Kawasaki Ninja H2 R Test

Testfahrt mit 326PS.

Einmalige Gelegenheit für NastyNils. Die Testfahrt mit der 326PS Rakete von Kawasaki war das intensivste Erlebnis aller Zeiten. Noch mehr geht nicht.

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Es waren bewegende Momente beim Abendessen. Gerade erst war ich in der aufstrebenden Wüstenstadt Doha in Katar gelandet und erwartete ein ruhigen Abend. Gefahren werden sollte erst am nächsten Tag, Zeit für Entspannung also. Doch unsere Tischgenossen hatten die Fahrt bereits hinter sich und plötzlich hatten wir das Gefühl, gerade beim letzten Abendmahl bei Tisch zu sitzen. Da waren Jungs dabei welche schon die TT gefahren sind und von Beschleunigung unvorstellbaren Ausmasses berichteten. Erfahrene Journalisten die schon alles gesehen und gefahren sind berichteten davon, diesen Tag niemals zu vergessen. Englische Kollegen waren ruhig und andächtig und meinten bloss es war the ride of my life.

Früher als sonst verliess ich diese an Euphorie und Adrenalin geladene Runde um ins Bett zu flüchten. Ich musste frei sein und brauchte einen klaren Kopf.

Kawasaki wollte ein aufregendes Motorrad

Auf dem Losail International Circuit hier in Qatar fuhren wir am Vormittag zuerst die Ninja H2 (Testbericht Kawasaki Ninja H2). Am Nachmittag stand die Ninja H2 R am Programm. In der Zwischenzeit hatte ich schon Gelegenheit mit den angereisten Kawasaki Produktplanern, Projektleitern, Designern und Technikern zu sprechen. Ich wollte wissen, wie es derjenige im Konzern überlebt hat, der bei einem grossen Meeting vorgeschlagen hat ein aufgeladenes Motorrad mit 300PS zu bauen. Die Antwort überraschte mich. Die Zeit war reif, die Stimmung war da, alle bei Kawasaki hatten das Gefühl das es an der Zeit war ein solches Motorrad zu bauen. Motorräder wurden in den letzten Jahren zwar immer stärker aber auch immer weniger aufregend. Wir sind alle Motorradfahrer und wollten endlich wieder ein aufregendes Motorrad bauen. Das war die Geburtsstunde der Ninja H2 R!

Und plötzlich griffen alle zu den Ohrschützern

Ich bereitete mich auf meinen grossen Einsatz vor und legte Helm und Handschuhe zurecht. Plötzlich griffen die Kawasaki Mitarbeiter zu den bereit liegenden Ohrschützern. Sie setzten sie sorgfältig auf und die Kawasaki Mechaniker schritten zu den Ninja H2 R Motorrädern. Als der erste Techniker den Startknopf drückte, erzitterten die Cafetassen in der Box. Als die weiteren Techniker ihre grünen Bestien zum Leben erweckten, schmerzte der Schalldruck am Körper. Dieser Moment liess niemanden kalt. Hartgesottene Kollegen welche auch schon MotoGP Bikes getetestet haben, wimmerten nur starr vor Angst oh my god und wir stopften uns Gehörschutz in die Ohren.

Wir fühlten uns wie todgeweihte Gladiatoren

Danach wurde es etwas ruhiger, der Helm wurde übergestreift und das Sichtfenster fokussierte sich auf das zähnefletschende Biest. Einem präzisen Prozedere folgend zupfte der Techniker den Gasgriff immer weiter auf, bis die H2 R endlich auf Betriebstemperatur war. Wir fühlten uns wie todgeweihte Gladiatoren ohne Schwert vor dem Kampf gegen ein Rudel Löwen. Alle hatten Angst! Draussen wurde mir die Maschine mit einem Kopfnicken übergeben und ich nahm andächtig Platz im Sattel. Die H2 R fühlte sich durch die Fahrten mit der H2 zum Glück vertraut an. Doch trotzdem musste ich den Fahrstil etwas ändern. Die R hat untenrum nicht mehr jenes Drehmoment wie die H2 und ich muss sie nun leider einen Gang tiefer fahren. Leider deshalb, weil ich hoffte mich halbwegs locker aus der Affäre ziehen zu können. Doch daraus wird nichts. Die H2 R braucht Ehrgeiz im Sattel, viel mehr als die zivilere H2. Positive Überraschungen erlebte ich aber in den ersten Kurven. Das Ansprechverhalten der H2 R war raus aus den Kurven zumindest nicht schlechter als das der H2 und über den gesamten Drehzahlbereich steuerst Du dieses epochale Triebwerk mit spielerischer Präzision. Das hätte ich so nicht erwartet. Die erste schnelle Kurve konnte dann schon mit hartem Druck genommen werden und die Reifen hielten dem Inferno tatsächlich stand. Bei 200 km/h feuert die H2 R mit unbeschreiblichen Druck aus den Kurven. Die Stabilität ist dabei perfekt und die Front fühlt sich zwar leicht an, hält aber einigermassen die Linie. Nur in der langen Links die mit 230 finalisiert wird, untersteuert die Rakete ein wenig.

Höchstgeschwindigkeit mit der Ninja H2 R

Die Zielgerade kam immer näher. Die letzte Gegengerade sorgte dann noch für einen Denkzettel. Im 3. Gang energisch das Gas zu öffnen machte mir jetzt wieder Angst. Zuerst Wheely, dann irre Beschleunigung und danach dieser infernale Speed der es mir unmöglich macht den Bremspunkt richtig zu setzen. Durch die immense Beschleunigung geht irgendwie das Gefühl für die richtige Geschwindigkeit verloren. Man will dieses durch die Sinne nicht erfassbare Erlebnis irgendwie in geregelte Bahnen lenken und so bremst man einfach immer zu stark. So steht man Kurve für Kurve mit deutlich zu wenig Speed im Radius rum.

Dann der Moment den so nur sehr wenige Motorradfahrer erleben können und dürfen. Die Kawasaki wird von der Leine gelassen. Nicht bloss für einen kurzen Moment, sondern 3 Gänge werden voll ausgeskostet. Alles was bis 12.000 U/min abgeht ist noch mit Erlebnissen mit SBK-WM Maschinen vergleichbar. Alles was darüber passiert ist Neuland. So wie damals der erste Mensch den Mond betrat oder die ersten U-Boote den Marianengraben erforschten. Nie zuvor hat ein Landfahrzeug solche Beschleunigung auf den Asphalt gebrannt. Bis 200 ist man ohnehin damit beschäftigt im Sattel zu bleiben, die bewusstseinserweiternde Erfahrung beginnt dort, wo bei anderen Motorrädern schon langsam das Ende in Sicht ist. Der irre Druck von 200 hinauf auf 300 ist für die Sinne einfach zu viel und jedes andere Sportmotorrad wirkt dagegen wie ein 125er Scooter. Der Fokus gilt nun ganz dem Ende der Zielgeraden und irgendwie muss man es schaffen den letzten Schaltpunkt bei 300 hinauf in die Sechste zu schaffen. Auf einer anderen Strecke würde es noch bis 350 oder 360 munter weiter gehen, hier ist bei 315-325 Schluss. Horst Saiger war einer der schnellsten Fahrer, packte 326, der Testfahrer von Kawasaki kam auf 328.

Das Beste und die Besten für die Ninja H2 R

Um diesen Speed zu fahren, um hier nicht ganz normal in die Hosen zu scheissen ist grosses Vertrauen nötig. Was wenn nun die Bremsbeläge aus den Bremssätteln fallen? Was wenn die Bremsleitung doch nicht 100% dicht ist? Kawasaki geht bei der Ninja H2 und der H2 R keinerlei Kompromisse ein. Jedes einzelne Bauteil an der Bremse muss anders als bei anderen Grossserienprodukten vom Lieferanten manuell geprüft werden. Im Kawasaki Werk arbeiten nur die besten Techniker an den Motorrädern und hier auf der Strecke sitzt jeder Handgriff bei der vermutlich besten Boxencrew der Welt. Ich vertraute blind und warf den Anker erbarmungslos. Denn auch die Verzögerungsleistung der Ninja H2 R ist ein Genuss. Durch den etwas längeren Radstand und die stark nach hinten orientierte Sitzposition ist auch die negative Beschleunigung wie von einem anderen Stern.

Die Ninja H2 R ist als Adrenalininjektion in jeglicher Hinsicht einer aktuellen MotoGP oder SBK WM Maschine überlegen. Zum einen bietet sie mal mehr Motorleistung und deutlich mehr Drehmoment (165 Nm). Zum anderen ermöglicht das stabilere Layout und die etwas komfortablere Sitzposition das Potential halbwegs auszuschöpfen. Was für Normalsterbliche bei Rennmaschinen nicht möglich wäre. Ich fuhr hier schon mal eine SBK-WM Maschine mit 100PS weniger am Kerbholz, aber war damit deutlich mehr überfordert als mit der Ninja H2 R.

Der Preis der Kawasaki Ninja H2 R

Die Eintrittshürde in die Liga der aussergewähnlichen Beschleunigung ist mit der Ninja H2R immer noch richtig hoch. Die Maschine kostet über 50.000 Euro und auch die laufende Wartung sowie der Reifenverschleiss ist deutlich intensiver als bei normalen Motorrädern. Auch wenn es lächerlich klingt, doch die Ninja H2R bringt die 300PS näher an Normalsterbliche ran als je zuvor. Denn schon jetzt gab es Freaks da draussen, welche sich ihre eigenen Speed-Raketen aus Hayabusas oder ZXRs zusammengebaut haben. Mit Turboladern, NOS Einspritzung oder beiden zusammen. Diesen Technikfreaks entlockt das Preisschild und der Wartungsaufwand der H2R jedoch nur ein müdes Lächeln. Selbst kasteit haben sich die Jungs mit ihren Kollegen, Nächte lang wurde geschraubt, frische Kolben wurden immer wieder vom Mund abgespart. Jetzt gibt es diese über 300PS aus einer japanischen Grossserienfabrik. Getestet, geprüft und zu kalkulierbaren Kosten. Jene die bei Beschleunigungsrennen an den Start gehen, wären mit einem Bike wie der H2R zwar sehr happy, aber Details wie die schicke Einarmschwinge hätten sie natürlich gerne konventionell, billiger und einfacher zu tunen.

Menschen mit gut sortierter Garage und Hang zur Seblstdarstellung oder zum bedingungslosen Genuss, kann ich die H2 R mit gutem Gewissen ans Herzen legen. Auf 4 Rädern muss man mindestens einen 0er hinten dran hängen, um ähnliche Euphorie bei der Beschleunigung erleben zu dürfen. Hier Informationen zum Preis der Kawasaki H2 R in Österreich. Aber ich wage zu behaupten, dass man selbst im Sitz eines Bugatti Veyrons nicht diese intensiven Erlebnisse hat. 2-Rädrige Alternativen gibt es ohnehin nicht. Wer auf Speed, Beschleunigung und Technik steht, der muss die Ninja H2R kaufen. Wer nicht, der wird sie nie verstehen.

Fazit: Kawasaki Ninja H2R 2015

Die Kawasaki Crew hatte ein Vision. Ein Motorrad zu bauen, welches für Aufregung sorgt und in Sachen Fahrleistungen und Technologie in komplett neue Dimensionen vorstosst. Diese Vision ist gelungen. Die 326 PS Maschine ist für erfahrene Piloten ohne akute Lebensgefahr zu pilotieren. Die Intensität der Beschleunigung ist unbeschreiblich. Es begeistert aber auch der perfekte Gesamtauftritt vom Motorrad mit unzähligen hochwertigen Details. Schwächen im Vergleich zu normalen Motorrädern erlaubt sich die H2 R bei der Gasannahme und bei der Linienpräzision bei hohen Geschwindigkeiten. Insgesamt ist die H2 R für den Testpiloten das faszinierendste Motorrad aller Zeiten und kann Benzinjunkies mit gutem Gewissen ans Herz gelegt werden. Die H2 R gibt es zum Preis eines gut ausgestatteten Premium-Kombis deutscher Produktion - nur mit "etwas" mehr Adrenalin.


  • Verarbeitungsqualität
  • Leistung, Drehmoment, Durchzug, In der 300PS Liga überraschend niedriger Wartungsaufwand
  • Beschleunigung - wie von einem anderen Stern
  • Dosierbarkeit vom Motor grundsätzlich sehr gut
  • Mit Körpergrösse über 185 cm unbedingt probesitzen - es könnte knapp werden für die Füsse
  • hochwertige Details an allen Ecken
  • Über 300PS, trotzdem höchste Qualitätsstandards aus Serienproduktion
  • grandiose Lackierung
  • hervorragende Bremsen
  • Tolle Stabilität in jeder Lebenslage
  • Ansprechverhalten vom Motor bei den ersten paar Grad am Gasgriff
  • Untersteuern bei hohen Geschwindigkeiten
  • Höherer Wartungsaufwand als bei normalen Motorrädern
  • Der Sound ist infernalisch - kann man lieben, kann aber auch zu Problemen auf Rennstrecken führen

Bericht vom 08.03.2015 | 142’649 Aufrufe

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