Hinauf auf 6.646 Meter - Höhen-Weltrekord mit dem Motorrad

Strapatzen und Leiden für Mensch und Maschine.

Atacama Altitude Adventure, so benannte der Schweizer Jiri Zak sein kürzlich zu Ende gegangenes Abenteuer in Chile. Eines seiner Vorhaben war dabei, das Knacken seines eigens aufgestellten Weltrekords auf dem höchsten Vulkan der Erde.

Vor zwei Jahren, als Mitglied eines Teams um den Abenteurer Urs Pedraita alias Grizzly, gelang es Jiri Zak, den damaligen Höhenweltrekordhalter Gianfranco Bianchi aus dem Jahr 2015 zu schlagen. Der Chilene schaffte es damals auf dem Vulkanmassiv mit seiner modifizierten Suzuki RMZ 450 auf 6472 Meter Höhe über Meer. J. Zak übertrumpfte ihn mit einer Yamaha WR 450F. Auf dem höchsten Vulkan der Erde in Chile, dem Ojos del Salado (6.893 Meter über Meer), fuhr er im schwierigen Gelände, traversierte über zwei Gletscher bis zum Hauptkrater und positionierte die Latte neu auf 6546 Metern Höhe. Schliesslich liessen es die damals vorhandenen Schneemengen nicht weiter zu, die ultimative Höhe zu erreichen. Nach diversen Versuchen auf dem Kraterrand weiter an Höhe zu gewinnen, musste er einsehen, dass auf 6.546m Schluss war. "Wären die enormen Schneemengen nicht vorhanden gewesen, wäre ich nicht zu bremsen und hätte einiges mehr an Höhe herausgeholt", ist Jiri Zak überzeugt.

Da geht noch mehr! - Start des nächsten Abenteuers in extremen Höhen

Seit der beendeten Expedition im Februar 2020 lässt der Vulkan Jiri nicht mehr los. Nach monaterlanger Routenplanung und Training geht für ihn in der von Coronamassnahmen geplagten Welt die Rechnung dann doch noch auf - Chile öffnet am 1. November 2021 seine Grenzen für Touristen. Jetzt muss es schnell gehen. Das Motorrad wird vorgängig bei einem KTM-Fachhändler in Chile gekauft. Eine KTM 450 EXC-F in der Sixdays Ausführung, Modelljahr 2020. Ersatzräder und gute Reifen sind in Chile leider Mangelware. Somit reist dieses Equipment aus der Schweiz als Zusatzgepäck im Flugzeug mit. Bridgestone Battlecross Extreme und Michelin Xtrem gepaart mit Mefo Extreme Mousse sind für das Vorhaben in der Atacamawüste vorgezogen.

Ojos del Salado - Die unwirtliche und gnadenlose Spielwiese von Jiri Zak
Ojos del Salado - Die unwirtliche und gnadenlose Spielwiese von Jiri Zak

Als Gast bei einer deutschen Bergsteigerexpedition darf Jiri Zak das Zeltlager in der Höhe an der Laguna Verde nutzen. Er schläft im eigenen Zelt, ist im Mannschaftszelt beim Essen willkommen und kann dank des mitgeführten GPS GARMIN Montana 700i mit InReach-Funktion mit Familie und den Liebsten in Kontakt bleiben. Noch hat er ein paar ruhige Stunden vor sich, doch danach beginnt der Ernst des Unternehmens, wie Jiri berichtet:

Das vielleicht wichtigste überhaupt: Höhenanpassung

Um den Symptomen einer Höhenkrankheit vorzubeugen, muss man sich schrittweise an die Höhe gewöhnen und keine höhentaktischen Fehler begehen. Vor allem mit dem Motorrad ist das sehr gefährlich, da man sich zu beginn der Akklimatisationsphase im Flow leicht vergisst und zu schnell im verlockenden Gelände an Höhe gewinnt. Inzwischen bin ich recht erprobte und weiss, wie ich die Akklimatisierung am besten angehe. Nach diversen Wanderungen auf die umliegenden Berge und Geländetraining mit der Enduro für die Höhenanpassung unternehme ich immer wieder Fahrten zum Ojos-Massiv. Rasch stellt sich heraus, dass die bisher befahrbare, durch eine Felsrinne führende Normalroute über das Refugio Tejos auf 5837 Metern Höhe nicht funktionieren wird. Die sehr steile Route durch die Verengung ist komplett durch Penitentes (= Büssereis; Ein Feld aus meterhohen Eiszacken) zugesperrt. Es dürfte eine Woche in Anspruch nehmen, um mit ordentlich Menpower diesen Abschnitt auf 6000 Metern Höhe zu säubern. Ein echter Rückschlag, der mich obendrein noch verunsichert, denn die allgemeinen Geländebedingungen sind nämlich im Vergleich zur letzten Expedition deutlich besser.

Plan B: Auf der Suche nach einem neuen Einstieg

Ich hatte jedoch einen Plan B, der sich anschliessend als Ass im Ärmel erwies. Ich fand eine neue Route hoch. Der Einstieg war total entlegen. Einen Tagesmarsch vom Refugio Atacama weg. An einem anderen Tag folgte ich zu Beginn meinem gezeichneten Track. Kein Baum, kein Strauch, kein Weg. Fahles Licht. Etwas staubige Luft. Ich bin begeistert vom Flow. Im vierten und fünften Gang brettere ich dem diffusen Horizont entgegen. Die Zunge knochentrocken, die Lippen aufgerissen. Wechsle vom feinen gelben Sand über steinige Passagen durch kleine Schluchten wiederum zu feinem Sand und Auffahrten in Dünen in Richtung des vermuteten Einstiegs. Doch dann - ohne Anzeichen, ohne Vorwarnung - eine Kante. Ein Sprung ins Leere. Ich überspringe ein sterbendes schmales Penitentesfeld unterhalb entlang der Kante und lande im praktisch ausgetrockneten breiten Flussbecken des Ojos-Gletscherabflusses. Das Originalfahrwerk der KTM schluckt die Landung problemlos. Die Wüste erlaubt dir keine Fehler. Vor allem erst recht nicht in dieser einsamen, menschenleeren Gegend auf einer Höhe um die 5000 Meter über Meer. Das Gelände erhebt sich. Gegen 5200m Höhe erreiche ich den vermuteten Einstieg. Schon auf den ersten Blick sieht es vielversprechend aus. Hinter einem Felsen geht es gleich hoch. Ich halte nicht mehr an und schraube mich gleich 400 Höhenmeter auf 5600 hoch. Dann muss ich den Staubschutzüberzug vom Luftfilter entfernen. Für die kommenden Höhenmeter brauche ich jedes Kw Power. Es geht zwar gleichmässig hoch, aber ich muss auch mal im Hang von der Luvseite in die Leeseite wechseln. Jetzt ja nicht mehr anhalten! Hier und jetzt auf über 6000 Metern Höhe das vergrabene Hinterrad auszubuddeln und in eine neue Spur zu versetzen, ist ein wahrer Albtraum. Der Hinterreifen im Zusammenspiel mit dem noch kraftvollen Motor arbeiten sich zuverlässig weiter hoch. Bald stehe ich auf 6200 Metern Höhe. Viel Zeit hier oben habe ich wegen der nicht abgeschlossenen Höhenanpassung nicht. Doch ich kann es nicht lassen. Die innere Stimme sagt mir "Fahre doch weiter, wenn du glaubst, dass der beste Abschnitt noch vor dir liegt!" Bald stehe ich vor dem riesigen zerklüfteten Gletscher. Es sieht übler aus als vor zwei Jahren. Wäre ich jetzt zum ersten Mal da gestanden, dann no way!

Höhen-Weltrekord mit dem Motorrad
Büßereis ist nur eins von vielen Hindernissen mit denen Jiri im chilenischen Hochgebirge zu kämpfen hat.

Da ich den Gletscher ja schon etwas kannte, traute ich mich erneut entschlossen darüber. Der Gletscher weisst vergleichsweise mehr Furchen auf und ist härter. Ich wage mich trotzdem im Alleingang rüber. Meine Neugier lässt nicht locker und so steuere ich auch noch den Hauptkrater auf 6500 Meter Höhe an. Zu meiner Ernüchterung stelle ich fest, dass es ohne Schnee nicht unschwieriger ist. Der sandige Boden im Steilhang ist dermassen lose, weswegen die dank der herrschenden sehr tiefen Temperatur gegen - 16 Grad Celsius hart gewordenen Reifen nicht ausreichend Grip aufbauen und sich vergraben. Vom Kraterrand aus blicke ich runter in die Teufelsküche. Es zischt sehr laut, wie eine Jetturbine kurz vor dem Abheben. Genug gesehen. Schnell wieder runter und an neuen Strategien und Lösungsansätzen arbeiten.

Oder doch eher Plan C? - Eisige Kälte am grössten Vulkan der Erde

Ich gebe mich noch nicht zufrieden und vermute einen weiteren noch nicht entdeckten Einstieg. Hier kann mir der Bergführer Cristian mit seinem Toyota Hilux unmöglich folgen. Die Gegend ist zu abgelegen und voll mit schmalen Canyons. Ich fahre allein los. Habe jetzt das Hinterrad mit dem Michelin Xtrem Reifen montiert. Die Neugierde ist gross! Schaffe ich damit echt mehr am Hauptkrater? Ich will es herausfinden und fahre wieder hoch zum grossen Gletscher. Nach deren problemloser Überquerung in meiner bereits eingefahrenen Spur starte ich den Angriff in die Rampe des Westgipfels. Unglaublich, ich komme nur 30 Höhenmeter weiter als vor 2 Tagen. Der Hang ist einfach zu trocken und sandig. Ich traversiere erneut zum Hauptkrater und versuche dort alle auf dem Kraterrand möglichen Varianten. Sowohl zum Hauptgipfel als auch auf den Westgipfel. Auf dem Grat zum Hauptgipfel scheitere ich an zu grossen Steinbrocken in der Linie, die mir den Schwung bremsen. Im dritten Anlauf auf den steinigen Grat des Westgipfels komme ich dann doch noch auf 6556 Meter Höhe laut meinem GPS. Ein kleiner Trost. Juhuii, ich hab meinen Höhenweltrekord um 10 Meter geschlagen. Die Freude hält sich in Grenzen. Der grosse Triumph ist wieder in weite Ferne gerückt. Die Temperatur liegt gemäss meiner Anzeige bei -16 Grad. Dazu der starke Wind. Morgen und übermorgen soll es im Gipfelbereich -36 Grad kalt werden mit Windgeschwindigkeiten um 110 km/h. Das sind Zustände wie am Mount Everest. Ich muss die dicken Handschuhe über die Fingerhandschuhe anziehen. Ich fange auch auf dem Oberkörper an zu frieren. So ist es nun mal - im Enduro kämpt man mit allem Möglichen: mit dem Wetter, mit der Strecke und mit sich selbst. Müsste ich auch noch mit der Maschine kämpfen, weil sie mir zu bockig ist und meine Reserven erschöpft, dann würde ich mich auf solche Abenteuer und Strapatzen gar nicht erst einlassen. Aber das muss ich nicht. Ich habe in meine KTM vollstes Vertrauen. Nur noch schnell vom Berg runter. Ich habe bestimmt noch zwei Stunden Zeit, um den Einstieg auf die Hinterseite des Westgipfels anzuschauen. Trotz des immer stärker werdendes Windes lege ich los. Es sind ja nur 4 Kilometer. Das Gelände ändert komplett seine Struktur und es riecht sogar nach Schwefel. Ich muss vergletscherte, mit Sand überdeckte Passagen durchfahren und steile steinige Hänge runterfahren. Das gehört halt alles dazu. Ob schnell, langsam, steil, flach, feucht, trocken, sandig, steinig oder matschig - durchhalten und durchkommen lautet immer meine Devise.

Höhen-Weltrekord mit dem Motorrad
Navigation und das Lesen des Terrains sind immens wichtig beim Erklimmen des Vulkans

Kurz vor dem Einstieg ist dann Schluss mit Lustig - zwei parallel verlaufende tiefe, mit Sand ausgekleisterte Eisspalten versperren mir den Zutritt zum Einstieg. Einer Brücke darüber traue ich keinesfalls. Und wenn schon - die zweite Spalte hatte im näheren Umkreis keine Quermöglichkeit. Dieses Projekt muss ich wirklich aufs Eis legen. Ein Sandsturm baut sich am Horizont auf. Ich folge etwas den Spalten und drehe nach Osten ab. Die Sicht kommt einem dicken Nebel gleich. Der Sand fliegt mir in jede Öffnung im Helm und peelt mein Gesicht. Das Kleberdekor der KTM wird regelrecht sandgestrahlt und von den Plasticks entfernt. Abartig, wie es den feinen Sand gegen den Himmel hochwirbelt. Nur noch weg hier! Ich folge bloss meinem Instinkt. Beim Refugio Murray werde ich abgeholt.

Ein letzter Anlauf!

Wir fahren um 07:00 Uhr los mit dem Ziel, die entlegene Rückseite des Westgipfels des Ojos del Salado anzuschauen. Die Route ist eindeutig. Über einen alleinstehenden Hügel den weitere Geländeverlauf abschätzen und einen Weg zur Rückseite des Berges finden. Es ist wieder sehr kalt draussen. Mein Michelin Extreme Reifen ist aufgrund der Minusgrade hart wie ein 5 Jahre alter Motocross-Reifen. Begeistert davon bin ich überhaupt nicht. Kenne sonst unter normalen Temperaturen im schwierigen Gelände keinen besseren Reifen.

Höhen-Weltrekord mit dem Motorrad
Zum Genuss der unfassbaren Aussicht bleibt in so großen Höhen wenig Zeit.

Nach dem Refugio Murray sind wir wieder auf der Holperpiste zur Abladestelle in Richtung Camp Atacama auf 5250 m. Die Sonne ist aufgegangen. Doch der El Muerto (Der Tote) wirft seinen Schatten auf die Abladestelle und die grosse Düne. Cristian verlässt mich und fährt weiter zum Tejos. Mir ist klar, dass er mindestens eine Stunde Fahrzeit benötigen wird. Auch noch eine weitere Gehstunde danach von Tejos durch die Felsrinne über Refugio Amistad 6080 m zum ersten Gletscher. Dort ist der Treffpunkt. Wenn ich jetzt meine Route gleich hoch zum Gletscher auf 6080 Meter fahre, werde ich dort wohl wegen des Wartens erfrieren. Da warte ich lieber die eine Stunde auf 4800m. Trotz meiner Kleider friere ich. Vor 08:40 brauche ich nicht loszufahren. Ich laufe die Sandpiste hoch und runter, um mich zu wärmen. Der Schatten des El Muertos ist auch schon weg. 08:45 Uhr. Ich fahre los. Ich liebe den Trail. Mittlerweile sind schon 4 Spuren drin von mir. Brauche gar nicht mehr aufs GPS zu gucken. Einfach den Spuren folgen. Der Sandsturm von Vorgestern hat einige Stellen verwischt. Egal. Man folgt seinem Erinnerungsvermögen und Instinkt. Es fängt an zu winden. Es ist noch sehr kalt. Trotzdem halte ich erneut beim riesigen Krater auf 6200 Metern an. Die ringförmigen Seitenwände und der am Grund des Kraters sich gebildeter See haben echt mit einem Fussballstadion etwas gemeinsam. Muss durch ein Labyrinth von Penitentesfeldern durch. Zum Glück gut überschaubar. Dieser Winter soll laut Einheimischen besonders schneereich und windig gewesen sein, was die Penitentesbildung in tieferen Lagen, als die Gipfel selbst, begünstigt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich vor zwei Jahren so durchmanövrieren musste. Da stehe ich nun vor dem ersten Gletscher. Er ist vergleichsweise bestimmt ums zweifache gewachsen. Von Canyons im Eis keine Spur. Einfach ne voluminöse spiegelglatte, stellenweise rissige Oberfläche mit einigen Penitentes. Kein Wunder, nannte M. Jeschke diese leicht geneigte Stelle, den Schrägen See. Ich quere vorsichtig den Gletscher mit meinen Crossstiefeln. Gehe Cristian entgegen. Unsere Funkverbindung ist zwar da, aber durch mehrere Naturhindernisse gestört. Es ist 09:20 Uhr. Ich habe direkte Sicht auf Amistad. Der Wind ist so frisch, dass ich es nicht mehr aushalte und mich unter einem überhängenden Felsen verkrieche. Um 10:00 Uhr ist es so weit - Cristian taucht auf. Ich zeige ihn meinen Weg über den Gletscher. Auf einer offenbar dünnen Stelle breche ich mit einem Bein ein. Nix passiert. War so etwas wie eine Luftblase. Tagsüber taut das bestimmt auf und unten durch fliesst dann das Schmelzwasser. Cristian nimmt den Soziusplatz ein. Wir fahren sofort los in die Richtung des Hügels. Auf einer Zipfelkante müssen wir ernüchtert feststellen, dass der Hügel (6472m) von unzähligen Penitentesfeldern umrahmt ist. Durchkommen unmöglich!

Neuer Weltrekord in der Kategorie Motorrad

Plan B (Oder C? D?): Wir fahren zum oberen Gletscher und versuchen auf der anderen Seite des Gletschers in der Bergflanke des Westgipfels parallel zum Gletscher zu traversieren und so auf die Rückseite des Westgipfels zu gelangen. Schon beim Anblick der steil abfallenden Flanke in den Gletscher wird klar, dass das nicht funktionieren wird. Ich werde kaum die angestrebte Höhe während der Traversierung beibehalten können, ohne in die Furchen des zerklüfteten Gletschers zu rutschen. In der Nacht hat es am Bergmassiv Tres Cruces geschneit. Vielleicht hat auch der Ojos einige Schneeflocken abbekommen. Durch die Kälte und das Wasser könnte auch der sandige Untergrund etwas kompakter sein. Ich fahre mittlerweile ohne Hemmungen über den grossen Gletscher und warte dann auf Cristian. Cristian macht mir oben am Krater Mut und sagt, dass ich doch ab dem Kraterrand im Zickzack hochfahren soll. Er würde mir bei Bedarf helfen . Da stehe ich wieder vor dem Steilhang und denke, wie soll das nach den gescheiterten Versuchen gehen? Wie soll ich das 140 Höhenmeter weiter oben sich befindende Flachstück erreichen? Links der Abhang in den Krater. Cristians Gestik sagt alles - los! Das Herz fängt mir bis in den Hals an zu schlagen. Und ich wage es erneut. Im voll ausgedrehten 2.ten Gang ackere jetzt den steinigen Hang hoch und bleibe auf 6547 Metern Höhe stehen. Ich weiss, es trennen mich noch knapp 100 Höhenmeter vor einem Teilsieg. Ich fange in diesem losen Hang an, serpentinenmässig hoch zu traversieren. Als ich Cristian einmal dazu auffordere, mir doch bitte einmal am Vorderrad zu drehen, wenn ich los sage, tat er dies. Nur musste er sich danach gefühlte 2 Minuten unter pausenlosen Schnaufen erholen. Das wars dann wohl mit dem Bei Bedarf helfen.

Höhen-Weltrekord mit dem Motorrad
Das Beweisbild: 6.640 m über dem Meeresspiegel - Und Jiri will immer noch mehr!

Wir stehen nicht unter Zeitdruck. Ich bin mittlerweile auch gut akklimatisiert und ertrage die Strapazen dank strenger Disziplin und den extremen Sauerstoffmangel gut. Somit bin ich nicht mehr zwingend an ein 5 - 6 stündiges Zeitfenster in dieser extremen Höhe gebunden. Trotzdem hechle ich wie ein Hund nach einer grossen Belastung in der Hitze. Ich arbeite mich laut GPS Höhenmeter für Höhenmeter vor. Dann vergräbt sich wieder das Hinterrad. Muss das Moped wieder aus dem Loch anheben und versetzen. Irgendwann erreiche ich eine Art Nase. Hier funktioniert der zweite Gang nicht mehr wirklich. Ich beschleunige was es geht. Das Adrenalin schiesst ein. Links von mir ein steiles Eisfeld direkt in den Abgrund des Kraters. Ich komme 35 Höhenmeter hoch, dann verkacke ich es. Kann den aufgebauten Schwung nicht halten - hab nämlich mit dem Hinterrad einen grösseren Stein ausgegraben und komme kurz darauf zum Stillstand. Es trennen mich noch 10 Meter zur Kante. Ausgerechnet in der steilsten Partie. Ich pfeife aus allen Löchern. Einem Teekessel hätte es schon längst die Pfeife abgejagt. Cristians mitgeführtes Thermometer zeigt -20 Grad an. Ich merke die herrschende Kälte nur im Gesicht. Vereinzelte Wolken ziehen von Nordwesten an. Ungefähr 30 Meter über uns ziehen sie mit enormer Geschwindigkeit vorbei. Sowas hab ich noch nie gesehen. Cristian hat schon vor knapp einer halben Stunde das Flachstück im Westgipfel auf ca. 6640m erreicht und kauert neben einem Felsblock, um sich gegen den starken Wind zu schützen. Ich nenne dieses Flachstück den Balkon. Als ich mit dem letzten Willen oben ankomme, weiss ich gar nicht, ob ich mich überhaupt freuen soll. Der weitere Weg in Richtung Sattel nach Argentinien ist in der Seitenflanke so steil, dass ich mir in meinem desolaten Zustand nichts mehr zutraue. Ich fahre nach rechts zu den Ausstiegspuren der Unimogs von M. Jeschke. Dann beschleunige ich noch das letzte Mal gegen den Felshang im Schotter und komme vermutlich 10 Meter höher zu stehen. Das GPS zeigt nun 6646 Meter Höhe an. Ein neuer Weltrekord in der Kategorie Motorrad.

Das Ende des Abenteuers

Genug! Ich friere. Bin erschöpft. Verfüge über keine Leistungsreserven mehr. Ich stürze mich den steilen, sandigen, knapp 200 Höhenmeter-Zustieg der Unimogs runter. Der Boden ist dermassen sandig und tief, dass mir das Vorderrad wegrutscht und stecken bleibt. Ich lande im weichen Sand gleich neben dem Moped. Nix passiert - die aus der Schweiz mitgebrachten Klapphebel sind ganz. In weniger als drei Minuten stehen wir wieder 300 Meter tiefer am grossen Gletscher. Keine Zeit zur Vorsicht. Ich will nur noch runter, so durchgefroren und entkräftet ich bin. In der Ferne im Tal baut sich wieder ein Sandsturm auf und steuert üblicherweise auf das Ojosmassiv zu. Ich bin noch auf 5300m als mich der Sturm touchiert. Dieses Mal bekomme ich nicht die volle Stärke zu spüren. Nix wie weg. Die Reifenspuren sind stellenweise wieder im feinen Sand verschwunden. Ist ja nicht mehr weit. Die Abfahrt die grosse 150 Höhenmeter-Düne beendet das heutige Offroadabenteuer und ich steuere auf das Refugio Murray zu, um mich dort etwas windgeschützt zu erholen, bis mich Cristian dann mal abholt. Währenddessen sammeln sich bereits unzählige Glückwünsche zu meinem neuen Weltrekord auf meinem Garmin Montana 700i InReach GPS. Das freut mich natürlich wahnsinnig. Für mich innerlich ist es aber nur ein kleiner Triumph, da ich viel mehr vorhatte, als eine Höhe von 6646 Metern zu erreichen. Der Michelin Hinterreifen ist abgefahren. Das reicht wohl nur noch für Ausfahrten zur Eisdiele.

Ich habe noch genügend Zeit und Kraft, meine anderen Projekte in der Gegend zu verwirklichen und so besteige ich zu Fuss zusammen mit dem Bergführer Cristian am 15.12.2021 als krönenden Abschluss den argentinischen Gipfel des Ojos del Salado. Die letzten 50 Höhenmeter rauben mir fast den letzten Willen. Doch nun stehe ich da, auf dem zweithöchsten Gipfel des amerikanischen Kontinents, auf 6893 Metern über Meer. Wahnsinn! Auf dem Gipfel bläst nur eine leichte Bise. Die enorme Freude von Cristian kann ich leider nicht teilen. Es ist mir bewusst, dass mir der Gipfel erst gehört, wenn ich wieder unten bin. Bis zu diesem Zeitpunkt gehöre ich ihm. Nach kleinen Rückschlägen bin ich auf das Erreichte dennoch stolz. Reich an Erkenntnissen und Erfahrungen, kann ich nun sagen: "Ich komme wieder!"

Bericht vom 09.03.2022 | 20'921 Aufrufe

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