BMW R 1250 GS vs F 850 GS Offroad-Test & Vergleich 2022
Zu gross und schwer für echte Abenteuer?
Manche behaupten ja, dass dicke Reiseenduros wie die GS viel zu schwer für echte Offroad-Abenteuer sind. Wie zutreffend diese Aussage für den durchschnittlich begabten Fahrer ist, das konnte ich an einem unerwarteten Schauplatz überprüfen. Denn nur wenig nördlich der deutschen Hauptstadt steigt das Gemetzel im Gemüse, und das völlig legal. Bayrische Eisen entfesselt im wilden Brandenburg!
"Im Gelände ist das Gewicht wichtiger als die Leistung!" Diese Aussage hört man sehr oft, wenn man mit Offroad-Fans spricht. Gleichzeitig himmelt vermutlich fast jeder der Gemüse-Cracks (da schliesse ich mich ein) die Videos von Profis wie Pol Tarres oder Bernd Hiemer an, in welchen Adventure-Bikes wie Motocrosser über Tracks geprügelt werden, oder bei Rennen die leichten Hardenduros verblasen. Ab einem gewissen Punkt ist es vermutlich egal, was unter dem Allerwertesten werkt, Profis machen auch Nachteile ihrer Motorräder mit Können und Fahrtechnik wett. Aber wo liegt diese magische Grenze? Können auch ganz normale, durchschnittliche Motorradfahrer die BMW GS-Modelle durch anspruchsvolles Terrain bewegen? Und zu welcher GS sollte man für solche Ausfahrten eher greifen? F 850 GS? Oder doch die ganz grosse 1250er GS?
Offroad-Abenteuer in Brandenburg?
Bevor wir jedoch zu den Motorrädern selbst kommen, gilt es das Terrain zu bewerten. Schliesslich macht es einen grossen Unterschied aus, ob ich steile Hillclimbs, verschlammte Täler, oder sandige Ebenen in Angriff nehme. Gerade Brandenburg, ein Bundesland welches ich ungebildeter Ösi bisher eigentlich nur Berlin zugeordnet habe, würde man nicht als den Ort für grosse Offroad-Abenteuer vermuten. Doch gerade hier gibt es sehr viele Offroad-Strecken und -Strassen, die noch auf die Zeit der DDR zurückgehen. Wie mir unsere Guides von eastmoto.de erklären, befanden sich in Brandenburg aufgrund der Nähe zur Hauptstadt und zum verfeindeten Westen besonders viele Militäranlagen. Diese wurden von vielen versteckten, unbefestigten Wegen verbunden, um ungesehen Panzer und anderes militärisches Gerät transportieren zu können. Nach der Wende wurden die Militäranlagen abgerissen oder umgebaut, die Wege blieben häufig erhalten und verbinden heute Dörfer und Felder. Dabei variiert ihre Machart und Zustand teils stark. Alte, wellige Kopfsteinpflasterstrassen, erdige Waldwege und Sand - sehr viel Sand! Vor allem letzterer sollte mich an meinem Fahrtag mit den GS noch stark beschäftigen.
Eigentlich wollte ich euch die genaue Route zur Verfügung stellen, mit Calimoto funktioniert das sehr einfach und schnell, doch die Eastmoto-Jungs baten mich davon abzusehen. Sie haben einige Zeit damit verbracht, die schönsten Routen in Brandenburg und Co. auszukundschaften und bieten nun Reiseenduro-Touren im Osten Deutschlands an. Da ich die Burschen nicht um ihr wohlverdientes Geld bringen möchte, gibt es diesmal keine GPX-Datei. So viel sei aber verraten: Wir waren im sehr idyllischen Camp am Bükowsee stationiert und hatten in so ziemlich alle Himmelsrichtungen richtig leiwande Strassen vor der Nase.
Schwer gegen weniger schwer - Offroad-Vergleich der BMW R 1250 GS und F 850 GS
Wie vorhin erwähnt, im Gelände gilt die Gewichtseinsparung als die Königsdisziplin. Die R 1250 GS ist mit ihren fahrfertigen 249 kg definitiv das Dickschiff am Platz. Aber auch die F 850 GS ist mit ihren 233 kg nicht gerade als "leicht" zu bezeichnen. Dabei fragt man sich bei ihrer doch im Verhältnis deutlich schmaleren Form, wie es nur 16 kg weniger als bei der grossen GS sein können. Deren mehr an Gewicht ist durch die Geometrie des Boxers auch gar nicht stark spürbar. So sind die ersten Bedenken bezüglich der zu bewegenden Masse schnell zerstreut und ich starte auf der R 1250 GS in den Fahrtag.
Der 1250er-Boxer als Vertrauens-Spender - BMW R 1250 GS im Offroad-Test
Wie auf der Strasse ist auch im Gelände der Boxer-Motor der Star in der grossen GS. Es geht einfach nichts über den souveränen Schub aus dem 1254 Kubik Boxer-Zweizylinder. Natürlich nutzt man als Normalsterblich im Gelände nie die 136 PS bei 7.750 Umdrehungen aus. Auch das maximale Drehmoment von 143 Nm bei 6.250 U/min ist viel zu viel, aber die Charakteristik des Aggregats ist auf unbefestigter Strasse trotzdem sehr hilfreich. Bei schwierigem Terrain kann man sich auf die Fahrlinie konzentrieren, während der Boxer bärenstark über alle Hindernisse bollert. Gerade im Sand ist der Druck aus dem Drehzahlkeller äusserst praktisch. Auf diesem tückischen Untergrund, der in Brandenburg zuhauf vorkommt, gilt es die Front möglichst leicht zu halten. Lastet zu viel Gewicht am Vorderrad, sinkt es ein, findet im tiefen Sand keine Führung und stellt sich schliesslich quer, was schnell zum unrühmlichen Abgang des Fahrers führt. Das Rezept dagegen: In stehender Position den Hintern nach hinten drücken, die Hände locker am Lenker halten, weit nach vorne blicken, konstant das Motorrad auf Schub halten und so über die Sandfelder drüberfliegen. Mit dem 1250er-Boxer muss man das Gas nicht hochorgeln, sondern schiebt sich im dritten Gang mit konstantem Gas bei niedrigen Touren unaufhaltsam durch die sandigen Hindernisse.
BMW F 850 GS im Offroad-Test
Der 850er-Motor macht es einem eher unerfahrenen Piloten im Vergleich nicht ganz so leicht. Zwar handelt es sich bei 853 Kubik Reihen-Zweizylinder mit 95 PS bei 8.250 Umdrehungen und 92 Nm Drehmoment bei 6.250 U/min auch um ein zugängliches Aggregat, es fehlt aber einfach der Drehmoment-Hammer des Boxers. Deutlich mehr Gas ist erforderlich, um genug Schub ans Hinterrad zu bekommen und die Front leicht zu machen. Das wird mir auch in einer äusserst tiefen Sandgrube zum Verhängnis. Nur knapp nach dem Start, also ohne ausreichend Schwung, schaffe ich es nicht ausreichend Power ans Hinterrad zu liefern, führungslos pendle ich im Sand von links nach rechts bis ich unfreiwillig absteigen muss. Das 21-Zoll Vorderrad der 850er GS bietet bei Bodenwellen zwar Vorteile gegenüber dem 19-Zoll Vorderrad der 1250er GS, im Sand versinken sie aber beide und so hilft mir das grosse Vorderrad in der Situation auch nicht. Ein gebrochener Handprotektor (Echte Offroad-Heizer werden schnell robustere Montieren müssen) und ein verkürzter Bremshebel später, und schon geht es weiter. Dass so ein Sturz auch mit der 1250er GS passieren kann, stellt ein Journalisten-Kollege wenig später klar. Dennoch ist man auf der grossen GS gefühlt souveräner und sicherer unterwegs. Das liegt zum Teil am Motor, aber zum grossen Teil auch an der Ergonomie.
Ergonomie und Fahrposition auf der BMW R 1250 GS und F 850 GS
Obwohl die R 1250 GS vorne deutlich breiter baut und insgesamt massiver aussieht, fühlt sie sich dennoch agiler zwischen den Beinen an. Der Tank verbreitert sich erst spät genug, dass die Beine noch das schmale Stück umfassen und dort sicheren Halt finden können. Auch das vorderste Stück der Sitzbank ist passend für den stehenden Fahrstil geformt. In Verbindung mit dem Offroad-Paket, welches auf allen unseren 1250er GS Modellen verbaut ist und die Offroad-Bereifung, Motorschutzbügel und die ganz wichtigen Lenkererhöhungen mit sich bringt, macht die R 1250 GS echt eine gute Figur abseits der Strasse und sehr schnell fühle ich mich auf ihr wohl. Auf der grossen GS braucht es nicht viel Offroad-Erfahrung, der druckvolle Motor, der niedrige Schwerpunkt und die zugängliche Ergonomie verzeihen auch Fehler und ermöglichen auch Offroad-Noobs etwas Spass im Gemüse.
Die F 850 GS stellt hier schon etwas höhere Ansprüche an den Fahrer. Nicht nur stresst ihr Motor mit seinem Verlangen nach mehr Drehzahl, auch die Ergonomie ist nicht auf dem Niveau der Schwester. Der Tank ist etwas näher am Fahrer, wölbt sich stärker nach oben und hat auch noch einige Linien und Kanten auf halber Höhe. Bei meinen 1,85 m treffen meine Knie genau auf diese Kanten, was den Fahrkomfort nicht gerade verbessert. Der Lenker ist auch etwas zu niedrig, da auf der 850er die Lenkererhöhung fehlt. Leider ist die auch für gutes Geld nicht im BMW Zubehör zu haben und man muss zu externen Zubehörherstellern greifen. In Summe ist die Position auf der 850er zwar ok, es fehlt aber dieses Wohlfühlgefühl, welches das intuitive Handling der 1250er GS ermöglicht. Gerade mich als weniger routinierten Offroad-Fahrer lenkt die suboptimale Haltung ab und erschwert die Konzentration. Sie ist auch etwas kippeliger als die grosse GS, braucht mehr Einsatz beim Austarieren über die Fussrasten.
Offroad-taugliche Ausstattung - BMW R 1250 GS vs F 850 GS 2022
Für ambitionierte Geländefahrer ist die 850er GS vielleicht besser, da sie in puncto Ausstattung näher an ernsthafte Enduros kommt. Neben dem grösseren Vorderrad ist vorne auch eine (nicht verstellbare) 43 mm Upside-Down-Gabel verbaut, hinten federt ein Monofederbein. Mit 230 mm und 215 mm bietet die F 850 GS doch deutlich mehr Federweg, als der Telelever (190 mm Federweg) und das Federbein (200 mm FW) der 1250er GS. Dafür ist das semi-aktive ESA Fahrwerk für die kleine GS nur für hinten verfügbar. Die grosse Schwester kann das System komplett nutzen und kann so den Einsatzbereich des Fahrwerks per Knopfdruck verbreitern. Aber das ESA ist, wie so viele Features, nicht serienmässig mit dabei. Serienmässige BMW GS Motorräder sind sowieso so selten wie Einhörner, weshalb das Zubehör in diesem Test ebenfalls eine wichtige Rolle spielt.
Macht die BMW GS erst bereit fürs Abenteuer - Zubehör BMW R 1250 GS & F 850 GS 2022
Unsere 1250er-Maschinen haben neben dem Rallye Style Paket noch das Enduro Paket und das Dynamic Paket mit drauf. Das Dynamic Paket beinhaltet die Pro Fahrmodi, Quickshifter und das semi-aktive Dynamic ESA Fahrwerk. Motorschutzbügel, Lenkererhöhung, Geländetaugliche Reifen und eine straffe Sportfederung gibt im Zuge des Enduro Pakets. Noch ein paar Gadgets wie Heizgriffe, Handprotektoren und Keyless Ride, und schon ist die Offroad- und Reise-taugliche GS am Start. Für das Fahren im Gemüse ist abseits vom Offroad-Paket meiner Meinung nach das ESA und der Enduro Pro Fahrmodus am nützlichsten. Das ESA vergrössert die Vielseitigkeit der GS enorm und im Enduro Pro Fahrmodus lassen sich, im Gegensatz zum normalen Enduro Modus, die verschiedenen Parameter frei konfigurieren und die Traktionskontrolle und das ABS auch noch abschalten.
Auch auf der kleinen GS sind wir weit weg von Serie, haben das Touring-Paket mit Navi-Halterung und Tempomat mit dabei. Das Komfort-Paket beinhaltet Keyless Go, Hauptständer und das ESA, das Dynamic Paket bringt den Quickshifter und LED-Scheinwerfer mit an Bord und die PRO Fahrmodi, Heizgriffe und die hintere Gepäckablage werden vom Aktiv-Paket zusammengefasst. All das ist auf unseren Testmaschinen mit dabei. Wenigstens gibt es da die Offroad-Bereifung frei raus dazu. Bei so viel Optionen werden auch bei der 850er GS fast alle Wünsche erfüllt, im Vergleich zur 1250er Schwester vermisst sie aber doch ein paar Features. Neben der bereits erwähnten abgängigen Lenkererhöhung gibt es auf der 1250er GS zum Beispiel auch ein integrales Bremssystem an der Front. Das heisst, dass bei Betätigung der Vorderradbremse auch hinten etwas mitgebremst wird. Gerade für ungeübtere Fahrer ein weiteres Sicherheitsfeature. Auf der 850er GS kann dies nicht nachgerüstet werden. Mit 15 Liter Tankinhalt kann sie auch nur 5 Liter Sprit weniger mitführen. Und zu guter Letzt muss noch erwähnt werden, dass die 850er GS ganz klassisch auf eine Kette setzt, während in der grossen GS bekanntermassen ein geschlossener Kardanantrieb die Power ans Hinterrad liefert. Hat beides Vor- und Nachteile, die jeder selbst abwägen muss.
Fazit zum Offroad-Test & Vergleich der BMW R 1250 GS vs F 850 GS 2022
Obwohl die F 850 GS bei Weitem kein schlechtes Motorrad ist und erwartungsgemäss gerade im Gelände aufgrund des geringeren Gewichts und der längeren Federwege besser performen müsste, kann sie sich meiner Meinung nach einfach nicht gegen die Zugänglichkeit und Ausgereiftheit der 1250er GS durchsetzen. Erfahrene Offroad-Piloten werden das zweifellos kompensieren können, doch der durchschnittliche Tourenfahrer, der mit seiner GS hie und da auf unbefestigte Wege abbiegen möchte, der sollte sich vom grossen Erscheinungsbild der R 1250 GS nicht abschrecken lassen und wird sich schlussendlich über die einfach Handhabung der GS freuen.
Die Fazits im Anschluss sind jeweils von Nils und Vauli verfasst und stammen vom letzten Test mit der BMW R 1250 GS bzw. vom letzten Vergleich der BMW F 850 GS.
GREGOR
Weitere Berichte
Fazit: BMW F 850 GS 2022
Man sieht es der neuen BMW F 850 GS vielleicht nicht auf den ersten Blick an, aber sie ist tatsächlich eine völlige Neukonstruktion. Sowohl das Stahlchassis als auch der Antrieb wurden geändert, der Motor auf 853 Kubik vergrössert und mit dem 90 Grad-Hubzapfenversatz noch druckvoller ausgelegt. Damit präsentiert sich die neue F 850 GS eher souverän als aufgeregt und überzeugt sowohl auf der Strasse als auch im Gelände. Das ganz Besondere an der BMW ist die Möglichkeit, sie dank umfangreichem Zubehörprogramm genau auf die persönlichen Bedürfnisse abzustimmen - es gibt eigentlich kein derzeit erhältliches Feature, das man nicht auf seiner F 850 GS bekommen könnte. Das treibt allerdings auch den Preis in die Höhe.- souveränder Motor
- angemessene Bremsanlage
- sehr gute Sitzposition
- einfaches Handling
- umfangreiches Zubehörprogramm
- Fahrmodi
- Traktionskontrolle
- offroadtauglich
- zu niedrige Scheibe
- Sound könnte besser sein
GREGOR
Weitere Berichte
Fazit: BMW R 1250 GS 2022
Die GS begeisterte auch beim Test im November 2021 mit ihrer Vielseitigkeit. Wir fuhren das Motorrad auf unterschiedlichstem Terrain und waren wieder mal sehr zufrieden. Das Motorrad überzeugt in jeder Lage mit der einfachen Handhabung und der Praxistauglichkeit. Auf der anderen Seite kann sie auch herrlich unvernünftig gefahren werden.- Toller Fahrkomfort und tolle Ergonomie
- Kräftiger Motor
- tolle Connectivity App
- Gut ablesbares Display
- Souveränes Gefühl im Sattel
- praxistaugliche Fahrhilfen
- vielseitiges Chassis macht jede Route mit
- einfache Fahrbarkeit
- grobschlächtiger Gesamtauftritt
- Schaltvorgänge bei tiefen Drehzahlen etwas hakelig
Bericht vom 15.04.2022 | 43'095 Aufrufe