Sicher(er) durch den Motorrad-Alltag
Das 1000PS Strassentraining
Immer schön auf die Linie achten: Das macht nicht nur den Blick auf die Waage erträglich, sondern sorgt vor allem beim Motorradfahren für ein mehr an Sicherheit! Beim 1000PS Strassentraining mit Varahannes wird diese Linie perfektioniert. Wolf hat es mitgemacht und verrät, wie so ein Tag abläuft.
Kaum einer sitzt mehr auf dem Motorrad als Varahannes, der allein seit Beginn seiner Aufzeichnungen 2002 mit seiner Honda XL 1000VX Varadero und der CRF1000L Africa Twin deutlich über eine Million Kilometer absolvierte. Dass er dies unfallfrei tut, ist auch ein Gütesiegel seiner Linienwahl bzw. Kurventechnik, die er beim 1000PS Strassentraining, welches sowohl in seiner Kärntner Heimat, als auch in Niederösterreich angeboten wird, den Teilnehmern vermittelt.
In drei Etappen zur besseren Linienwahl
Für Langschläfer ist das Training nichts: Pünktlich um acht Uhr gehts am Treffpunkt im Kärntner Liesertal los. Selbstverständlich bei jedem Wetter, kann man sich dieses doch unterwegs auf der Motorradtour auch schwer aussuchen. "Nur ein einziges Mal mussten wir abbrechen, weil es derart zu schneien begonnen hat, so dass an normales Fahren nicht mehr zu denken war", verrät Hannes, der davor beim ÖAMTC als Instruktor gearbeitet und das behördlich genehmigte Training auf öffentlichen Strassen in drei Blöcke aufgeteilt hat: Zunächst fährt jeder den kurvigen Abschnitt einige Male ganz ohne jegliche Vor-Information auf und ab, ganz so wie er das immer tut, anschliessend gehts zu Kaffee und Theorie zum Postwirt, ehe das dort Gehörte dann intensiv in der Praxis umgesetzt wird.
Einzeltraining in der Gruppe
Obwohl es in Gruppen von sechs bis zwölf Personen abgehalten wird, handelt es sich um ein Einzeltraining. An jedem Streckenende ist eine Ampel montiert, die fünf Sekunden auf Grün und zwanzig Sekunden auf Rot steht. So ist für genügend Abstand zwischen den einzelnen Fahrern gesorgt, deren Kurvenlinie von den an neuralgischen Punkten montierten Kameras gnadenlos festgehalten wird. Natürlich auch schon beim freien Fahren, um anschliessende Selbstreflexion zu erleichtern. Bei der Theorie veranschaulicht Varahannes dann mit (Archiv)-Bildern von entgegenkommenden Bussen oder kurvenschneidenden PKW eindrücklich, wie verheerend eine falsche oder riskante Linienwahl sein kann.
Vier Leitsätze für sicheres Fahren
Prinzipiell richtet sich die vermittelte Linienwahl nach vier Leitsätzen:
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Die Mittellinie ist eine Glaswand, die sich nur öffnet, wenn gefahrloses Überholen möglich ist.
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Fahrlinie immer so wählen, als wäre ständig Gegenverkehr.
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Es ist kein Unterschied in der Fahrlinie zwischen übersichtlichen und unübersichtlichen Kurven.
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Jede Kurve kann zumachen - enger werden - Rechtskurve rechts, Linkskurve links beenden.
Letzteres erhöht die Sicherheitsreserven, weil es im Ausweichfall immer einfacher ist, "aufzumachen", anstatt die Schräglage weiter zu erhöhen. Und macht sie nicht zu, kann ich die Geschwindigkeit schon in der Kurve erhöhen…
Auf die Blickführung achten - es geht immer der Nase nach
Nach der Theorie geht es weiter nach Mallnitz, wo eine breitere Strasse mit meist recht übersichtlichen Kehren zur Verfügung steht, um das eben Gehörte erstmals in der Praxis anzuwenden. Davor wird die eine oder andere Kurve in der Gruppe abgegangen, die "Ideallinie" besprochen. Selbstredend ist auch die richtige Blickführung bei jeder Kurvenfahrt essentiell, fährt man auf dem Motorrad doch buchstäblich immer der Nase nach.
Du weisst nie, was dich hinter einer zumachenden Kurve erwartet
Nach dem Mittagessen geht's dann zurück ins Liesertal, wo dieselbe Strecke wie am Morgen bis zum Abwinken rauf- und runtergefahren wird. Wobei Hannes jedem auch zumindest einmal den "Guide" macht, um seine Linie vorzuzeigen, er und seine Instruktoren-Kollegen den Teilnehmern immer wieder mal hinterher fahren und nötigenfalls gröbere "Fehler" auch gleich ansprechen. Wenn dann noch, wie in unserem Fall, beim Abgehen bzw. Besprechen der berühmten "Buskurve" zufällig ein riesiger Traktor mit mächtigem Vorbau ums Eck kommt, sollten notorische Kurvenschneider spätestens nachzudenken beginnen. Du weisst nie, was dich hinter einer unübersichtlichen Kurve erwartet! Jedenfalls war die Linie am Nachmittag bei allen Teilnehmern sicherer als noch in der Früh, ohne dass deshalb irgendwelche Abstriche punkto Tempo gemacht werden mussten, ganz im Gegenteil. Und das lag definitiv nicht nur daran, dass die Strecke nach anfänglichem Regen auftrocknete.
Nicht reden, sondern fahren: Mehr als 200 "Kurs-Kilometer"
Ein nicht zu verachtender Aspekt des 1000PS Strassentrainings ist auch die Tatsache, dass man wirklich zum Fahren kommt und keinesfalls zuviel Zeit mit trockener Theorie verschwendet. So standen bis zum Kurs-Ende kurz nach 17 Uhr mehr als 200 Kilometer mehr auf dem Tacho der Kawasaki Versys 1000 SE, die ich mir für den Kärnten-Trip besorgt hatte, als noch zu Tagesbeginn. Weshalb man auch unbedingt mit vollem Tank erscheinen sollte.
Mit Sicherheit mehr Fahrspass
Resümierend bleibt festzuhalten, dass von diesem Strassentraining jeder etwas für sich mitnehmen kann, ob Einsteiger oder routinierter Biker. Die Vorteile der "richtigen" Linienwahl liegen auf der Hand: Man konzentriert sich bei jeder Kurve. Man erhöht die eigene Sicherheit, weil man Gefahrenbereiche meidet. Und man kann Fahrfehler anderer Verkehrsteilnehmer ausgleichen. Zumal auf viele Unfälle statt des gern verwendeten "Pech gehabt" in Wahrheit ein "kein Glück gehabt" treffender wäre. Wobei es nur mit den Training natürlich keinesfalls getan ist, man danach das Vermittelte immer und immer wieder festigen sollte. Frei nach dem Motto von Varahannes, wonach jede Kurve eine Übungskurve ist. So hat man mit Sicherheit mehr Fahrspass.
Bericht vom 01.06.2021 | 23'153 Aufrufe