GTR in Valloire

1300 Kilometer hin, 1100 Kilometer zurück. Dazwischen 600 Kilometer Spitzkehren.

Kawasaki GTR in Frankreich

2400 Kilometer geradeaus

Ist das am Ende nicht Entschädigung genug? Nein, trotzdem Danke.

 
Eines gleich vorweg. Ich wurde von NastyNils nicht dazu gezwungen, sondern vor die Wahl gestellt, ob ich mit dem Flugzeug oder mit dem Motorrad anreisen wollte. In Zukunft werde ich keine Probleme mehr haben, die richtige Entscheidung zu treffen.

Damit die beiden Alternativen mit dem Flieger oder dem Motorrad überhaupt gegenüber gestellt werden können, muss es sich um eine entsprechend grosse Distanz handeln, die auf der anderen Seite aber auch mit dem Motorrad für normale Menschen an einem Tag zu bewältigen sein muss. So zwischen 600 und 1200 Kilometer. Für einen normalen Menschen. Bin ich nie gewesen.
 
Zwischen Eisenstadt und Valloire liegen laut Routenplaner 1.125 Kilometer, die Fahrzeit wird mit 10 Stunden 41 Minuten angegeben. Minus 2 und ich hätte meine tatsächliche Fahrzeit mit der Kawasaki 1400 GTR, war ich zuversichtlich. Schliesslich versprechen 155 PS und ein sportliches Äusseres eine schnelle Reise. Und verfahren, ich? Unter 10 Stunden wären akzeptabel, dachte ich und machte mir so wenig Gedanken über Anstrengungen, Strapazen oder Nervenzusammenbrüche. Ausserdem kannte ich den Weg ja schon zur Hälfte, weil ich vor 2 Jahren irgendwo bei Bergamo an einem Supermoto Training teilnahm. Ein grenzwertiger Trip, doch mittlerweile kannte ich mich dort unten aus. Mehr als einen Anfahrtsplan aus dem Internet, um alle 300 Kilometer den Kurs zu checken, musste es nicht sein.

Ich war also guter Dinge, als ich um 7:00 Uhr in Eisenstadt die Garage verliess und umso motivierter, als ich bei Kilometer 100 an der Ausfahrt Hartberg vorbeifuhr, weil ich wusste: Nur noch 10 Mal so lang. Das ist ungefähr so, als würde man sagen: Nur noch 1271 Mal schlafen, dann ist Weihnachten 2011. Überraschenderweise ging es aber doch recht flott und unbeschwert dahin. Der perfekte Windschutz durch ein elektronisch verstellbares Schild, die breite Front, die entspannte Sitzposition und die grosszügigen Koffer (kein Rucksack!) wollten mir ein sorgenfreies Leben bereiten. Ich hatte etwas dagegen.

Zunächst lief wie gesagt alles gut, bis ich kurz vor Venedig aus dem Schlaf gerissen wurde, als ich den Rückspiegel des Audi A3 eines Itakers touchierte, beim Versuch, das Dickschiff durch den Freitags Nachmittag Stau zu manövrieren. Wer die GTR mit ihren riesigen Autorückspiegeln (die allerdings einklappbar sind, wie ich später herausfand) schon mal gesehen hat, der weiss, was das bedeutet.

Kurz vorm Ziel, kurz vorm Zusammenbruch.

Da hätte ich gleich in Österreich bleiben können.

 
Hier war zunächst mal Endstation, der Italiener war etwas aufgebracht, deutete mit typischer Geste alle Fingerkuppen der rechten Hand auf den Daumen gelegt, Handfläche nach oben ob ich denn ein kompletter Idiota wäre. Ein kurzer Fluchtversuch besserte seine Laune nicht. Es ging aber sowieso nicht weiter, die Autos und LKWs standen jetzt zu eng, also führte kein Weg an einer sachlichen Diskussion mit dem Italiener vorbei.
Er stieg aus, begutachtete sein Auto auf der rechten Seite und bemerkte leider die Lackspuren, die ich am Rückspiegel hinterlassen hatte und nicht wert fand, zu erwähnen. Ich konnte ihm begreiflich machen, dass es sich ja nur um meinen Lack handelte und der seines Audi quasi nicht beschädigt wurde, was er sogar verstand und schliesslich genervt abwinkte.

Ab diesem Zeitpunkt ging es nur noch bergab. Schön langsam würde ich gerne herausfinden, warum es mich immer wieder nach Bologna zieht, egal wo in Italien mein Ziel liegt. Vielleicht, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen? Jedenfalls machte ich erneut den selben Fehler wie vor 2 Jahren und stach ungebremst in den Süden, um nach 1 Stunde wieder in nördliche Richtung zu wenden.

Eine kurze orbitale Schleife also, die mich summa summarum 200 Mehrkilometer und aufgrund zunehmenden Verkehrs 3 Stunden mehr Fahrzeit gekostet haben. Anhalten und sich auf der Karte neu orientieren, eventuelle Lösungswege erarbeiten und so den Fehler möglichst gering halten? Wozu? Voll am Gas bleiben und den Albtraum ausreiten, das ist es, was echte Männer machen. Echt dumme Männer. Das einzig Positive an meiner ständigen Verfahrerei ist, dass ich es nie glauben kann, wenn ich tatsächlich ankomme. Fühle mich dann immer wie Alice im Wunderland.

Refuge Napoleon. Kein Diktator, aber vorzügliches Essen.

Kneipp-Kur. Nach dem 1300 km Strich nichts als Kurven.

 
Insgesamt war die Fahrt so unerträglich, dass sie zu dem Zeitpunkt, als ich das Handtuch werfen wollte, gefühlt noch mal doppelt so lange gedauert hat. Die Grenze, nach der es einfach nicht mehr weitergehen konnte, wurde also zweimal überschritten. Besonders gegen Ende, im 13 Kilometer langen Mont-Cenis Tunnel, dessen Durchfahrung eine Ewigkeit dauerte und in dem es ohne Übertreibung 45 Grad gehabt haben musste, war ich überzeugt, endlich - völlig verdient - in die Hölle hinabzufahren. Ganz so knapp am Nervenzusammenbruch wie vor 2 Jahren, als ich im Scudo anreisen durfte, war es aber nicht. Ein Beweis dafür, dass Motorradfahren doch entspannter ist als Autofahren. Trotzdem bitte nicht nachmachen. ( Grosse Schmerzen in den Schultern, im Kreuz und am Hintern. Ich fuhr am Schluss nur mehr im Stehen. ) Am besten alles auf mindestens 2 Tage aufteilen, die Anreise in die Reise integrieren und nicht als mühsame Pflicht sehen und die Autobahn möglichst meiden.

Wer es dennoch gewaltsam angehen will, der sollte unbedingt über ein Kaliber wie die 1400 GTR verfügen, um zu überleben. Nicht nur 155 PS, ein Wintergarten (Windschild) und zwei grosse Koffer sind wichtig. Es sind die Feinheiten wie das KIPASS System (kein Schlüssel, draufsetzen, starten und losfahren) oder das Handschuhfach am Tank für Kreditkarte, Kleingeld (100 Mautstationen) und zusammengeknüllte Anfahrtspläne, die entscheidend sein können, wenn es darum geht, den letzten Nerv nicht reissen zu lassen.

 
Für meine Tapferkeit (oder Blödheit, das kann man sehen, wie man will.) entschädigt wurde ich in Frankreich auf zig Passstrassen über den Col du Galibier, Col d'Izoard, L'Alpe d'Huez und anderen Highlights, wo man die Bicyclistes mit Krämpfen in den Beinen und Sauerstoffmangel in der Lunge auslachen kann. Ist aber schon faszinierend, dass hier im Hochsommer zur Tour de France die EPO-Fangemeinde im Peloton und im hohen Gang die Gipfel stürmt, wenn man hier miterlebt, wie man äusserlich nicht untrainiert wirkende Hobbysportler vom Carbon-Gestell heben muss, weil sie trotz Kräfte sparender Schrittgeschwindigkeit die Reserven bereits an der Baumgrenze abgeben mussten. Macht das Ganze so glaubwürdig.

Doch auch auf dem Motorrad stellt man sich hier einer echten Herausforderung. Oft schlechte Strassenverhältnisse, eng, keinerlei Sicherungen vor Hängen und Schluchten, dazu aufgewellter Asphalt vor Spitzkehren, der das Anbremsen mit ABS nicht leichter macht und schliesslich rollige Murmeltiere, die ihre Wamp'n abends auf dem von der Sonne aufgeheizten Asphalt wärmen. Hier gibt es eigentlich nur einen Fehler und das ist der letzte. Ein schlechter Ort, um Grenzen auszuloten, aber ein perfekter, um landschaftliche Hoheit in seiner faszinierendsten Form zu erleben. Es reicht ja, flott unterwegs zu sein. Wie sehr man das geniessen kann, entscheidet ganz wesentlich die Wahl des Motorrads. Denn nicht selten begleiten einen auf so einem Trip viel Gepäck und eine Reisebegleiterin, was die Umstände nicht leichter macht. Womit man  das am besten meistern, wollte die Zeitschrift Motorrad auch dieses Jahr bei den "Alpenmasters" herausfinden. Mehr dazu in Kürze.

Hörst du La Montanara, die Berge, sie grüssen dich...

 
 

Text: kot
Fotos: kot

Autor

Bericht vom 08.07.2008 | 3'943 Aufrufe

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