Bilder: Yamaha Niken GT auf Passjagd - Schweiz Motorrad-Tour
Kann sich die Yamaha Niken GT auf den Schweizer Alpenpässen behaupten? Fahren drei Räder gleich gut, oder sogar besser als zwei? Im zweiten Teil der 1000PS Schweiz Reise geht es vom Tessin über Italien nach Graubünden und dann in Richtung Luzern.
Die Sonne geht auf über dem tiefblauen Lago Maggiore im tiefsten Süden der Schweiz. Glocken läuten die volle Stunde über der mediterran geprägten Ortschaft direkt am See. Würden nicht die Flanken der hohen Berge unmittelbar am Ufer beginnen, so könnte man sich tatsächlich schon in der Toscana wägen. Genau in diesen Bergen bin ich gestern noch auf der Yamaha Tracer 700 unterwegs gewesen, habe Pässe erklommen und den Widrigkeiten des Hochgebirges getrotzt. Doch heute ist ein neuer Tag und somit ist es nicht nur Zeit, neue Gebirgszüge und Passstraßen zu erkunden, sondern auch Zeit für ein neues Gefährt. Also geht es früh zum Yamaha-Händler in der Nähe von Locarno.
Und da steht sie auch schon in all ihrer monströsen Pracht. Die LED-Scheinwerfer blicken böse aus der gigantischen Front. Der breite Tank schimmert in tiefem Matt-Blau. Der CP3-Motor geht fließend über in eine elegante Under-Floor-Abgasanlage über. Die doppelte Upside-Down-Teleskopgabel leuchtet golden aus der sonst blau-schwarzen Farbmischung. Doch der Blickfang schlechthin sind die zwei 15-Zoll Vorderräder. Die Yamaha Niken ist in jeder Hinsicht ein besonderes Motorrad. Doch wie fahren sich drei Räder? Ist das überhaupt noch echtes Motorradfahren? Und wie gut lässt sich so ein Ungetüm von 267 Kilogramm (fahrfertig, vollgetankt) das Schweizer Hochgebirge rauf- und runterjagen? Ich bin schon sehr gespannt auf die nächsten zwei Fahrtage. Doch zuerst brauche ich eine Erklärung dieses doch sehr außergewöhnlichen Bikes.
Im seltsamen Misch-Masch aus Italienisch und Englisch unterhalte ich mich mit einem jungen Yamaha-Mitarbeiter. Überrascht stelle ich fest, dass eigentlich eh alles wie bei einem normalen Motorrad funktioniert. Es gibt keine seltsamen Selbst-Steh-Funktionen, wie man das von dreirädrigen Rollern kennt, und auch sonst soll man den zwei Rädern vorne nicht mehr Aufmerksamkeit schenken müssen, wie herkömmlichen Vorderrädern. Das verbaute Elektronik-Paket ist umfassend, aber auch nichts ungewöhnliches. 3 Fahrmodi, zweifach einstellbare Traktionskontrolle, Tempomat, Heizgriffe - kennt man alles schon. Aber fährt es sich auch so unkompliziert?
Vom Yamaha-Händler etwas außerhalb von Locarno geht es für mich nordöstlich in Richtung San Bernadino. Diese ersten Meter verlaufen viel durch Ortsgebiet oder fast gerade Stücke Landstraße und so habe ich Zeit mich auf die Niken einzustellen. Natürlich spürt man das hohe Gewicht von über einer Viertel Tonne, doch sie fühlt sich nicht behäbiger an, als andere schwere Tourenmaschinen, wie zum Beispiel eine Suzuki V-Strom 1050 XT. Doch in die Schräglage lässt sie sich wie ein normales Motorrad absolut willig legen. Dass es hier keinen erhöhten Widerstand gibt, liegt vermutlich auch an der geringen Größe der Vorderräder. Mit nur 15-Zoll im Durchmesser werden die Kreiselkräfte verringert und das Aufstellmoment minimiert. So lenkt sich die massige Niken erstaunlich leicht und mühelos.
Doch noch bin ich nicht um passenden Gebiet, um ernsthaft die Schräglagen-Performance der Niken zu testen. Neben der 13er Autobahn verläuft die Bundesstraße Nummer 13 in Richtung San Bernadino. Hier ist der romanische und italienische Einfluss sehr stark. Backstein-Häuser, Kirchen mit runden Fensterbögen und Gewölbedecken und Zwerggalerien unter alpinen Giebelschrägen - diese interessante Mischung aus romanischem und alpinem Baustil wird in diesem Gebiet als Lombardische Romantik bezeichnet.
Etwas weiter nördlich befindet sich das erste fahrerische Highlight der Tagesroute. Diese Tagesroute könnt ihr euch übrigens ganz bequem in unserem 1000PS Tourenplaner (verlinkt im Bericht) anschauen und als GPX-Datei herunterladen. Ab der Ortschaft Mesocco, leicht erkennbar an der Tal-überblickenden Burgruine des Castello di Mesocco, beginnt die Auffahrt zum San Bernadino.
Hier muss sich selbst die Autobahn in mehreren Kehren den Berg hinaufwinden, doch wirklich interessant ist die alte Passstraße. Der Pass wurde schon von den Römern verwendet und der alte, solide Saumweg ist auch heute noch als Wanderweg begehbar. Seit 1770 bis heute verläuft die Passstraße an der gleichen Stelle in nicht enden wollenden Kehren hinauf und läuft über den tiefsten Punkt des Sattels auf einer Höhe von 2067 m.ü.M. Die Straße ist zweispurig ausgebaut und gut in Schuss. Auf der Passhöhe liegt kleine See Laghetto Moesola mit einem kleinen Hospiz am Ufer. Obwohl die Wolken bei meiner Fahrt über den San Bernadino recht tief hängen, ist es ein Hochgenuss. Bei mäßigem Wetter Ende September wagen sich kaum Touristen hinauf auf den Pass und der Hauptverkehr läuft sowieso über den San-Bernadino-Tunnel. Komplett alleine kann ich der Niken also endlich die Sporen geben.
Der CP3-Dreizylinder muss sich eigentlich nicht mehr beweisen. Schon in der Yamaha MT-09 habe ich den 847cm³-Motor mit 115 PS und 87,5 Nm Drehmoment kennen und lieben gelernt. Er vereint die smoothe Gasannahme eines Vierzylinders mit dem Zweizylinder-typischen Druck aus niedrigeren Drehzahlen. So performt er auch in der Niken, wenig überraschend, sehr gut. Mit den gut 260 kg hat er zwar deutlich mehr zu bewegen, als in der MT-09, doch etwas Drehzahl gehalten und schon marschiert auch die Niken ambitioniert los. Hier ist der serienmäßige Quickshifter ein Hochgenuss und man nagelt den Pass mächtig hoch. Nur im Angesicht der radikalen Verkehrsstrafen der Schweiz zügele ich mich etwas. Die Niken ist aber schon allein aufgrund des Gewichts kein Powerhouse auf der Geraden. Ihre wahre Stärken offenbart sie erst in den engsten Kurven und unter suboptimalen Wetterbedingungen. Je näher ich der Passhöhe komme, desto kälter und nässer wird es. Aber mit der Niken ist mir das ganz normal wurscht!
Handlich und wie ein echtes Motorrad kippt die Niken in Schräglage. Dort liegt sie durch ihre zwei Vorderräder dermaßen satt und stabil, dass sie nichts aus der Ruhe bringen kann. Nässe, Bitumensstreifen, Split auf der Fahrbahn? - Vollkommen egal! Die Niken bügelt einfach drüber. Bei zahlreichen anderen Tests wurde oft der Vergleich "Sie fährt wie auf Schienen um die Ecke" gewählt. Doch das stimmt so nicht. Denn wer denkt, dass die Niken, so satt und fest wie sie in der Kurve liegt, ihren gewählten Kurs wie auf Schienen nicht mehr ändern kann, der irrt sich. Kurskorrekturen gelingen präzise und schnell. Lediglich das Gewicht erfordert etwas Kraft, um sie bei sportlicher Gangart von einer Kurve in die nächste zu werfen. Aufgrund des bombigen Grips an der Front kümmert mich das feuchte Wetter kein bisschen und ich hab den Spaß meines Lebens am San Bernadino.
So viel Spaß habe ich, dass ich recht schnell zwei BMW GS-Fahrer aus Polen einhole. Doch bevor ich sie gekonnt herbrennen kann, ruft mich eine schöne Fotostelle zu sich und bleibe stehen. Wenige Minuten später setze ich meinen Weg fort, komme aber nicht weit. Die zwei Polen von vorhin stehen am Straßenrand und deuten mir aufgeregt stehenzubleiben.
Sie wollen ein Foto mit mir machen. Aha, 1000PS Fans? Nein. Es geht ihnen nicht um mich, sondern um die Niken. "For us it looks like the bike from the future. It's like science fiction", erklären sie mir. Die Niken interessiert sie brennend und so diskutieren wir mehrere Minuten lang über die Vor- und Nachteile der drei Räder. Sie sind zwar das erste solcher Gespräche, aber bei Weitem nicht das letzte. Im Laufe meiner Reise durch die Schweiz werde ich immer wieder von Leuten auf die ungewöhnliche Niken angesprochen, auch von Nicht-Motorradfahrern. "Isch des überhaupt a Töff?", fragt mich zum Beispiel eine ältere Dame später. Nach der Niken drehen sich Köpfe um, Finger werden gedeutet und man kommt mit vielen Menschen ins Gespräch. Etwas was ich sehr genossen habe und ich auch als positiven Punkt der Niken sehe. Bekanntschaften von unterwegs sind ja quasi das Salz in der Reise-Suppe.
Nur wenige Kilometer nach dem San Bernadino biegt im extrem urigen Ort Splügen der Splügenpass in Richtung Süden ab. Die Nordrampe schlängelt sich in 21 teils extrem engen, dichten Kurven hinauf auf die Passhöhe.
Dort liegt auf 2114 Metern auch der Grenzübergang nach Italien, bei mir komplett verlassen. So verlassen finde ich auch das wenig tiefer gelegene Bergdorf Montespluga wieder.
Auf 1908 m.ü.M. liegen neben dem Stausee Lago di Montespluga ein paar, hauptsächlich verlassen wirkende Backsteinhütten. Der Stausee und das kleine Bergdorf machen eine coole Kulisse und laden zum Fotostopp ein. Doch der spektakulärste Teil des Splügenpasses kommt erst.
Nach dem Lago di Montespluga folgen im Abstand von wenigen Kilometern noch ein paar Bergdörfer bevor die Passstraße über die Kante des Bergplateaus hinab ins Tal geht. Hier sind die Talwände dermaßen steil, man fühlt sich als würde man in eine Schlucht hinabsteigen. An der felsigen und steilen Felswand liegen die Serpentinen buchstäblich direkt übereinander. Teilweise wurde der Weg durch Sprengungen frei gemacht, teilweise liegen Kehren zur Gänze im Tunnel. Hier ist die Straße zu eng, um schnell zu fahren. Doch der Anblick ist so heftig, da hab ich eh nur Zeit zum Staunen. Diese extreme Straße in der Felswand lässt mich vor Ehrfurcht vorm Genie und auch Mut der Erbauer erschauern. Wer hatte nur die wahnwitzige Idee hier eine Straße zu bauen? Ein Gutteil der 1800 m Höhenunterschied zwischen dem Tal und der Passhöhe werden hier auf kürzester Strecke überwunden.
Nach noch einigen Kehren komme ich schließlich in Chiavenna an. Alles hier ist typisch Bella Italia - die Häuser, die Leute und auch das Wetter. Doch ich verweile nicht lange in Italien. Von Chiavenna geht es östlich in sanften Kurven durch italienische und wenig später schon wieder schweizerische Dörfer in Richtung Sankt Moritz. Der am Weg liegende Malojapass weist nur eher sanfte Steigungen, ein paar Kehren und recht viel Verkehr auf. Allerdings bieten sich entlang der folgenden Seen wunderschöne Panoramen. Prächtig spiegeln sich die umliegenden 3000er im tiefblauen Wasser. Diese Aussicht lenkt auch von der recht langweiligen Streckenführung bis St. Moritz ab.
St. Moritz selbst, die alpine Spielwiese der Reichen und Schönen, ist auch wenig aufregend. Die Ortschaft ist dominiert von hässlichen Hotelburgen, nur hin und wieder sticht ein schönes altes Gebäude aus der Masse hervor.
Knapp 14 Kilometer später im Ort La Punt beginnt der letzte große Pass des Tages: Der Albulapass. Dieser 2315 m hohe Pass bietet die volle hochalpine Dröhnung: Schneebedeckte Dreitausender, Geröllfelder und atemraubende Panoramen. Da die Hauptverbindungsstrecke über den südwestlich gelegenen Julierpass geht, wird der Albulapass fast ausschließlich von Touristen genutzt. Selbst leichter Regen kann mir den Spaß hier nicht verderben. Im Gegenteil! Als die Sonne ein paar Strahlen am Ende des breiten Sattels durch die Wolken schiebt und die nasse Straße in der ferne wie eine goldene Schlange zwischen den grünen Berghängen leuchtet, geht mein Herz auf. Fahrerisch ist der Albulapass mit vielen recht geraden Strecken nicht weiter aufregend, doch landschaftlich ein absolutes Schmankerl. Und dank des unfassbaren Grips auf der Niken mache ich mir in den schärferen Kurven auch keine Sorgen, kann die Radien schön ausnutzen und auch im Nassen Spaß haben.
Neben Landschaft und Fahrspaß punktet der Albulapass aber auch mit historischen Sehenswürdigkeiten, wie einer getarnten Festung/Bunker aus dem zweiten Weltkrieg, und mit der von UNESCO geschützten Albulabahn. Diese historische Schmalspurbahn gehört zum rhätischen Eisenbahnnetz und quert auf spektakulären Viadukten und über 144 Brücken immer wieder die Passstraße. Kronjuwel ist hier das 65 m hohe Landwasserviadukt nahe Filisur, welches man von der Straße zwar nicht sieht, aber zu Fuß leicht besichtigt werden kann.
Es ist schon spät, das Wetter wird auch nicht besser und trotz der wirklich angenehmen, komfortablen Sitzposition auf der Niken, tut mir inzwischen alles weh. Aber bis zu meinem Tagesziel in Chur, der Hauptstadt des Kantons Graubünden, ist es nicht mehr weit. Eigentlich wollte ich in Albula nördlich abbiegen und über Churwalden nach Chur fahren. Doch in meiner Verträumtheit nach dem tollen Albulapass verpasse ich die Ausfahrt und fahre schließlich über die 13er Autobahn bis nach Chur.
Müde, aber höchst zufrieden mit dem ganzen Tag, rolle ich in die Altstadt.
Es wurden tolle Pässe erklommen, ich fuhr entlang von wunderschönen Bergseen und durch urige Bergdörfer. Und obendrein hat mich die Niken absolut begeistert. Das Handling in der Kurve ist so gut, dass ich mir schwer tue Motorräder zu nennen, die sich besser in der Kurve handhaben. Gerade bei suboptimalem Wetter wie ich es hatte, ist auch dieses extra Gefühl von Sicherheit etwas sehr Schönes und Angenehmes. Selbst bei starkem Regen brauchte ich nicht ängstlich um die Kurve eiern, sondern konnte entspannt weitercruisen und die Reise in vollen Zügen genießen.
Dermaßen gut gelaunt gönne ich mir auch noch einen Spaziergang durch Chur, der ältesten Ortschaft der Schweiz. Schon in der Jungsteinzeit um 4500 v. Chr. gab es eine Siedlung auf dem Ortsgebiet von Chur. Heute hat Chur um die 40.000 Einwohner und vor allem die urige Altstadt, mit ihren engen Kopfstein-Straßen und den hohen, spitzgiebeligen Dächern, ist einen Besuch wert. Zu jeder vollen Stunde läuten die Kirchenglocken und die gesamte Stadt wird zum reinsten Glockenspiel. So sitze ich da, trinke ein Churer Bier, lausche dem Gebimmel und freue mich schon auf noch einen Tag mit der Yamaha Niken GT und Schweizer Alpenlandschaften.
Glockengeläut weckt mich in der Früh. In der Altstadt von Chur beginnt sich schon langsam das Leben zu regen, während die aufgehende Sonne leicht durch die Wolkendecke schimmert. Es ist der dritte und letzte Tag meiner Schweiz-Reise. Heute erwarten mich noch einmal knapp 300 km Fahrt von Graubündens Hauptstadt Chur im Osten bis nach Sursee in der Nähe von Luzern. Meine Reisegefährtin ist auch an diesem letzten Tag die Yamaha Niken GT. Noch ein letztes Mal möchte ich den dreirädrigen Grip in der Schweizer Traumlandschaft auskosten. Ein schneller Kaffee in Churs bezaubernder Altstadt und schon geht es los.
Die Anzahl an Möglichkeiten, um von Chur aus westwärts zu fahren, halten sich in Grenzen. Da die Route entlang der 13er Autobahn in Richtung Zürich recht schnell das Hochgebirge verlässt, entscheide ich mich für die andere Option über die Bundesstraße 19. Entlang des Vorderrhein geht es gute 80 km in sanften Kurven, durch zahlreiche hübsche Ortschaften bis nach Andermatt. Ein paar wenige Kehren hinunter nach Andermatt und schon befindet man sich wieder im All-Star-Achter, direkt am Furkapass und Gotthardpass. Da ich westwärts muss, geht es noch einmal über den Furkapass. Beim ersten Mal überquerte ich ihn noch mit der Yamaha Tracer 700, also kann ich hier einen direkten Vergleich ziehen.
Die Bedingungen sind ähnlich wie beim ersten Mal. Die Wolken hängen zwar tief, doch die Fahrbahn ist trocken und es herrschen Temperaturen um die 15 Grad. Ausreichend gut, um es ein bisschen krachen zu lassen.
Im direkten Vergleich ist die Tracer natürlich handlicher als die Niken. Das liegt aber weniger am unterschiedlichen Vorderrad-Konzept, als einfach am großen Gewichtsunterschied. 196 kg lassen sich einfach leichter von einem Radius in den nächsten werfen als 267 kg. Die Niken lässt sich sehr gut umlegen und fährt in Schräglage so stabil wie eh und je, aber im trockenen bei top Straßen-Bedingungen haben normale, leichtere Motorräder die Nase vorne. Ihre größten Stärken zeigt die Niken erst bei suboptimalen Bedingungen, wie ich später noch lernen sollte.
Vom tollen Furkapass geht es wieder vorbei am Hotel Belvedere und ins verlassene Gletsch. Doch diesmal gebe ich den Rufen der gleich über dem Dorf beginnenden Serpentinen des Grimselpasses nach und biege rechts ab. In den gleichmäßigen Serpentinen, welche auf einer Strecke von 6 km über 400 Höhenmeter erklimmen, kann man viel Spaß haben. Wobei hier auf den etwas längeren Geraden die Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h doch dezent einschränkend ist. Aber vor allem außerhalb der Hochsaison, wenn der Pass nicht voller Touristen ist, bleibt der Grimselpass ein Traum.
Nach dem fahrerischen Hochgenuss in Form der Südrampe folgt das landschaftliche Schmankerl. Die Passhöhe auf 2164 m.ü.M. bietet eines der schönsten Panoramen dieser Reise (siehe Titelbild). Breit steigen die Bergflanken der umliegenden 3000er hinauf. Gewaltige Gipfel, scharfes Geröll, urgewaltige Gletscher bis in die Ferne und direkt um die Passhöhe drei helltürkise Stauseen. Mehr hochalpiner Flair ist schwer möglich.
Die Nordrampe ist landschaftlich auch interessant. Ein paar wenige Kehren führen noch am Räterichbodensee vorbei, dann geht es teilweise durch Tunnel und in langgezogenen Kurven an mächtigen Geröllfeldern vorbei. Früher war der Grimselpass sogar berüchtigt für seine gefährlichen Felsstürze, doch das wurde 2001 mit einer Sprengung von 150.000 m³ Gestein, der größten Sprengung der Schweiz, gelöst. Ich lasse mir bei der Abfahrt Zeit, nehme die urgewaltige Landschaft in mich auf und stelle mir vor, wie es wohl aussah, als hier ganze Bergflanken abbrachen und ins Tal stürzten. Der Grimselpass ist ein würdiger Abschluss meines Trips durch das Schweizer Hochgebirge.
Das Entlebuch ist eines von zwei von der UNESCO geschützten Gebieten in der Schweiz. Auszeichnen tut sich das Gebiet durch einen extrem ruralen Charakter und eine vielseitige Landschaft mit Hochmooren und Karstgebieten. Die südöstliche Auffahrt ins höher gelegene Entlebuch liegt nicht unweit der Nordrampe des Furkapasses und biegt von der Bundesstraße 4 in Giswil ab. Die sehr enge, hauptsächlich einspurige Straße führt in einer nicht enden wollenden Kette von engen Kurven hinauf auf über 1000 m.ü.M. Durch die zahlreichen uneinsichtigen und schmalen Kurven muss man zwar auf eventuellen Gegenverkehr Acht geben, aber trotzdem ist die Strecke ein fahrerischer Hochgenuss. Üblicherweise! Bei mir sieht es etwas anders aus.
Einmal im Jahr werden die Kühe im alljährlichen Abtrieb im Herbst von den höher gelegenen Almen hinunter ins Tal getrieben. Natürlich war es genau dieser Tag, als ich über das Entlebuch fahren wollte. Dreimal muss ich insgesamt stehen bleiben und gigantische Züge von Kühen passieren lassen. Hunderte Rinder mit geschmückten Halsbändern und riesigen Glocken veranstalten einen Höllenlärm, der von vielen Schaulustigen am Wegesrand freudig begrüßt wird. Der Almabtrieb ist auch ein Volksfest und traditionell von anderen Veranstaltungen und Festlichkeiten begleitet. Selbst in Zeiten von Corona lassen sich die Schweizer das nicht nehmen.
Geduldig warte ich das Spektakel ab und setze nach der durchgezogenen Herde meinen Weg fort. Doch wo viele Kühe verkehr'n, sind die Kuhfladen nicht fern! Die Straße ist komplett verdreckt. Kuhfladen sind durch die nachstapfenden Kühe zu meterlangen Scheisse-Streifen verschleppt worden. Bei der Niken ist die mögliche Rutschgefahr durch die Bremsspuren der Kühe zwar zu vernachlässigen, aber die abenteuerlich Fahrt offenbart mir einen Nachteil des neuartigen Vorderrad-Konzepts.
Bei herkömmlichen Bikes werden vorne aufgewirbelte Verunreinigungen, Nässe oder Schlamm vom Spritzschutz, oder vom Motorrad selbst, aufgefangen. Doch bei der Niken sind die Vorderräder mit ihrer Spurbreite von 410 mm nur knapp schmaler, als die Niken selbst und damit auch die Beine des Fahrers. Das Ergebnis ist, dass mir die Scheisse buchstäblich um die Ohren fliegt. Links und rechts spritzt es vorbei und verpasst den Seiten der Niken, und auch meinen Stiefeln und meiner Hose, eine nettes Camouflage-Muster aus halbverdauten Grasresten. Alpen pur!
Aber auch trotz der fliegenden Kacke genieße ich die letzten Meter im bezaubernden Entlebuch und denke schon wehmütig daran, wie ich in Kürze die Niken zurückgeben und die Schweiz wieder verlassen muss. Diese Reise hat mir nicht nur die Alpen von der schönsten Seite gezeigt, sondern mich auch mit zwei super Motorrädern überrascht. Hier war vor allem die Niken GT DIE Sensation für mich.
Nie im Leben hätte ich gedacht, das ein über 260 kg schweres Eisen mit drei Rädern so unfassbar leiwand zu fahren sein kann. Egal ob beim Cruisen, oder sportlichen Hinaufnageln am Pass - die Niken überzeugt. Vor allem dann, wenn die Bedingungen nicht perfekt sind. Es fällt mir schwer nicht Lobhudelei zu betreiben, aber mir fallen ehrlicherweise keine wirklich negativen Punkte ein.
Beim Yamaha-Händler in Sursee gebe ich sie nur widerwillig ab. Selbst so verdreckt wie sie ist, gefällt sie mir noch immer und die Fahrerei auf ihr wird mir abgehen. Ein letzter Blick zurück auf die Niken und auf die in der Ferne schimmernden Berge, und ich steige in den Zug in Richtung Zürich.
Noch während sich die Türen schließen, hoffe ich auf ein baldiges Wiedersehen mit beidem. Sowohl die Niken GT, als auch die Schweiz - Beide waren einfach leiwand!
Galerie von: 1000PS Internet GmbH
hochgeladen am 04.10.2020