BMW HP4 Race

80.000 Euro Edelrenner im 1000PS Test

Die Eckdaten lassen auch versierte Testpiloten andächtig niederknien. 215 PS und 171 Kilo voll ist näher an der MotoGP als an einem Serienmotorrad. Die BMW HP4 Race im intensiven Rennstreckentest.

Ich war erleichtert. Die HP4 Race fährt erstaunlich normal und die Chancen standen gut die 80.000 Euro Granate sicher durch den Tag zu bringen. Denn Motorräder in dieser Liga, noch dazu mit Carbonrahmen, präsentieren sich gerne wie eine bestialische Diva. Doch die HP4 Race ist anders. Endlich mal gibt es ein richtig schnelles Motorrad, welches nicht zusammengedengelt und exotisch daherkommt. BMW hat das Thema Carbon im Motorrad auf ein neues Niveau gehoben und hier auch komplett neue Möglichkeiten für die Zukunft geschaffen.

BMW HP4 Race - Vergesst was ihr bisher schlechtes über Carbon gehört habt.

Erstmal muss man sagen, dass der Carbonrahmen an der HP4 Race nichts mit dem zu tun hat, was man landläufig unter Carbon versteht. Hier hat man auf die Erfahrungen mit dem BMW i8 zurückgegriffen. Die Carbongelege werden im RTM (Resin Transfer Moulding) Verfahren zu einem Monocoque Rahmen verarbeitet. Dabei sind nun zwei Dinge wesentlich. Erstens wird nicht jeder Rahmen per Hand zu einem Einzelstück gemacht. Die Rahmen werden in einer teuren Form in einer Serie von 750 Stück produziert. Dabei sind die Toleranzen von Rahmen zu Rahmen sehr gering und liegen in Sachen Torsionssteifigkeit unter 0,4%. Auf der anderen Seiten hat man beim gesamten Rahmenaufbau die Möglichkeiten des Werkstoffes voll ausgeschöpft. Man hat den Winkel der Carbonfasern zueinander und die Dicke des Rahmens an jeder Stelle an die jeweiligen Erfordernisse angepasst. Zur Sicherheit hat man im Rahmen auch noch Schottwände, welche bei kleinen Schäden am Rahmen nicht sofort zu einem Bruch führen.

BMW HP4 Race mit Carbonrahmen - Fährt ganz normal, nur besser.

Am Ende geniesst man den Rahmen in Kombination mit den Felgen auf der Strecke in vollen Zügen. Genau so muss ein Motorrad fahren. Am Kurveneingang bietet die HP4 Race eine sagenhafte Rückmeldung und man fühlt sowohl das Vorderrad als auch das Hinterrad sehr gut. Das Data-Recording offenbart, dass man im Scheitel um bis zu 8 km/h schneller ist als mit der Standard S 1000 RR - bei gleichem Fahrer und gleichen Reifen. Das ist ein gewaltiger Unterschied.

BMW HP4 Race - Schnellere Rundenzeiten auch für wenig talentierte Fahrer

Noch einfacher fällt es die Vorteile des Motorrades am Kurvenausgang und auf der Geraden auszukosten. Am Kurvenausgang beginnt man das Drehmoment des traumhaften Race-Aggregates in die Waagschale zu werfen. Der Motor hängt sauber und präzise am Gas und fühlt sich nicht anders an wie ein normaler Motor. Nur zerren eben noch mal 15PS mehr an der Kette als bei der ohnehin schon nicht schwachen S1000RR. Am Ende der Zielgeraden in Estoril hat man je nach Fahrer zwischen 20 und 30 km/h mehr am Data-Logger gespeichert. Eine Sache muss man jedoch erstmal in den Kopf kriegen. Man wählt trotzdem den gleichen Bremspunkt und muss dann wirklich stark sein. Die Verzögerung der Maschine ist wie von einem anderen Stern. Das liegt natürlich an den famosen Komponenten, wie der GP4 PR Brembo Anlage samt 6,75 mm dicken Scheiben. In Kombination mit den ebenfalls direkt aus der WM stammenden FGR 300 Gabel ist man in der Bremszone unschlagbar. Schon alleine die Komponenten Gabel, Federbein und Bremsanlage kosten mal mindestens 18.000 Euro. Aber auch in der Bremszone punktet die HP4 Race mit den geringeren rotierenden Massen. Hier muss einfach weniger kinetische Energie in Wärmeenergie umgewandelt werden als bei herkömmlichen Motorrädern. Man kann mit diesem Motorrad bessere Fahrer also spielerisch einfach ausbremsen. Erst mit 15PS extra vorbeifahren und dann auch noch härter bremsen - leider geil.

BMW HP4 Race Preis - Ein Schnäppchen?

Erstaunlicherweise bekommt man beim Addieren der Preise der einzelnen Komponenten schnell das Gefühl, dass das 80.000 Euro Motorrad eigentlich ein guter Deal ist. Insider aus der Rennszene frisst der Neid, wie günstig man hier das ganze Wunderzeug serviert bekommt. On Top bekommt man dann noch einen Carbonrahmen und Felgen die man so ohnehin bisher nirgendwo kaufen konnte.

Ehrlicher Weg - Echte WM Teile und kein Lametta

Wenn man den Blick über das Motorrad schweifen lässt, entdeckt man nur die besten Teile. Egal ob Schwinge, Fussrasten, Gabelbrücke oder Tank. Überall hat man die feinste Ware montiert. Wo verfügbar, hat BMW einfach vorhandene Teile aus der SBK-WM oder der Endurance-WM montiert. Zum Beispiel ist der gesamte Kabelbaum samt Dashboard, ECU und HP Calibration Kit Pro einfach direkt aus dem aktuellen Rennprogramm entnommen worden. In einigen Punkten ist die HP4 Race aktuellen Superbikes sogar noch überlegen. Die Felgen und der Rahmen zum Beispiel dürfen so im Moment in der SBK-WM nicht eingesetzt werden. Doch 2018 werden bestimmt einige HP4 Bikes bei diversen Rennserien zum Einsatz kommen. Scharf rechnende Rennfahrer oder Manager haben schon Motorräder für die offenen Klassen in der TT oder der amerikanischen Meisterschaft bestellt. Ab September 2017 werden die ersten Motorräder ausgeliefert und im Frühjahr 2018 ist die Produktion abgeschlossen.

Es ist aber auch so, dass BMW insgesamt aber auch kein Lametta an die Maschine macht nur um sie schöner oder exklusiver wirken zu lassen. Dort wo Carbon keinen Sinn macht, hat man Plastik genommen. Auch verwendet man kein dynamisches Fahrwerk oder ein ABS. Auf der letzten Rille haben beide Systeme immer noch Nachteile, daher sind sie am Motorrad nicht verbaut.

Anders als andere hochpreisige und exklusive Motorräder möchte sie also nicht mit ihrer blossen Erscheinung punkten, sondern mit bekannt deutschen Tugenden: Hard Facts - also tiefen Rundenzeiten.

BMW HP4 Race im Vergleich zur Ducati Superleggera

Beim 1000PS Livevideo auf Facebook forderten einige Zuseher sofort einen Vergleichstest zwischen der HP4 Race und der Superleggera von Ducati. Ich selbst konnte die Ducati noch nicht fahren und werde vermutlich auch nicht die Gelegenheit dazu bekommen und kann nur aus zweiter Hand berichten. Beim Vergleich der beiden Motorräder soll es sich ähnlich verhalten wie schon bei den Basismodellen. Beide sind schnell, aber die Ducati ist schwerer und fordernder zu fahren. Bei der Hardware hat BMW sowohl bei der Gabel als auch bei der Bremse die bessere Spezifikation montiert. Optisch gewinnt jedoch die Ducati für viele den Vergleich.

Endlich: Ein 80.000 Euro Motorrad ohne Frustpotential

Auch wenn die Maschine mit 80.000 Euro, 215 PS und 171 Kilo komplett abgehoben und überflüssig wirkt, ist sie logischer als viele andere Motorräder. Denn jeder halbwegs engagierte Hobbyracer kann bei einem Umstieg auf dieses Motorrad sofort tiefere Rundenzeiten fahren. Beim direkten Umstieg von der sauber abgestimmten S1000RR auf die HP4 Race waren für mich zum Beispiel schon nach der 2. Runde 4 Sekunden drinnen. Ist doch logisch bei 80.000!, werden kritische Geister nun anmerken. Leider nein. In den Boxengassen stehen viele sündhaft teuer aufgebaute Tuning-Motorräder, welche ihren Besitzern ausser viel Sorgen und Kosten eben nix gebracht haben - schon gar keine tiefen Rundenzeiten. Das ist bei diesem Serienprodukt vom Grosskonzern mit sauberen Prozessen vom 1. bis zum 750. Bike garantiert.

Video BMW HP4 Race

Das umfangreiche Video mit vielen technischen Informationen, Interviews und Action geht am Montag den 26. Juni am 1000PS YouTube Kanal online. Abonnieren und nicht verpassen!

Auf der anderen Seite werden auch die Normalverbraucher von diesem Motorrad profitieren. BMW hat hier geforscht, entwickelt und teilweise auch patentiert. Die Carbontechnologie wird man in Zukunft in weiteren BMW Motorrädern finden. Klarerweise in schnellen aber auch in sehr verbrauchsarmen Geräten. So macht dieses eigentlich dekadente Projekt auch insgesamt viel Sinn. BMW Motorrad ist den nächsten Schritt gegangen und wir dürfen gespannt sein was sie in den nächsten Jahren mit dieser neuen Technik an den Start schieben.

Fazit: BMW HP4 RACE 2017

Die BMW HP4 Race vereint die Vorteile aus zwei Welten. Man geniesst die Power, die Stabilität und die Präzision von einer WM-Maschine. Gleichzeitig erfreut man sich aber an der einfachen Handhabung und der hohen Qualität wie bei einem Serienprodukt. Langfristiger Support ist hier sichergestellt, da hinter der HP4 Race keine kleine Tuningbude steckt, sondern BMW selbst. Für Normalverbraucher wirkt die Maschine astronomisch teuer, für Boxengassen-Insider präsentiert sie sich als bester Deal den man auf diesem Niveau machen kann.


  • Motorleistung und Abstimmung schlicht perfekt. 215 PS werden nutzbar serviert
  • Phantastische Bremsleistung
  • Niedriges Gewicht in jeder Fahrsituation spürbar
  • Vorteile der Maschine für Fahrer unterschiedlicher Leistungsklassen nutzbar
  • Kein Lametta am Motorrad - ausschliesslich perfekte Racingteile
  • Support durch BMW Kundensport Crew
  • Motorrad punktet sowohl in Passagen wo gutes Handling gefragt ist als auch dort wo Power nötig ist
  • Vielfältigste Abstimmungsmöglichkeiten am Chassis vorhanden aber
  • Höhere Servicekosten als bei herkömmlichen Motorrädern, aber natürlich niedriger als bei vergleichbaren Production-Racern
  • Motorrad präsentierte sich beim Test insgesamt umgänglich und unkritisch, einzig die scharfe Bremsanlage muss offenbar vorsichtig eingefahren werden um Schäden zu vermeiden
  • Grobschlächtigen Piloten könnte das Fahrzeug insgesamt zu viel Rückmeldung geben.
  • Hoher Druck im Fahrerlager. Mit diesem Motorrad muss man schnell sein :-)

Bericht vom 26.06.2017 | 99'190 Aufrufe

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