Mein Monat mit der Yamaha XSR900
Marc van G., unser XSR900 Testrider, berichtet
Warum... warum gehen die schönen Momente im Leben immer so schnell vorbei? Diese Frage habe ich mir in den letzten Tagen oft gestellt. Nun ist es Tatsache: der Testmonat mit der XSR900 ist vorüber. Bleiben werden jedoch die traumhaften Ausfahrten und die dabei empfundenen Glücksmomente. Gerne erzähle ich euch im nachfolgenden Bericht über meine Erfahrungen und Erlebnisse in den letzten 30 Tagen.
Übergabe des Motorrads im Ace Cafe Luzern
Vor einem Monat durfte ich im Ace Cafe in Luzern am YAMAHA-Meet die nigelnagelneue XSR900 entgegennehmen. Die Kulisse für die Übergabe war natürlich nicht zu übertreffen! Ein Vorplatz voller japanischer Custombikes, Youngtimer und Klassiker - kurzum, ein Männertraum schlechthin. Die bereitstehende XSR900 ist mir jedoch ziemlich schnell ins Auge gestochen. Obwohl ich im Vorfeld sehr viel über das Motorrad gelesen und ziemlich sicher jedes YouTube-Video mit grosser Vorfreude bis spät in die Nacht angeschaut hatte, hat mich die Detailverliebtheit der Maschine nochmals umgehauen.
Wie ich schon in meinem ersten Bericht erwähnt habe, gefällt mit der optische Bezug zu den zeitlosen Yamaha-Klassikern der Vergangenheit unglaublich gut. Ich selber fahre eine Buell XB12 und eine BMW S1000R. Die Buell ist optisch und vom Sound her ein Traum. Aber zuverlässig? Zuverlässig ist höchstens die regelmässige Werkstatt-Rechnung. Die BMW ist eine technische Hochleistungsmaschine, jedoch fehlt es der Maschine etwas an Charakter und Herz. Vermutlich deshalb habe ich mich direkt in die moderne, zuverlässige, aber im Retro-Look gebaute Yamaha verliebt.
Eine Retroschale mit kräftigem Kern
Den Kreativen von Yamaha ist das Design wirklich gelungen. Der runde Scheinwerfer, das aufgesetzte runde Rücklicht, die Instrumenteneinheit, der bequeme und langgezogene Sattel und die diversen feinen Details machen das Bike zu einem echten Schmuckstück. Aber wer glaubt, das wars, der irrt sich... und zwar gewaltig! Die XSR überzeugt mit 115 PS und einem Drehmoment von 87,5 Nm. Ab 5000 Touren geht der Spass so richtig los und man sitzt auf einem wild gewordenen Naked Bike!
Aber bleiben wir doch zuerst einmal im grünen Tourenbereich. Bevor ich das Bike so richtig ausfahren konnte, musste ich die XSR zuerst einmal einfahren. Die ersten 1000 Kilometer habe ich deshalb mit Abendausfahrten rund um den Zürichsee genossen und das Bike regelmässig zur Arbeit gefahren. Im Stadtverkehr ist die XSR enorm wendig und leicht zu fahren. Ausnahmsweise bin ich auch gern im Stau gestanden und habe die neugierigen Blicke der Autofahrer beobachtet. Die XSR fällt also definitiv auf!
Ebenfalls aufgefallen ist mir das sanfte Schalten mit der XSR. Sogar um einiges angenehmer als das Getriebe meiner BMW. Wie im ersten Bericht auch schon geschrieben, spielte mir die Platzierung der Hupe aber immer wieder einen Streich. Warum? Weil die Hupe direkt neben dem Blinker platziert wurde statt unterhalb. Habt ihr eine Ahnung, wie oft man in der Stadt den Blinker betätigen muss?
XSR 900 ein Eco-Bike?
Ebenfalls ein lustiges Feature ist die Eco-Anzeige. Etwas, was man sonst eher von den modernen Öko-Autos kennt. Lustig ist jedoch die Tatsache, dass die Eco- Anzeige erst dann erlischt, wenn man den Gashahnen bis zu einem gewissen Punkt dreht. Dabei spielt es keine Rolle, mit welchem Gang man unterwegs ist. Ich kann also 6000 Touren im ersten Gang fahren und die Eco-Lampe leuchtet stolz vor sich hin. Aber eben, wer will schon ein Eco-Bike? Ich nicht! Jeremy Clarkson (ehemals «TopGear») würde hier nur sagen: «POOOWER!»
Klassiker: Susten – Grimsel – Furka
Jeder Schweizer kennt diesen Klassiker. Ich nenne die Route immer wieder meine Spielwiese. Lang gezogene Kurven, enge und schnelle Kurvenpassagen, eine Aussicht zum verlieben, Motorräder so weit das Auge reicht. Manche brauchen Wellengeräusche zum Entspannen, ich bevorzuge auf dem Sustenpass das Endrohr- Orchester.
Du fragst dich unter dem Helm: Was passiert hier gerade?!
Auf jeden Fall habe ich die XSR nach dem ersten Service über die drei Pässe gejagt. Und Halleluja! Besser kann ich diesen Ritt nicht zusammenfassen! Die Maschine frisst enge Kurven zum Frühstück. Die Beschleunigung ist einfach nur sorry für meine Wortwahl GEIL! Nach 3 bis 4 Kurven hatte ich bereits das Gefühl, ich fahre das Bike schon seit Jahren. Nach jedem Pass habe ich laut in den Helm gesprochen: «Was passiert hier gerade?!». Es fällt mir schwer, das Erlebnis in Worte zu fassen. Dies auch, weil ich am Tag zuvor noch friedlich und nichts ahnend durch die Stadt gecruist bin. Und heute war ich so schnell auf dem Sustenpass wie noch nie zuvor (natürlich unter Berücksichtigung der Verkehrsregeln).
Was sich wohl die Ingenieure bei diesem Bike überlegt hatten? So schizophren kann doch kein Mensch sein... Das Bike ist perfekt für die Stadt, auf Retro getrimmt, hat aber sportliche 115 PS aus diesem herrlichen Dreizylinder. Was will das Bike denn nun sein? Um es in einer umgangssprachlichen Redewendung auszudrücken: Ganz nahe an der eierlegenden Wollmilchsau!
Die starken Bremsen und das ABS schenken mir zusätzliches Vertrauen. Auch ein nice-to- have sind die unterschiedlichen Fahrmodis.
- OFF = habe ich nicht probiert
- 1 = regelt etwas weniger
- 2 = regelt stärker
Ich persönlich bin nach Absolvierung der 1000 Kilometer nur noch im A-Modus gefahren. B würde ich allerhöchstens bei Regen benutzen. Die Traktionskontrolle kann man ebenfalls einstellen:
- OFF = habe ich nicht probiert
- 1 = regelt etwas weniger
- 2 = regelt stärker
Fahren mit Sozius
Ich habe noch selten von jemandem gehört, dass er/sie so richtig gerne mit einem Sozius fährt. Ich gehöre definitiv auch zu dieser Sorte. Nichtsdestotrotz habe ich für einen Tagesausflug meine Freundin auf den Rücksitz gepackt. Mit ihr bin ich nochmals meine Lieblingsroute (Susten, Grimsel, Furka) gefahren. Trotz ihren Rückenbeschwerden hat sie die Sitzposition als sehr bequem empfunden und auch für mich war die Fahrt überraschend angenehm. Nach kurzer Eingewöhnungsphase spürte ich nahezu keinen Unterschied mehr zum Fahren ohne Sozius. Das Handling in den Kurven ist definitiv eine der grossen Stärken der XSR900.
Flucht vom Alltag mit der XSR900
Meine Tagestouren umfassen oft und gerne 500 Kilometer und mehr. Motorradfahren erlaubt es mir abzuschalten und bringt mir den notwendigen Ausgleich vom stressigen Arbeitsalltag. Die XSR900 ist hierfür der ideale Begleiter. Meine Ausfahrten fangen leider oftmals mit der Strecke Zürich Chur an, also 100 Kilometer Autobahn. Hierfür eignet sich die XSR900 eher weniger, was ich aber auch nicht von diesem Bike erwartet hatte. Der Wind bläst einem schon ziemlich ordentlich um die Ohren, weshalb man es lieber gemächlich angeht. Das Halten der Geschwindigkeit fiel mir auch nicht ganz so einfach, da die XSR900 sehr direkt am Gas hängt. Ebenfalls ein Opfer des kleinen Displays ist die Benzinanzeige. Lediglich 4 Striche zeigen mir die vorhandene Benzinreserve an. Ich würde mir hier deshalb eine etwas detailliertere Angabe wünschen. Aber wie so oft beissen sich Design und Funktionalität.
Aber ansonsten finde ich die XSR ein sehr bequemes Bike, sowohl für kurze wie auch für längere Distanzen. Manche empfinden das Fahrwerk als sehr hart. Kann gut sein, dass dem so ist. Verglichen zu meiner Buell empfand ich die XSR aber eher weich aber dennoch gut auf das Bike abgestimmt.
Kurvenexzess in den Dolomiten zum Abschluss
Der Testmonat neigt sich zu diesem Zeitpunkt schon langsam dem Ende entgegen. Das letzte Wochenende steht vor der Tür und das Wetter zeigt sich nochmals von seiner besten Seite. Deshalb haben mein Kumpel und ich entschieden, unsere Maschinen in den Dolomiten auszufahren und dort die unglaublich schöne Landschaft zu geniessen.
Ich auf der XSR900, er auf der BMW S1000R. Unterschiedlicher könnten unsere Fahruntersätze definitiv nicht sein, was in den Pausen für ordentlichen Gesprächsstoff sorgte.
Auf der Autobahn fluchte ich vor Neid über den Tempomat der BMW. Während er die Geschwindigkeit konstant hielt, musste ich ganz schön arbeiten. Der Neid war jedoch ziemlich schnell verflogen, als die ersten engen Haarnadelkurven warteten. Auf dem Umbrail und dem Stilfserjoch war von der BMW im Rückspiegel nichts mehr zu sehen. Die XSR ist einfach ein Kurvenmonster mit unbändigendem Appetit auf mehr! Ich wage zu behaupten, dass es nur wenige Motorräder gibt, welche die engen Kurvenpassagen so schnell und einfach überwinden.
In den Dolomiten fuhren wir die grosse Sellarunde - für alle Motorradfahrer ein absolutes Muss und wohl das Highlight unserer Reise. Aber Achtung: in den Dörfern stehen mehr Blitzer als Häuser. Obwohl man anmerken muss, dass 90 Prozent der Blitzer wohl lediglich Attrappen sind. Aber es scheint dennoch zu funktionieren, das muss man den Italienern lassen. Wer die Dolomiten kennt, weiss, wie eng und schmal die Kurven überhaupt sein können. Ein Problem für die XSR? Nein, im Gegenteil. Man könnte meinen, die XSR wurde speziell für die Dolomiten gebaut. So bin ich am Abend zwar müde und erschöpft, aber mit einem Grinsen im Gesicht glücklich und zufrieden eingeschlafen. Was will man mehr? Hammer Wetter, das bestmögliche Motorrad, gutes Essen und unterhaltsame Gespräche mit meinem Kumpel. Für solche Momente lebe ich!
Individualität einfach gemacht
Yamaha bietet eine grosse Auswahl von Originalzubehör zur weiteren Individualisierung der XSR an. Wer also seine eigene Persönlichkeit zum Ausdruck bringen möchte, dem bieten sich unendlich viele Möglichkeiten. Ich persönlich würde folgende Optimierungen vornehmen:
- Aluminium-Sitzabdeckung
- Eine optisch prägnantere Auspuffanlage
- Runde Lenkerendenspiegel
- Sport-Windschild oder eine Verkleidungsscheibe
- Heckumbau (kurzes Heck)
- LED-Blinker
Der Abschied
Der Abschied ist mir definitiv sehr schwer gefallen. Mein Vater sagt mir immer wieder, dass man mit einem Gebrauchsgegenstand keine emotionale Verbindung herstellen sollte. Das bringt nur Schwierigkeiten. Weise Worte, aber das Motorradfahren ist für mich mehr als Leidenschaft. Deshalb werde ich die Yamaha XSR900 in mein Herz schliessen und diese Erinnerungen gerne immer wieder abrufen.
MARC_VAN_G
Weitere Berichte
Fazit: Yamaha XSR700 2017
Die XSR ist für mich das perfekte Alltags-Bike. Es ist optisch eine Augenweide, hat unglaublich viel Power, ist aber dennoch leicht und agil. Die Sitzposition erlaubt längere Ausfahrten, da das Gepäck ohne Probleme auch auf dem Rücken getragen werden kann. Die XSR weiss selber nicht so genau, was sie jetzt sein will. Aber ich finde den entstandenen Mix eigentlich ziemlich spannend. Wer also nicht unterschiedliche Bikes in der Garage stehen haben will (oder kann), der ist mit der XSR sehr gut bedient. Sie bringt alles mit, was man von einem Motorrad erwartet. In einem Hotel würde man von einem All-inclusive-Angebot sprechen. Sie eignet sich perfekt für die tägliche Fahrt ins Büro, für Wochenend-Ausflüge und kleinere Touren in den Süden. Auch mit einem Sozius lässt sich das Motorrad sehr einfach bewegen. Das Bike macht, wie von Yamaha gewohnt, einen sehr soliden Eindruck. Hier funktioniert einfach alles. Der Auspuff ist angenehm leise, ab 5000 Touren erzeugt er jedoch einen sehr ansprechenden und kernigen Sound. Das Heck ist Geschmackssache. Ich persönlich würde das Heck umbauen und die Kunststoff-Elemente entfernen. Des Weiteren finde ich die Standard-Spiegel etwas gross geraten. Hier wurde die Retrooptik nicht ganz durchgezogen. Dies lässt sich jedoch danke der vielen Zubehörteile sehr schnell und einfach ändern. Die Instrumenteneinheit ist grundsätzlich gut ablesbar. Jedoch sind viele Infos auf kleinem Raum untergebracht. Hier beissen sich Design und Funktionalität ein wenig. In einem Satz zusammengefasst: Das perfekte Bike für jede Herausforderung.- Herrlicher Motor
- Solide Verarbeitung
- Coole Retro-Optik
- Grosses Original-Zubehör-Programm
- Toller Schaltautomat
- Sportlich straffes Fahrwerk
- Einfache Fahrbarkeit
- Freudenspender für jung und alt
- Ablesbarkeit des Displays
- Kennzeichenträger Geschmacksache
- Fehlende Konsequenz bei manchen Design-Details
- Konzeptbedingt schlechter Windschutz bei schneller Fahrt
Bericht vom 28.08.2017 | 49’119 Aufrufe