Harley Milwaukee

Eine Reise zum Ursprung der US-Bikes, um zu schauen, ob sich Frauen auf die schweren Eisen trauen.
Milwaukee, USA: in der Welt von Harley-Davidson
Ist das Amerika ?
 
This is not America, klingts mir im Ohr. Wieso? Ich hab den Song schon ewig nicht gehört, hab ihn auch gar nicht auf der iPod-Playlist. Warum geht er mir dann beim Landeanflug auf Milwaukee nicht aus dem Kopf? Das da ist doch Amerika! Echter gehts nicht! Schliesslich flieg ich grad auf Harley-Davidson, im wahrsten Sinne des Wortes.

Beim Warten aufs Gepäck geht mir der Bowie dann doch aus dem Kopf. Denn das dauert, bis die Koffer und Taschen daherkommen! Time is money davon seh & spür ich hier nichts. Ich muss durch den Zoll ja auch noch. Zoll? Aber neinI Den hab ich bereits in Toronto absolviert, samt reibungsloser Immigration-Zeremonie. Ich bin ja schon in Amerika. Endlich schiebt das Gepäckband meine nicht wenig voluminöse Harley-Racing-Tasche heran. Ich starte los, greife hin. Ins Leere. May I help you?, fragt einer, wuchtet mir das 23-Kilo-Trumm ansatzlos vom Förderband und stellt es auf die Räder. Thanks, bring ich grad noch raus. Was ist denn jetzt los? Friendly people, very friendly people!

Hi! How are you. How was your trip?, gehts in derselben Tonart weiter. Der Chauffeur des Endlos-Lincolns, der vor der Flughafen-Tür steht, nimmt mir die Tasche auch gleich aus der Hand, stöhnt ein wenig, als er sie in den Kofferraum hebt. Bringt mich ins Hotel. Nach insgesamt zwölf Stunden Flug mit einmal Umsteigen und vier Stunden Warten auf dem faden Transfer-Terminal in Toronto wünsch ich mir ... ja, auch eine Zigarette. Aber viel mehr noch eine Dusche und einmal Umziehen, bitte. I give you twenty minutes! Na holla! Also doch time is money?


Harleys, wohin man schaut.


Beispiel für Customizing at its best.

Warum er mir nur zwanzig Minuten gegeben hat, weiss ich eine halbe Stunde später: Es dämmert. Als ich beim Harley-Davidson-Museum aussteige, bricht grad die blaue Stunde an. Und die Museums-Fassaden präsentieren sich da in besonders eindrucksvollem, wohl kalkuliertem Licht. Ausserdem ist hier die Hölle los. Harleys, wohin man schaut. Lockeres Gedränge, bewundernde Blicke (auf die Custom-Edelstücke). Ich weiss nicht, wohin ich zuerst schauen soll. Auf den Hillclimber, jene Bronze-Skulptur, die zwischen Museum und Motor-Restaurant steht, als Symbol dafür, dass es bei Harley immer aufwärts geht? Auf die Motorräder? Auf die Leute? Direkt zum schwindlig werden!

Apropos schwindlig. Es knurrt. Laut. Ich schau mich um. Nichts Knurriges da, nicht vor und nicht hinter und nicht neben mir. Aha. Das war mein Magen! Seit dem letzten Jausen-Snack in der Austrian Airlines-Maschine von Wien nach Toronto habe ich nichts mehr gegessen. Von Toronto nach Milwaukee war bordverpflegungsfrei. Also: Its Burger-Time! Und da ist man in den USA generell nicht schlecht versorgt, in Milwaukee auch nicht. Überdies warten die anderen schon. Die sind schon einen halben Tag länger da als ich. Haben schon gegessen und swingen im Rhythmus des Blues der Live-Band, die gerade im Motor-Restaurant aufspielt. Die perfekte Einstimmung. Wenn man in Milwaukee ist, kommt man um Harley-Davidson sowieso nicht herum. Das ist absolut unvermeidbar, und das alleine ist schon ein triftiger Grund, hinzureisen.

Die Skulptur Hillclimber symbolisiert
für Harley-Davidson, dass es immer aufwärts geht.


Summerfest: Weltgrösstes Musikfestival


Die Stadt hat aber mehr zu bieten. Was sich schon bei der ersten Fahrt durch die Downtown offenbart hatte und sich erst recht am nächsten verregneten und vernebelten Morgen zeigt: Pabst Theater und Performing Arts Center sind gleich um die Ecke des Hotels. Die Konzert-Plakate zeugen von aktueller Aktivität. Al Jarreau, wie Woody Herman ein Sohn der Stadt, war aber grad nicht da. Die Violent Femmes auch nicht (mehr). Das Kulturgeschehen ist stark Musik orientiert. Einmal pro Jahr findet hier das weltgrösste Musikfestival statt: Das elftägige Summerfest, jeweils vom letzten Donnerstag im Juni bis zum ersten Sonntag nach dem 4. Juli. Tänzerisch ist auch jede Menge los, John Neumeier stammt von hier.
   
Filmschauspieler haben ebenfalls da ihre Wurzeln, unter anderem Spencer Tracy und Gene Wilder. Der Name Milwaukee stammt unschwer zu erraten aus der Sprache der einst hier ansässigen Ureinwohner. Es war der Stamm der Algonkin, der diese Gegend an der Mündung dreier Flüsse - Menomonee, Kinnickinnic und Milwaukee River - das gute Land genannt hatte. Dass es ein gutes Land ist, das fanden die Einwanderer auch.

Es waren besonders viele Deutsche dabei, die es vor allem im Zuge der grossen Auswanderungswelle Mitte des 19. Jahrhunderts hierher gespült hat, als Folge der 48er-Revolution. Deshalb auch die auffallend zahlreichen Namen deutschen Ursprungs. Pabst. Schlitz. Beides sind auch - Brauereien. Usinger heisst eine Wurstsorte. Bürgermeister hiessen Seidel oder Zeidler.
 

Nicht nur die Namen muten deutsch an, auch die ältere Architektur erinnert an deutsche Städte. Nicht von ungefähr gilt Milwaukee als eine der deutschesten Städte der USA. Einer der Spitznamen für die Stadt lautet demnach: German-Athens (Deutsch-Athen). Es findet hier auch ein German Fest statt, heuer zum dreissigsten Mal. So oder so ist es die grösste Metropole im Staate Wisconsin, mit knapp 700.000 Einwohnern. Ohne Vororte. Mit den Randsiedlungen sind es an die zwei Millionen. Das hat Wien-Dimension.
 
 
So richtig amerikanisch kommts einem hier auf den ersten Blick aber gar nicht vor. Wolkenkratzer gibts nicht viele, und die sind nicht gar so hoch. Es gibt viele Parks und es gibt viele Menschen, die darin spazieren gehen. Es gibt lauschige River Walks mit Cafés, Beisln und Restaurants sowie Bankerl zum Verweilen. Es wirkt alles insgesamt unhektisch, die Atmosphäre entspannt. Auch wenn die Stadt am Westufer des Michigan Lake eines der bedeutendsten US-Wirtschaftszentren ist. Und da ist Harley-Davidson eine der tragenden Säulen. Auch in schwierigen Zeiten wie diesen, in denen die junge, aufstrebende Tochter-Marke leider hintan stehen muss. Trotzdem fahren in den breiten Strassen von Milwaukee eine Menge Buells zwischen den Harleys herum. Von East Troy ist es ja nicht gar so weit hierher.

Wie bei den meisten Motorrad-Herstellern hat alles in einem Schuppen begonnen. 1903 wurde der im Hinterhof des Hauses von William C. Davidson, an der Juneau Avenue, gebaut.


Harley Geschichte auf 80.000 m2


Da befindet sich heute die Zentrale, das Headquarter von Harley-Davidson. Welche Dimension der Holzschuppen hatte, das veranschaulicht ein Besuch im Harley-Davidson-Museum. Ohnehin ein Pflichtprogramm-Punkt. Denn es ist absolut sehenswert, selbst wenn man kein unbedingter Fan der US-Eisen sein sollte. Es ist auch noch brandneu. Nach zwei Jahren Bauzeit wurde es am 12. Juli 2008 eröffnet. Auf 80.000 Quadratmetern Fläche breitet Harley-Davidson seine Geschichte aus und auf. Die Exponate stammen aus der wahrlich umfangreichen Sammlung, deren Grundstein mit dem allerersten Bike gelegt wurde. 1903. Seither wird von jedem neuen Motorradmodell eines zur Seite gestellt, fabriksneu, nie gefahren. Weshalb auch die allerallerallerältesten Exponate blütenweisse Reifen haben.

80.000 m2 Grundfläche, am 12. 7. 08 eröffnet.

 
Aber keine Angst. Man muss sich nicht durch zig Modellreihen hanteln. Im Museum stehen die Highlights, die sind effektvoll inszeniert und trotz der immer noch verbleibenden Fülle an Modellen locker aufbereitet. Zeit braucht man halt, um wirklich alles zu sehen. Man kann zwischendurch ins Café Racer gehen, auf einen Kaffee, der aber den Namen im europäischen Sinne nicht verdient, da ist Amerika echtes Amerika. Doch echter Espresso würde vielleicht nur ablenken. Zum Beispiel von den Bikes aus Easy Rider. Beide Captain America und Billy Bike sind Replicas, von den tatsächlichen Film-Eisen gab es jeweils zwei Ausgaben.

Evel Knievels 750er-XR an der Decke.


Ein Set ist in den Schluss-Szenen aufgearbeitet worden, das andere gilt als verschwunden. Trotzdem sind die Kopien Pilgerstätte von Fonda- und Hopper-Fans. Im Falle von Zweiterem jetzt erst recht.

Probe sitzen ist auf den Museums-Bikes nicht drin. Trotzdem stehen die meisten frei, nicht hinter Glas. Manche hängen von der Decke, wie Evel Knievels 750er-XR. Abgrapschsicher ausgestellt ist allerdings die 100-Jahr-Jubiläums-Ultra Classic Electra Glide mit Beiwagen: Da sind 10.000 Unterschriften drauf, silber auf schwarz, hier haben sich 2003 alle Harley-Mitarbeiter verewigt. Frei stehend kann man sich dafür von der Rhinestone-Harley beeindrucken lassen. Das ist eine 1200er-E-Glide von 1973 mit mehr als 200 Glühlampen darauf.

Ein Blickfang ist auch, zum Thema Women at the Handlebars (Frauen am Lenker), Dorothy Dot Robinsons rosafarbene E-Glide mit Beiwagen. Die Dame, gebürtige Australierin, pflegte in den USA nicht nur mit Harleys zu handeln, sie fuhr und gewann auch Rennen, on- UND offroad, spulte bis zum Ende ihres Lebens rund 2,5 Millionen Kilometer auf Motorrädern ab. Stets korrekt gekleidet und mit Lippenstift. Sie ist die Ahnmutter der Motorcycle Riding US-Ladies, ist Mitbegründerin des ältesten Frauen-Motorradklubs der Staaten, der Motor Maids, die bestehen seit 1940 (!).
   
Beeindruckend ist neben der Riesenhaftigkeit so mancher Eisen die Vielfalt dessen, was bei Harley-Davidson ausser schweren Eisen sonst noch so entstanden und wieder eingestellt oder gar nicht realisiert worden ist: (Motor-)Boote, Golf Cars, Snowmobiles, Mopeds (mit 50 ccm-Zweitakter, allerdings von Aermacchi). Auch die Renngeschichte hat natürlich ihren Platz, mit der XR750 Flattracker und der VR1000. Auch Prototypen kann man sich aus der Nähe anschauen, wie die V4 Concept.
 

Eine der prächtigsten Indians unter all den Harleys.

Und auch das ist noch nicht alles. Wer sich für die Motorenentwicklung interessiert, ist im Engine Room gut aufgehoben. Ebenso gibts die Custom Culture, The Design Lab und The Experience Gallery. In Letzterer darf man endlich auf einigen Bikes Probe sitzen. Was Kinder besonders gerne tun, auch wenn sie einen eigenen Kids Corner eingeräumt bekommen haben. Es ist aber wohl immer interessant(er) zu schauen, wie es die Grossen machen.

So etwas Ähnliches dachten wir uns auch. Denn: Was ist alles Museale und Theoretische gegen die Wirklichkeit. Ohne in Milwaukee auch Harley-Davidson(s) gefahren zu sein, wird man sich den Mythos des US-Labels auch nachTagen im Museum noch immer nicht voll und ganz verinnerlichen können. Also: Fahren ist angesagt. Ob V-Rod oder nicht, das war nicht die Frage. Wir waren nicht zur Glaubens-Diskussion, ob eine Flüssigkeits-gekühlte Harley eine echte Harley ist, angetreten. Also: V-Rod.

So ritten wir nach Greenfield, zum örtlichen Harley-Dealer. Schauten uns in Werkstatt und Schauraum um, wühlten im unglaublichen Angebot an Wäsche von Baumwolle bis Leder, nahmen ein Pancake-Frühstück mit Ahorn-Sirup und schauten den Ladies zu, die sich zur Women Riders Celebration-Parade versammelten und schön machten. Den Women Riders Month gibts übrigens seit dem Vorjahr. Keimzellen sind sogenannte Garage Partys, bei denen Frauen gezeigt wird, dass und wie sie die Riesen-Eisen derreiten können. Vorbild, vielmehr Anchor Woman, ist neben einigen wenigen anderen die bereits erwähnte Dot Robinson.


Karen Davidson, Tochter von  Willie G. Davidson und Urenkelin von Ur-Mister-Davidson


Um uns für die Parade vorzubereiten, schauten wir einen Sprung im Headquarter vorbei, testeten die Strassen von Milwaukee. Die sind teils vom Feinsten und Gepflegtesten, teils vom Löchrigsten und Bitumen-Verseuchtesten, was man sich vorstellen kann. Die Speed Limits werden eingehalten. Fast immer. Bei den Geräusch-Limits hätten österreichische Prüfbus-Betreiber volle Kassen. Von der Fahrt am Michigan-Strand entlang blieben uns nur verschwommene Bilder, der See hüllte sich in dichten Nebel und schickte den auch hinein, in die Stadt.

In Juneau gesellte sich dann Karen Davidson zu uns. Als Tochter von Willie G. Davidson und Urenkelin von Ur-Mister-Davidson spielt sie eine tragende Rolle bei Harley. Sie ist verantwortlich für General Merchandising, entwirft und realisiert die lässigsten Harley-Sachen. Die besten Stücke trägt sie eine coole Lady, die über ihr Alter keine Auskunft gibt aber selber. Motorrad fährt sie, seit sie neun Jahre alt ist. In diesem Sinne ist sie auch eine Anchor Woman at the Handlebars. Und deshalb führte sie die Parade an. Rund tausend Ladies rollten hinter ihr und uns - in Richtung Milwaukee Downtown. Manche waren aus Übersee gekommen, abgesehen von mir, waren da auch welche aus Südamerika und auch aus Australien. Die paar Herren, die im Korso dabei waren, sassen abgesehen von den Officern, die uns vor den Cages (Käfigen) schützten auf dem Soziussitz.

Kids Corner im Museum.

Die grosse Damen-Parade:
Gut tausend Ladies rollten über die Highways,
mitten ins Herz von Milwaukee.

 
Das heisst dann Cupcake. Den Passanten hat das alles gefallen, die pfiffen und jubelten uns ein. Sogar Cheerleader gabs. Auch männliche. Langsam gings durch die Stadt, zur Street Party, so ca. mit fünf km/h. Jetzt weiss ich ganz genau, wozu ellenlanger Radstand, fetter Hinterreifen und kellertiefer Schwerpunkt gut sein können.

Ja, es ist Amerika! Es blieb zwischen all den Harleys inner- und ausserhalb des Museums immer noch ein wenig Zeit für amerikanische Klischees: Wir waren in der Shopping Mall (auf der Suche nach einem Adapter fürs Handy-Ladegerät), wir gingen zur Burger-Bude, wir kosteten beim Barbecue-Stand, wir hatten ein ordentliches Steak. Die Hotelbar war eher auf Wodka als auf Whisky ausgerichtet. Das Bier kam in ungewohnter Dekoration, mit einer Orangen-Scheibe. Aber alles gutund auch schön. Bis auf den Kaffee. Der war meistens das erwartete grausame Gschlader. Starbucks ist echt ein Ausweg. Noch dazu, weil die um sieben Uhr früh schon offen haben. Das hatte nichts mit seniler Bettflucht zu tun, sondern mit sieben Stunden Zeit-Differenz. Aber bevor der Biorhythmus wirklich durcheinander kommen konnte, wars leider schon wieder Zeit, abzureisen. Es war viel zu kurz!
Milwaukee, du hast mich nicht zum letzten Mal gesehen.

 

Man sollte sich nicht täuschen: Diese Police Officers können fahren mit ihren Harleys.


SLIDESHOW

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Interessante Links:

Text:  Trixi Keckeis
Fotos:  Trixi Keckeis / H-D Onno "Berserk"´Wieringa

Autor

Bericht vom 30.06.2010 | 6'849 Aufrufe

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