"Bei den Airbags wird noch ganz viel kommen!"

Markus Held, GF von Held Biker Fashion, im Interview mit 1000PS.

Vom Modehandschuh zum Experten für hochwertige Motorradbekleidung - das ist in aller Kürze der Werdegang von der Marke Held mit Sitz im deutschen Allgäu. Wir baten den Geschäftsführer Markus Held zum Interview, um herauszufinden, welche Herausforderungen es im Markt derzeit für gibt, worin sich Premiummarken noch von Online-Billiganbietern unterscheiden und was wir in Zukunft noch im Bereich Motorradbekleidung sehen werden.

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Markus, aktuell gibt es in gewissen Branchen wie der Fahrradindustrie oder auch der Motorradindustrie harte Preiskämpfe. Preiskämpfe gehen meistens damit einher, dass die Lager zu voll sind. Immer wieder hören wir - gerade von Bekleidungsherstellern - dass diese lange Vorlaufzeiten haben und daher kurzfristige Marktveränderungen stärker spüren. Held gibt es seit 1946 am deutschen Markt. Was ist an dieser Story dran, wie ist und war das für euch?

Grundsätzlich stimmt es, dass wir als Motorrad-Bekleidungshersteller mit Vorlaufzeiten von neun bis zehn Monaten rechnen müssen: Ab Bestellung beim Lieferanten bis Eintreffen der Ware hier bei uns. Davor gibt es dann noch die Entwurf- und Entwicklungsphase und danach noch Testphasen, wo unsere Qualitätssicherung alle Produkte genau untersucht und darauf achtet, dass unsere hohen Standards eingehalten werden.

Heisst: Eine neue Lederjacke der Kollektion 2025 wurde dann wie viel früher entworfen und entwickelt?

Von der Idee bis fertig im Laden würde ich bei den meisten Produkten von zwei bis zweieinhalb Jahren ausgehen. Also ja, wir haben definitiv etwas längere Vorlaufzeiten und wenn es genau dazwischen zu einem Nachfrage-Boom kommt, wie beispielsweise während Corona, dann kann man nicht von heute auf morgen reagieren und mal eben die Läden mit Ware fluten. In der Rückschau betrachtet waren die Coronamassnahmen für uns und die gesamte Motorradindustrie sehr positiv.

Es gab eine irre Nachfrage nach Bikes, Zubehör und Motorradbekleidung. Da man sein Geld für gewisse Dinge wie Urlaube und Restaurants nicht wie gewohnt ausgeben konnte, hat das Hobby Motorradfahren einen starken Aufwind verspürt. Motorräder sind praktisch verteilt und nicht verkauft worden, auch wir hätten noch mehr verkaufen können, aber wir hatten halt nicht mehr Ware verfügbar. Was ist dann passiert? Viele sind davon ausgegangen, dass dieser Nachfrage-Boom bestehen bleibt, es weiter steil nach oben geht und haben dementsprechend viel vorbestellt. Denn: Parallel zu der starken Nachfrage sind aufgrund der beschränkten Transportmöglichkeiten die internationalen Lieferketten teilweise zusammengebrochen, Transportkosten sind in die Höhe geschnalzt und man war froh, wenn man überhaupt seine Waren bekommen hat. Es gab sicher punktuell zu optimistische Bestellungen, weil man dachte, dass die hohe Nachfrage anhalten wird und gleichzeitig hat man damit rechnen müssen, dass der Transport nicht billiger wird und hat vermutlich deswegen auch noch mal mehr bestellt, um genug auf Lager zu haben.

Und dann ist es sehr schnell durch die hohe Inflation und den Krieg in der Ukraine in die andere Richtung gegangen, zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, die Lager waren voll und dann kommt es zu diesen Ausverkäufen, die wir aktuell noch immer sehen. Auch wir haben in der Zeit einiges mitgemacht aber ich würde meinen, dass es sich jetzt auch wieder normalisiert hat und wir auf für 2025 sehr gut aufgestellt sind.

Held hat ursprünglich mit Modehandschuhen begonnen, sich über die Jahrzehnte weiterentwickelt und ist heute praktisch Motorradbekleidungsvollsortimenter, bis auf Helme. Macht es eigentlich einen grossen Unterschied, ob ich einen Motorradhandschuh oder eine Jacke entwickle?

Sagen wir so: Es kommt primär auf die Komplexität des Produkts an sich an. Ich kann einen Handschuh eher einfach und mit wenigen Elementen schneidern und ich kann daraus ein hochkomplexes Kleidungsstück machen, mit vielen kleinen Details. Gleiches gilt für Stiefel und Jacken. Eine vergleichsweise simple Mesh-Jacke ist natürlich in der Entwicklung weit weniger aufwändig als eine mehrschichtige, wasserfeste Touringjacke, die man zu jeder Jahreszeit tragen kann. Oder ein Offroadstiefel, der gewisse Kunststoffteile braucht, wofür erst Formen gebaut werden müssen.

Das spiegelt sich dann in einem gewissen Mass im Preis wider, der eben nicht nur die Material- sondern auch die Entwicklungskosten beinhaltet. An der Stelle sei erwähnt, dass wir einer der wenigen Vollsortimenter sind, der alle drei Gore-Tex-Lizenzen besitzt: für Stiefel, Handschuhe und Oberbekleidung (Jacken, Hosen). Darauf sind wir sehr stolz, einer dieser wenigen Partner sein zu dürfen.

Wenn man über die grossen Motorradmessen schlendert, sieht man immer mehr Bekleidungshersteller aus Fernost. Es ist kein grosses Geheimnis, dass fast alle europäischen Motorradbekleidungs-Markenhersteller ebenfalls in Asien produzieren lassen. Könnte man in Europa überhaupt auf einem ähnlichen Niveau produzieren lassen?

Ebenfalls ein komplexes Thema. Eine Fertigung in Europa hat natürlich auch ganz klare Vorteile: Würden wir beispielsweise in Rumänen produzieren, hätten wir die Ware in 2-3 Tagen mit dem Lkw bei uns. Wenn wir in Vietnam bestellen, kommt das per Seefracht im Container, der mittlerweile um Afrika herumfahren muss, was bedeutet: der ist zig Wochen unterwegs. Natürlich hat man in Asien einen Preisvorteil.

Aber wir suchen auch ständig nach Möglichkeiten in Europa mit Lieferanten zusammenzuarbeiten. Schlussendlich muss die Qualität stimmen. Daher suchen wir uns unsere Partner sehr gezielt aus und prüfen diese auch entsprechend, bevor wir wirklich in eine Grossproduktion mit ihnen gehen. Denn du hast es schon angesprochen: Auf den Messen gibt es viele Hersteller, die man nicht kennt und deren Sachen auf den ersten Blick gut und solide aussehen. Doch man muss sich die Frage stellen: Entsprechen die Musterteile auf der Messe auch deren Massenware oder kommt das aus eigenen, dafür spezialisierten Schneiderein, praktisch handgefertigte Prototypen? Da trennt sich dann schnell die Spreu vom Weizen.

Deswegen prüfen wir so intensiv unsere Partner, weil wir sichergehen wollen, dass die Schnitte immer gleich sind, die Verarbeitung immer auf dem gleichen Niveau, das Material usw. stimmen. Aber ja, natürlich lassen auch wir in Fernost produzieren, haben aber Leute vor Ort, um einfach früh genug eingreifen zu können, sollte doch mal etwas schief gehen. Und in einem produzierenden Gewerbe passiert immer was, das gehört dazu, daher ist Qualitätssicherung das A und O. Und ganz deutlich: In Deutschland selbst könnte man aktuell nicht zu konkurrenzfähigen Preisen fertigen.

Interview Markus Held
Markus Held ist selbst leidenschaftlicher Motorradfahrer.

Kann ein Laie die angesprochenen Qualitätsunterschiede von einem unbekannten Hersteller auf einer Messe überhaupt feststellen?

Ja, in einem gewissen Rahmen. Nehmen wir einen Motorradhandschuh her. Zuerst lässt sich das Thema Passform leicht selbst prüfen. Ein Handschuh muss gut sitzen, der Schnitt und die Verarbeitung muss dafür passen. Dann kommt der Materialmix dazu. Ein Sporthandschuh sollte aus strapazierfähigem Material bestehen, rundum, auch die Innenhand, um im Fall der Fälle tatsächlich zu schützen. Ein Touringhandschuh muss wasserdicht sein, hier lohnt es sich nachzusehen: Wird eine gute Membran verwendet wie Gore-Tex oder Sympatex?

Bei Oberbekleidung wie Hosen und Jacken kommt es ebenfalls auf die Passform an, das verwendete Material und natürlich auch welche Protektoren verwendet werden. Wir setzen beispielsweise ab nächstem Jahr komplett auf D3O-Protektoren. Wir finden es stark was die machen und sind überzeugt von deren Produkten. Natürlich bekommt man auch günstigere Level 1 und Level 2-Protektoren, aber da kommt dann wieder unser Qualitäts- und Sicherheitsanspruch ins Spiel. Hier gehen wir keine Kompromisse ein.

Ihr seid mit eurer Marke Held eine feste Grösse im DACH-Raum, aber gefühlt gibt es jede Woche einen neuen Onlineshop der viel für Motorradfahrer anbietet, auch in Sachen Bekleidung. Dazu kommen die grossen Filialisten wie Louis und Polo. Wie positioniert ihr euch hier? Immerhin haben viele Shops auch Eigenmarken, die sie entsprechend pushen, sowohl werblich als auch im Verkauf.

Das stimmt. Wenn wir in Umsätzen rechnen, macht der DACH-Raum rund 60 Prozent aus. Und ja, wir schauen uns ständig an, welche Vertriebstrends es gibt, wo sind unsere Kunden und wo erwarten uns unsere Kunden!? Fakt ist, dass der Onlinehandel ein wichtigstes Segment ist, wir betreiben selbst einen Onlineshop. Aber wir sehen uns auch stark im Fachhandel vertreten, weil wir glauben, dass wir dort gut aufgehoben sind. Motorradbekleidung soll und muss dem Kunden passen, man soll das Material und die Verarbeitung spüren können, daher ist es uns wichtig, dass unsere Kunden unsere Bekleidung im Geschäft probieren können, um sich selbst ein Bild zu machen.

Dafür braucht es den Handel. Und natürlich für die Aufklärung. Motorradbekleidung kann auch eine Stange Geld kosten, da braucht man Beratung. Und ja, wir sind sehr froh darüber, sowohl bei Louis als auch Polo vertreten zu sein das sind für uns wichtige Kanäle. Die Abgrenzung zur Hausmarke kann beispielsweise durch die Markenbekanntheit passieren. Die Best Brand-Wahl ist hier zu nennen. Du musst dich als Marke einfach stark positionieren. Das heisst: Gute Qualität liefern, guten Service bieten, Präsenz zeigen und natürlich einen fairen Preis aufrufen. Uns ist bei all unseren Produkten immer ein sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis wichtig. Und aktuell glauben wir sind wir dahingehend am Markt gut unterwegs.

Aktuell wird immer mehr über das Thema Airbags gesprochen. Auch ihr habt, wie auch andere Hersteller, Airbag-Lösungen im Sortiment. Konkret arbeitet ihr hier mit der Firma In&Motion zusammen, einem französischen Hersteller. Ist das ein kurzfristiger Trend oder ein Thema für die Zukunft?

Ganz klar ein Zukunftsthema! Ich glaube sogar, dass wir mit dem Airbag-Thema noch eher am Anfang stehen und noch viel kommen wird. Wir haben bereits 2019 mit der eVest Clip-in angefangen. Das Jahr darauf ohne Clip-in. Und vorletztes Jahr haben wir die eVest Pro gebracht. Wir stehen hier noch ziemlich am Anfang und ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Jahren noch grosse Entwicklungsschritte sehen werden. Es arbeiten verschiedene Firmen an dem Thema und das finde ich grossartig, denn wir wissen alle: Konkurrenz belebt das Geschäft und am Ende haben die Motorradfahrer die Wahl, welches System sie bevorzugen bzw. am besten für sie und ihre Bedürfnisse passt.

In&Motion hat beispielsweise auf der EICMA jetzt ein interessantes System in Verbindung mit dem Helmhersteller Airoh gezeigt. Wir werden im Bereich Airbag für Motorradfahrer noch sehr coole Sachen sehen in Zukunft, davon bin ich überzeugt.

Klingt spannend. Dann noch eine abschliessende Frage: Im Motorradsegment seid ihr eine fixe Grösse. Es ist aber nicht untypisch, dass sich Firmen breiter aufstellen und wenn man Motorradbekleidung kann, liegt es nahe, sich in anderen, artverwandten Geschäftsfeldern zu probieren, z.B. Fahrrad oder Sport. Wie seht ihr das?

Tatsächlich haben wir bereits ein zweites Standbein, welches viele nicht kennen und sich stetig aber beständig entwickelt: Work Protection. Damit meinen wir aber keine 2-Euro-Arbeitshandschuhe aus dem Baumarkt. Wir sind hier immer im Spezialbereich unterwegs, beispielsweise wird die österreichische Motorradpolizei in Zukunft mit unseren Airbag-Systemen ausgerüstet werden. Oder wir machen für die Polizei spezielle Schnittschutz-Handschuhe, damit diese bei Demos und Co. bestmöglich geschützt sind. Auch hier steht bei uns Sicherheit ganz oben im Lastenheft und das können wir ganz gut. (lächelt)

Bericht vom 22.11.2024 | 1’876 Aufrufe

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