Aprilia RSV4 1100 Factory vs. BMW S 1000 RR 2019

Die schärfsten Rennstrecken-Eisen auf der Landstrasse!

Vor gar nicht allzu langer Zeit war es ziemlich normal, dass man Supersportler und Superbikes auch für den Alltag verwendete – für den Weg zur Arbeit, für die schnelle Runde auf der Hausstrecke und in vielen Fällen nur ganz selten für gelegentliche Trackdays auf der Rennstrecke. Dieses Bild hat sich zunehmend gewandelt, die Hightech-Raketen sind mittlerweile vollgestopft mit Technologien, die vorrangig schnellere Zeiten auf der abgesperrten Rennstrecke bringen sollen. Sind die brandneuen Superbikes Aprilia RSV4 1100 Factory und BMW S 1000 RR also unfahrbar im Alltag?

Es lässt sich glücklicherweise nicht bestreiten, dass diese Entwicklung hin zu noch radikaleren Maschinen nur negativ war, immerhin hat sie dazu beigetragen, dass wir heute abartig geile Superbikes mit weit über 200 PS völlig angst- und stressfrei fahren können. Allerdings scheinen diese Eisen mittlerweile nur noch für die brettebene Piste gemacht zu sein und haben auf der öffentlichen Strasse gar nichts mehr zu suchen. Aber stimmt das wirklich? Nun, in gewissen Punkten tatsächlich, doch pauschal kann man das nicht belegen.

Die Japaner spielen lustige Spielchen, Aprilia und BMW schlagen zu

Rückblickend hat alles damit begonnen, dass die Europäer in diesem Fall Aprilia und BMW auf Anhieb zumindest in Sachen Leistung die japanische Konkurrenz zum Schwitzen brachte. Die Japaner hätten vermutlich bis heute das lustige Spielchen mit uns getrieben, im Zweijahres-Rhythmus das Design der Superbikes ein wenig zu überarbeiten, die Farben zu ändern und dem Motor zwei bis drei PS mehr einzuhauchen. Grundsätzlich vollkommen legitim, wenn alle damit glücklich werden.

Die Aprilia RSV4 1100 Factory nutzt den Hubraumtrick

Da wusste aber auch noch niemand, dass es durchaus möglich ist, aus 1000 Kubik weit mehr als 200 PS heraus zu kitzeln und das auch noch voll zulassungsfähig! Und damit sind wir schon am Punkt: Die BMW S 1000 RR ist mit dem ganz neuen Modell bei 207 PS angelangt (und wir wissen, dass BMW bei den Leistungsangaben eher tief- als hochstapelt), die ebenfalls brandneue Aprilia RSV4 1100 Factory gar bei 217 PS wenn auch mit dem Trick der Hubraumerweiterung auf 1077 Kubik. In beiden Fällen ist von Unfahrbarkeit auf der Landstrasse nichts zu spüren, die Ride-by-Wire-Systeme werken perfekt, die Gasannahme ist bei beiden Maschinen einfach nur deppensicher homogen.

Die BMW S 1000 RR hat ShiftCam, die Aprilia RSV4 1100 Factory hat Bums!

Etwas verwunderlich ist, dass gerade die BMW S 1000 RR von weit unten souveräner und kraftvoller hochdreht als die Aprilia, die doch mit rund 78 Kubik mehr Hubraum gerade in den niedrigsten Drehzahlen diesen Vorteil ausnützen können sollte. Am Papier hat die Aprilia ähnlich der Leistung auch viel mehr zu bieten, 122 Newtonmeter maximal stehen nur 113 Nm bei der BMW gegenüber. Offenbar wirkt sich das ShiftCam-System der Bayern, also eine variable Ventilsteuerung nicht nur bei den Boxer-Motoren, sondern auch beim Hochleistungs-Reihenvierzylinder positiv aus. Dafür fährt die Aprilia mit einem heftigen Bums ab rund 4000 Touren mächtig ein nicht unangenehm und keineswegs unkontrollierbar, aber doch spürbar. Und dann auch noch dieser herrliche Sound dieses 65°-V4-Motors, da ist die Gänsehaut im Lieferumfang inbegriffen.

Die BMW S 1000 RR ist souverän, die Aprilia RSV4 1100 Factory giert nach Rennstrecke

Die BMW punktet dafür auf der ganzen Linie mit absoluter Perfektion und einmaliger Beherrschbarkeit, sowohl beim Motor als auch bei allen anderen Faktoren, die auf einem Superbike eine Rolle spielen. Nicht, dass die Aprilia unpräzie wäre, ganz im Gegenteil, aber bei ihr merkt man etwa beim Fahrwerk den Drang zur Rennstrecke weit stärker, wobei man sich bei der noch sportlicheren Factory-Version nicht wirklich wundern darf, dass das serienmässige Öhlins-Fahrwerk sehr straff ausgelegt ist. Den hervorragenden Komponenten (45er-NiX-Gabel mit TiN-Beschichtung, voll verstellbar vorne, TTX-Federbein hinten, ebenfalls voll verstellbar) kann man daher keinen Vorwurf machen, auf gutem Asphalt arbeitet dieses Fahrwerk äusserst präzise und sensibel, nur sollten eben keine groben Fahrbahnschäden dabei sein, dann wird es hart. Denn auch beim Sattel merkt man bereits beim Aufsitzen, dass er ein härterer und höherer Geselle ist als bei der BMW und die gesamte Ergonomie ist schliesslich ebenfalls stärker auf Rennstrecke ausgelegt also sehr vorderradorientiert mit viel Last auf den Armen.

Voll ausgestattete BMW S 1000 RR mit elektronischem Fahrwerk DDC

Anders läuft das bei der neuen BMW S 1000 RR, die sich in ihrer ersten Generation noch radikaler präsentierte, in der aktuellen dritten Generation aber sehr gut die Bedürfnisse abdeckt, die man auf der Rennstrecke hat, gepaart mit jenen, die man auf der Landstrasse hat. Und das bedeutet eben, dass die BMW schon von der Sitzposition her umgänglicher ist, als die Aprilia, mit einer weniger radikalen Auslegung. Auch das Fahrwerk werkt sanfter als jenes der zielorientierten Italienerin, wobei man bedenken muss, dass uns BMW wie gewohnt voll ausgestattete Modelle zur Verfügung stellt, die Test-S 1000 RR hatte daher auch das optionale elektronisch verstellbare Fahrwerk DDC (Dynamic Damping Control) mit an Bord. Dennoch war sie selbst in der Sport-Stellung noch freundlicher zum Fahrer als die RSV4 1100 Factory.

Die BMW-Bremse ist scharf, die Aprilia-Bremse bettelt um Racing!

Ähnliches war bei den Bremsen zu spüren, die Anlage der BMW mit 320 mm-Doppelscheiben und radial montierten Vierkolben-Monobloc-Sätteln reagiert direkt und gut dosierbar, im direkten Vergleich aber weit weniger giftig als die Anlage auf der Aprilia mit 330er-Doppelscheiben und den neuen Stylema-Monoblocs von Brembo. Klarerweise bringt man die Bremsen von beiden Superbikes auf der Landstrasse nicht an ihre Grenzen die Zeiten sind dank der radikalen Rennstrecken-Auslegungen lange vorbei. Doch gerade da hat man mit der BMW-Bremse die sanftere Alternative gewählt, die Brembo-Anlage auf der Aprilia packt schon ärger zu und bettelt förmlich nach sportlicher Fahrweise, um wenigstens ansatzweise artgerecht behandelt zu werden.

Bei der Aprilia RSV4 1100 Factory sind alle Elektronik-Features in der APRC integriert

In Sachen Elektronik schenken sich die beiden Superbikes mittlerweile nichts mehr, da ist alles drin und dran, was Rang und Namen hat. Zwar unterschiedliche Namen, von der Funktion und Wirkung her aber bei beiden auf absolutem Top-Niveau. Das, auf der Aprilia von Bosch stammende 9.1 MP Kurven-ABS etwa, wird bei BMW partout nicht Kurven-ABS genannt wird, sondern ABS Pro, das auch bei Bremsvorgängen in Schräglage noch mehr Sicherheit bietet. Bei der Aprilia ist das System in der APRC (Aprilia Performance Ride Control) integriert, das wiederum für den einen mehr, für den anderen weniger brauchbare Gimmicks wie Traktionskontrolle, Wheelie-Kontrolle, Launch-Control, Hinterrad-Abhebe-Erkennung und drei einstellbare Fahrmodi umfasst. Sehr bezeichnend ist dabei, dass neben den Modi Race und Track der Sport-Modus der zivilste ist womit wohl von Anfang an klar sein sollte, wofür die Aprilia RSV4 1100 Factory gebaut ist.

Die BMW S 1000 RR lässt sich mörderisch aufrüsten!

Bei der BMW ist es mit der Ausstattung ein wenig komplizierter, weil man nach wie vor ein Basismodell haben kann, das man sich mit jenen Features aufrüstet, die man haben möchte genau die Features also, die man wirklich braucht und nicht Ausstattungen, die man eigentlich gar nicht haben will. Eigentlich sehr löblich, wobei mit der neuen S 1000 RR auch beim Superbike nun schon viel mehr inkludiert ist, als früher. ABS Pro (über das man sich auf öffentlichen Strassen ohnehin nicht beschweren sollte), DTC (Dynamic Traction Control) samt Wheelie-Funktion, Schaltassistent Pro und vier Leistungmodi (Rain, Road, Dynamic und Race) sind bereits ab Werk mit dabei. Wer noch mehr braucht, nimmt Fahrmodi Pro dazu, dann stehen noch drei weitere Modi (Race Pro 1 3) zur Verfügung und damit einher gehend eine verstellbare Wheelie-Funktion, Launch Control, Pit Lane-Limiter, zwei einstellbare Gaskennlinien und Engine Brake, also eine verstellbare Motorbremse. Dinge, die man klarerweise vorrangig auf der Rennstrecke nutzen und umsetzen kann. Und eben das bereits erwähnte DDC-Fahrwerk, das ich auf der Landstrasse durchaus empfehlen kann und das wohl auch auf der Rennstrecke gewisse Vorteile haben dürfte. Zusätzlich versucht die BMW S 1000 RR aber auch den einen oder anderen Alltagsfahrer anzusprechen, die Berganfahrhilfe Hill Start Control dürfte den vollbepackten Tourenfahrer interessieren, den Rennstreckenfan hingegen kaum.

Die Farb-TFT-Displays der beiden Superbikes: BMW top, Aprilia Flop?

Auch das herrlich grosse und damit einhergehend sehr gut ablesbare 6,5 Zoll grosse TFT-Farbdisplay ist nun auf der BMW S 1000 RR in Serie mit dabei. Etwas unverständlich ist für mich in diesem Zusammenhang, dass Aprilia offenbar viel Aufwand und Hirnschmalz in die Neuerungen an der RSV4 1100 gesteckt hat, also neuer Motor, verbesserte Geometrie, verfeinerte Elektronik, jedoch ganz vergessen hat, dass man eigentlich auch gleich ein grösseres TFT-Farbdisplay verbauen hätte können. Es ist dadurch natürlich weniger gut ablesbar als jenes auf der BMW und zeigt grob gesprochen einfach zu viele Infos auf zu wenig Platz an. Wenigstens ist es schön hell und auch bei schlechtem Licht gut beleuchtet.

Die Aprilia RSV4 1100 Factory ist eine zeitlose Schönheit

Schliesslich belassen es die Italiener auch beim Design bei kleinen Retuschen an der typischen Form der RSV4, das Highlight der Neuerungen sind wohl die effekthaschenden Carbon-Winglets an der Seitenverkleidung, die laut Aprilia direkt vom MotoGP-Renneisen RS-GP abgeleitet sind und somit den Anpressdruck nachhaltig verbessern sollen. Auf der Landstrasse ist dieser Effekt vermutlich vernachlässigbar, umso mehr zieht er aber als Stilelement mit den Hightech-Gadgets eines MotoGP-Bikes hat man schon etwas ziemlich exklusives in der Hand. Über die Farbgebung darf wie immer gestritten werden, für mich persönlich hätte die neue RSV4 1100 Factory eine viel edlere Lackierung als Mattschwarz verdient. An der Form an sich, also an dem markanten Dreiaugengesicht und vor allem diesem herrlich scharf gezeichneten Heck gibt es hingegen grundsätzlich nichts zu kritisieren. Natürlich dürfte da mal etwas Neues kommen, radikale Änderungen brauchen wir bei solch gelungenen Formen aber ohnehin nicht.

Die neue BMW S 1000 RR verliert ihr markantestes Erkennungsmerkmal: Das schiefe Gesicht

Da wagt die neue BMW schon weit mehr indem sie weit weniger wagt. Das asymmetrische Gesicht mit den unterschiedlichen Scheinwerfern an der Front der beiden ersten Generationen scheint nämlich nicht bei allen gut angekommen zu sein, weshalb nun die beiden LED-Scheinwerfer ganz brav symmetrisch mit Anleihen an der Ducati Panigale weit herunter gezogen in der Verkleidung sitzen. Als grosser Fan der ersten Generation, die tatsächlich wie ein Langstrecken-Rennmotorrad aussah, kann ich mit der neuen (noch) wenig anfangen und auch das Heck versucht zwar mit dem fehlenden Rücklicht (in die Blinker integriert) etwas Neues, gefällt mir mit dem spitzen Rücklicht bei der allerersten S 1000 RR aber besser. Glück für die Aprilia ist, dass die getestete BMW nicht in den stimmigen BMW Motorsport-Farben verfügbar war, sondern in einem tatsächlich ziemlich langweilig wirkenden Rot.

Design hin oder her, die Fahrerei macht diese Superbikes begehrenswert!

Aber wie schon erwähnt, gutes Design liegt im Auge des Betrachters, an beiden Superbikes kann man das Haar in der Suppe finden oder man konzentriert sich einfach auf die Fahrerei, die solche Maschinen schliesslich erst so richtig begehrenswert macht. Und da zeigt sich eindeutig, dass zwar sowohl Aprilia als auch BMW erstaunlich gut auf der Landstrasse und im Alltag funktionieren, ihr wahres Metier sind aber immer noch die richtig schnellen Strecken, denn da macht sich diese herrliche Präzision von Fahrwerk, Chassis und Bremsanlage erst so richtig bemerkbar. Nicht zu vergessen die unfassbar starken Motoren, die zwar auch im mittleren Drehzahlbereich herrlich viel Power bereit halten und somit unerwartet einfach fahrbar sind, aber dann oben raus das Inferno abfeuern wo man selbst auf der Landstrasse nur bei sehr ambitionierter Fahrweise hinkommt.

Sowohl die BMW als auch die Aprilia eignen sich als Landstrassen-Jäger

Wer ein Superbike tatsächlich als Alltagseisen nutzen will (und das stelle ich wegen der guten Fahrbarkeit nun auch gar nicht mehr in Abrede), sollte dennoch eher zur BMW greifen. Die S 1000 RR ist bei aller Radikalität immer noch das homogenere und universellere Gerät. Wer hingegen absichtlich und gerne etwas mehr leidet, bzw. wer mit der anstrengenderen Sitzposition gar keine Probleme hat, kann getrost auch zur Aprilia greifen, immerhin entschädigt schon der einzigartige V4-Sound aus dem Akrapovic-Endtopf für alle Strapazen. Daran sollte man dann bei jedem Kanaldeckel auch denken…

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Deutschland-Preise Aprilia RSV4 1100 Factory und BMW S 1000 RR

Österreich-Preise Aprilia RSV4 1100 Factory und BMW S 1000 RR

Schweiz-Preise Aprilia RSV4 1100 Factory und BMW S 1000 RR

Fazit: BMW S 1000 RR 2019

Die neue BMW S 1000 RR 2019 ist ein völlig neues Modell. Sie ist zwar deutlich kompakter, bietet aber trotzdem viel Bewegungsfreiheit für Oberarme und Körper. Die Sitzposition im Sattel ist aktiv und sportlich, kann aber auch auf der Landstrasse überzeugen. Der Motor ist in Kombination mit dem tollen Elektronikpaket ein sagenhaftes Aggregat. In dieser Perfektion und Präzision macht dieses Superbike daher sowohl auf der Piste als auch auf der Landstrasse enorm viel Spass. Das (optionale) elektronische DDC-Fahrwerk und die Bremsen sind gut und unterstreichen den Allround-Charakter der S 1000 RR. Für einen grossen Teil der Kunden passt das Paket natürlich so wie es ist, Racer müssen ein wenig investieren.


  • toller Motor mit einem breiten Drehzahlband und angenehmer Dosierbarkeit
  • hochwertiges Elektronikpaket
  • aktive Sitzpostion für sportliche Fahrer
  • viele hochwertige Details
  • gute Bremsen
  • grossartiger Quickshifter
  • viele tolle Gimmicks aufpreispflichtig
  • Optik verwechselbarer als bei den Vorgängerinnen

Fazit: Aprilia RSV4 1100 Factory 2019

Dass die Aprilia RSV4 1100 Factory neu ist, merkt man an der Hubraumzahl – durch die Steigerung auf 1077 Kubik stehen nun gewaltige 217 PS und 122 Newtonmeter Drehmoment zur Verfügung. Das macht die RSV4 zu einer der Stärksten auf er Rennstrecke, aber auch zu einem souveränen Landstrassen-Jäger. In allen anderen Belangen wie Chassis, Fahrwerk und Geometrie wurde ebenfalls Hand angelegt, die Factory-Version mit Öhlins-Federelementen verkörpert den Racing-Gedanken richtig ernsthaft. Da sind sogar die coolen Winglets an der Seite kein Schmäh sondern direkt vom MotoGP-Bike RS-GP abgeleitet. Das restliche Design ist zwar schon alt, aber sicher nicht langweilig.


  • bärenstarker Motor
  • genialer Klang
  • brachiale Bremsen
  • Öhlins-Fahrwerk
  • volles Elektronikpaket
  • Schaltautomat mit Blipper
  • sportliche Ergonomie
  • coole Winglets
  • Wenig Drehmoment im Drehzahlkeller
  • zu viele Information für das zu kleine Farb-TFT-Display

Bericht vom 11.09.2019 | 50'501 Aufrufe

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