Ducati Hypermotard 939 2016 Test

Aufrecht, minimalistisch und verdammt agil

Seit nahezu 10 Jahren begeistert die Hypermotard-Reihe Ducati's die anspruchsvolle Motorradwelt. Die Idee dahinter erscheint einleuchtend: Weniger-ist-mehr, reduziert auf ein Minimum, aber fokussiert auf viel Spass durch maximalen Performance. Das beste aus zwei Welten: Die Agilität, Direktheit und Aufrichtigkeit einer Supermoto, befeuert von einem mächtigen, nun auf 937 Kubik erweiterten 11° Testastretta-Twin, der bis 2 Kilo auf der Uhr sicher nicht abreisst. Herz der Alpenkurven, was willst Du mehr?

Na klar: Ausprobieren, fahren, testen und er-leben wollte mein Herz dieses heuer komplett überarbeitete Konzept der drei "Hyper-Familienmitglieder": Der Hypermotard 939 als breit aufgestellte Kombination aus Sport und Vielseitigkeit, die Hypermotard 939 SP als radikaler Supersportler, sowie die "Hyperstrada 939" genannte Tourenversion für Pendler, Geniesser und Reisende auf mittel-langen Etappen, letztere inklusive Gepäcklösung, serienmässig. Die Vorfreude auf radikales Andrücken auf Strasse und Ring mit den beiden Motards - mitten im heimischen Tiroler Winter - war bereits bei der Anreise nahezu unbändig stark zu spüren. Ich träumte von den spitzen Sporen, die ich den nun 113 Pferden geben wollte. Ich träumte von langen Hang-Offs, fetten Powerslides, und späten, harten Bremsmanövern, also all das, was nach Superlative im Kurvenparadies klingt.

Umso bitterer dann der Morgen dieses heiss ersehnten Testtages, etwas Landeinwärts von Barcelona: Regen-wie-aus-Kübeln! Zarte 4 Gad plus, Tendenz: Wechselhaft über den ganzen Tag hin. Na bravo ... Am Weg zu den Bikes stellte sich mir dann die eigentlich wichtigste Frage: Was mache ich mit so einer grosskalibrigen Waffe bitte bei solchen Bedingungen? Ja, zugegeben: Kurz war ich schwer enttäuscht, denn "Überleben" kommt vor "Performance", und wer schon mal Spanische Hinterland-Strassen bei solchen Witterungsbedingungen unter seinen Reifen hatte, der weiss: Bloss nicht frech werden, sonst gibt's was auf die Mütze. Ständig wechselnde Strassenbeläge, oft holprig und voll mit vom Regen herein gespültem Erdreich - meist lange unsichtbar, gemein am Kurvenausgang lauernd.

Nun aber, in der wiedererlangten Distanz meines heimatlichen Schreibtisches, muss ich zugeben, dass dieses Wetter für meine eigentliche Aufgabe des "voll umfänglichen Testens" sogar hilfreich war! Denn nur so, bei solch widrigen Umständen, freue sogar ich mich als gelernt-analoger Andrücker auch sehr über den elektronischen Copiloten. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass mein Fahrtag ohne diese Hilfen sicherlich nicht ganz ohne Kratzer geendet wäre!

Doch der Reihe nach: Ich begann am Vormittag mit einer Ausfahrt auf der "normalen" Hyperstrada über angenehm drehende Landstrassen. Die drei voreingestellten Fahr-Modi des grossartigen DSP (Ducati Safety Pack) namens "Sport", "Touring" und "Urban" greifen über ABS-, Traktionskontrolle-, und Motormanagement-Details ein. Ich begann mit dem voreingestellten "Urban" Setting, bei dem die Spitzenleistung von 113 PS auf 75 PS reduziert wird. Auch wird der (Ride-by-Wire-)Gasgriff in diesem Setting sehr lang und ausgezeichnet dosierbar, das ABS reagiert nahezu vorausschauend schnell und die Traktionskontrolle hat mit den wenigen aktiven Pferden ohnehin nicht allzu viel Arbeit.

Es dauerte aber nur bis zum ersten Schnellstrassen-Teil dieser schönen Runde, und mir wurde fad mit "Urban". Also schaltete ich auf den Modus "Touring" um, was im Fahrbetrieb ja kein Problem (mehr) ist. Der Druck auf's Hinterrad wurde nun genau so, wie ich es erwartet hatte, das ABS regelte etwas später und auch die Drehfreudigkeit des Motors nahm zu. Alles wurde dynamischer. Trotz edler Serienbereifung mit den Pirelli Diabolo Rosso II Schlapfen erinnerten mich die langen Bremswege zum Glück regelmässig daran, dass es immer noch verdammt nass und rutschig war.

Als ich dann, kurz vor Rückkehr dieser Ausfahrt, auch noch (natürlich nur "der Vollständigkeit halber" ... ) den "Sport"-Modus anwählte, kam Beschleunigungs-seitig das erste Mal so ein richtiges "Daheim"-Gefühl auf. DAS war - und das IST zum Glück immer noch - Original Ducati-Feeling! Die scharfe italienische Edelschmiede für kompromisslose Öfen lebt! Verdammt kurzer Gasweg am Griff, ultra-direkte Befehlsweitergabe von Handgelenk an Hinterreifen, bei enorm starkem Druck ab ca. 4.000 Umdrehungen und reine, satte Ducati-Musik aus dem - eigentlich Euro-4 geknebelten - Riesen Schornstein. Erst die erste Zielbremsung mit einem nun wirklich sehr spät eingreifenden ABS erinnerte mich wieder an den gegebenen Grip. Doch es ging sich aus ... und das Mittagessen war schwer zu kauen ... mit meinem Dauergrinsen. Ich reflektierte also über Motor und Gewicht, um wieder runter zu kommen ...

Der legendäre Testastretta Motor Ducati's, ein 11 Grad L-Twin mit Desmo-Ventilsteuerung, bekam für die Hypermotard Familie 2016 einen ordentlichen Upgrade umgehängt. Der um rund 100 Kubik erhöhte Hubraum - bei gleich grossen Ventilen - schafft mehr PS und mehr Drehmoment vor allem dort, wo's der normalsterbliche 2-Zylinder Ritter des öffentlichen Winkelwerkes auch wirklich braucht: Unten und in der Mitte des Drehzahlbandes. Die nun erreichten Drehmomentwerte entsprechen bei 6000 Touren einer Steigerung gegenüber dem letztjährigen Aggregat von fast 20% und am oberen Ende der Leistungskurve, bei 7.500 Revs, einer Druck-Steigerung von 10%. Dort zerren dann satte 98 Newtonmeter an der Kette!

Und erst das Gewicht! So wenig davon!! Wie schafft es Ducati, ein solches Sportgerät mit 16 Litern vollgetankt und fahrfertig auf 204 Kilo (die SP auf 201 KG!) 'runter zu optimieren, wo doch alleine der unnötig-blade Euro-4 Schornstein eine grosse Menge an totem Gewicht ausmacht? Es muss die Reduktion auf das Wesentliche in diesem Hyper-Konzept sein und es sind durchwegs sehr edle, leichte Teile, die da verbaut werden.

Nach dieser kurzen Phase des Fütterns, Trocknens und Reflektierens ging die Action dann auf der Ringstrecke weiter. Mit echten, frisch aufgezogenen, vorgewärmten Track-Regenreifen und der super-sportlichen Hypermotard 939 SP. Und es begann rechtzeitig wieder so zu schütten, dass sogar kleine, dreckige Bäche über die Steilkurven rannen. Schon beim Aufsitzen spürt man den ersten grossen Unterschied der Ring-SP zur Strassenschwester: Die nur dort verbauten edlen Öhlins-Federelemente sind sehr knackig-hart abgestimmt und die Fuhre liegt gesamt etwas höher. Ich starte, und auch hier ist aus 3 voreingestellten Fahrmodi zu wählen: "Wet", "Sport" und "Race". Ducati setzte für die Einführungsrunde auf sicher und "Wet" war Pflicht. Gut so, denn viele Unbekannte waren in meiner Gleichung: Neues Bike, ein mir noch unbekannter Track, meine persönliche Premiere auf Regenreifen ... und dazu auch noch dauernd "Live-in's-Kameramikrophon" quasseln. Da half dieses ebenfalls auf 75 PS geknebelte Setting sehr. Aber bereits nach der Einführungsrunde musste ich aus nicht-sehr-rationalen Gründen sofort in den scharfen "Race"-Modus wechseln. Dort? Keine Gefangenen: Gar kein ABS am Hinterrad mehr, ultra-kurzer Gasweg am Handgelenk und massives Feuer unter'm Allerwerstesten!

Wenn nur noch Millimeterarbeit des Handgelenks darüber entscheidet, ob-, und wie man aus der Kurve raus beschleunigt, wirkt das Blitzen der immer noch helfenden Elektronik am sehr übersichtlichen Cockpit wirklich sehr beruhigend. Man fühlt sich nicht ganz so alleine hinter dem beschlagenen Helmvisier. Die Regenreifen hielten lange Zeit mehr als meine Nerven. Erst am Ende des letzten Stints, mittlerweile auf nicht mehr ganz frischen Gummis, aber vollster Motivation (weil letzte Runde ...) ereilten mich zwei Gas-Rutscher vom Härtesten. Unglaublich, wie schnell und vollkommen ohne Vorankündigung diese Wunderreifen dann doch plötzlich nicht mehr halten, und ebenso unglaublich, dass mich die Traktionskontolle trotzdem im Sattel verbleiben liess.

Mein Topspeed auf dieser eher engen Strecke lag mit der SP bei ca. 200 km/h, und es fühlte sich trotz der aufrechten Sitzposition und dem zunehmenden Winddruck am Helm noch immer recht stabil und sicher an. Nur in den schnellen, etwas welligen Kurven bemerkte ich eine leichte Unruhe im Fahrwerk aufkommen. Ich denke, für solche Highspeed-Kurven liegt der Schwerpunkt dieses Bikes wohl dann einfach generell etwas zu hoch. Im real gelebten, öffentlichen Betrieb jedoch gibt's solche schnellen Kurven aber ohnehin nur sehr selten bei uns, und der Topspeed mit +200km/h bei Standardübersetzung reicht immer noch leicht aus zum mächtig Durch-Beschleunigen bis zum nächsten Bremspunkt.

Das dritte Familienmitglied, die Tourenversion mit Gepäcksystem, genannt "Hyperstrada", war nur ausgestellt und konnte nicht gefahren werden. Aber da Rahmen, Elektronik und Motor den Hypermotards entsprechen, gehe ich von einer ähnlich starken Performance aus. Meiner Meinung nach ist jedes Mitglied der "Hyper 939 Familie" die nahezu perfekte Waffe für unsere Geographie. Und spätestens, wenn sich die hauseigene Tuningabteilung "Ducati Corse" über den Motor hermacht, sprechen wir bei der Hypermotard 939 über potentielle Klassenbeste im alpinen Winkelwerk - Bravo Ducati!

Phett_Laut

PHETT_LAUT

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Fazit: Ducati Hypermotard 939 2016

Du willst würdige, aufrechte und leichtgewichtige Herbrennungen verabreichen? Du willst Nakeds, Streetfightern und - im engen Winkelwerk - sogar Supersportlern den viel zu schweren Euro-4 Auspuff zeigen? Deine Beine reichen bis zum Boden und Dein Konto kann die € 14.295.- (bzw. € 17.995.- für die SP und € 15.495.- für die Multistrada) verkraften? Dann könnte diese Hyper-Familie Dir Dein ideales Adoptivkind stellen!


  • über das gesamte Drehzahlband druckvoller Motor
  • typischer Ducati-Sound
  • angenehme und aufrechte Sitzposition
  • direktes, agiles Handling
  • grossartige Elektronik
  • sehr leichtes Kampfgewicht
  • stilvoll-italienische "weniger-ist-mehr" Optik
  • leichtes Unruhe-Gefühl in sehr schnellen Kurven
  • Euro4 Schornstein verpflichtend verbaut

Bericht vom 03.03.2016 | 63'509 Aufrufe

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