietet für die kommende Saison viele neue Funktionen.

Autor

Bericht vom 10.12.2019 | 9'749 Aufrufe

Empfohlene Berichte

Pfeil links Pfeil rechts