Triumph Tiger 1200 vs. 900 Reiseenduros im Vergleichs-Test

Rally-Katzen im Duell gross gegen klein

Das Schwesternduell der Triumph Tiger 1200 Rally Pro und der 900 Rally Pro hatte ich mit grosser Sehnsucht erwartet. Kann sich die grosse Schwester von der starken Mittelklasse Allrounderin absetzen?

1000PS Dauertester 2022 vs. Dauertester 2020

Bei kaum einem Duell der Reihe Muss es immer die Grosse sein? hatte ich im Vorhinein so ausreichend Gelegenheit Erfahrungen mit den Duellanten zu sammeln, wie beim Duell Triumph Tiger 1200 Rally Pro vs. Triumph Tiger 900 Rally Pro. Schliesslich begleitet uns die 1200er schon die gesamte Saison als Dauertester und dasselbe galt 2020 für die Tiger 900 Rally Pro, die ich zudem heuer bereits in Spanien mit anderen Reiseenduros vergleichen durfte. Natürlich hatte ich aus diesen Umständen genährte Vorurteile zum Vergleich. Ob sich diese bewahrheitet haben, lest ihr in den folgenden Zeilen.

Das Duell ist am Papier eine klare Angelegenheit - Zahlen, Daten Fakten

Für alle Techniker unter euch empfehle ich unseren Motorradvergleich Triumph Tiger 1200 Rally Pro vs. Triumph Tiger 900 Rally Pro. Nach dieser Lektüre scheint klar zu sein: Die 900er hat nicht den Hauch einer Chance. Ganze 43 Newtonmeter und 55 PS fehlen auf die grosse Schwester. Der Gewichtsvorteil von knapp 20 kg reisst die 900er da auch nicht wirklich raus. Die offiziellen Angaben von Triumph haben wir auf der 1000PS-Viehwaage nachgemessen: Mit jeweils montierter Seitenkofferaufnahme bringen die Tiger 1200 Rally Pro 256 Kilogramm und die Tiger 900 Rally Pro 232,5 kg auf die Waage.

Ausstattungsschlacht auf höchstem Niveau bei den Tiger-Schwestern!

Klotzen nicht kleckern! Das ist das Motto der Pro-Varianten der Tiger-Modelle. Klarerweise ist das Elektronikpaket der brandneuen 1200er noch etwas besser als das der kleinen Schwester. ABS und Traktionskontrolle etwa regeln feinfühliger und schneller, hier merkt man, was in zwei Jahren Entwicklung in Hinckley weitergeht. Auch beim semi-aktiven E-Fahrwerk samt mannigfaltiger Einstellmöglichkeiten hat die grosse Tiger die Nase vorn, auch wenn die Kleine ebenfalls ein voll-einstellbares Fahrwerk bietet. Die 900 Rallye Pro kann mit serienmässiger Sitzheizung für Fahrer und Sozius dagegenhalten, ein Feature, das bei der 1200er zwar verfügbar (der entsprechende Knopf am Lenker ist sogar schon vorbereitet, zeigt aber beim Drücken keinerlei Wirkung), aber aufpreispflichtig. Hier erfolgt seitens Triumph wohl die Abgrenzung zur Explorer Variante, die mit 30 Liter Tank und Totwinkelassistent, den Weltenbummler gibt.

Zwei grosse Displays unterschiedlicher Machart eint die Bedienung

Die Dimension der beiden Farb-TFT-Displays ist mit 7 Zoll ident, in der Ausführung unterscheiden sie sich dennoch merklich voneinander. Während das der 900er matt gehalten ist, werkt in der 1200er ein Hochglanzdisplay, das deutlich farbenfroher strahlt. Von der Ablesbarkeit schenken sie sich grundsätzlich nicht viel, wobei die Darstellung des Drehzahlmessers auf der Tiger 900 dem Piloten immer noch Rätsel aufgibt. Die Einstellmöglichkeiten sind in beiden Fällen umfangreich. Die Animationen, mit denen nur die 1200er aufwarten kann sind zwar grundsätzlich schön anzuschauen, die offenbar unterdimensionierte Rechenleistung verursacht allerdings leichte Verzögerungen zwischen Befehlseingabe und -ausführung, diese Probleme kennt die 900er nicht. Gesteuert wird in beiden Fällen mit dem bewährten 5-Wege-Joystick am linken Lenkerende, die Bedienung ist logisch und intuitiv. Praktisch sind separate Knöpfe für die Modi-Schnellverstellung, nicht weniger als sechs Modi bieten die Tiger-Modelle jeweils, wobei einer in Ansprechverhalten, Traktionskontroll- und ABS-Regelung komplett frei konfigurierbar ist. Bei der 1200er gilt das auch für das Fahrwerkssetup, das sich ansonsten ebenfalls am gewählten Modus orientiert.

Tiger-Duell gross gegen klein: Bremsen nur am Papier ident

Wählt man den Offroad-Pro-Modus, lässt sich das ABS am Hinterrad für den Geländeeinsatz komplett deaktivieren. Die Bremsanlagen an beiden Reiseenduros stammen aus dem Hause Brembo. Die Stylema Bremszangen sowie der Scheibendurchmesser der Doppelscheiben an der Front sind ebenfalls ident, sodass es Mex und mich überrascht hat, dass die Tiger 1200 subjektiv trotz 23kg Mehrgewicht noch etwas kräftiger zupackt, als die kleine Schwester. Eventuell sind andere Bremsbeläge dafür ausschlaggebend, dazu kommt, dass die Tiger 900 Rally Pro 20mm mehr Federweg vorne bietet und das Gefühl für das Vorderrad durch das stärkere Eintauchen der Front weniger direkt ist. Nichtsdestotrotz ankern beide Tiger mit ihren scharfen Brembokrallen weit über dem jeweiligen Klassenschnitt, hier gibt es also nichts zu meckern

Fahreindrücke Motor - welcher Triple überzeugt wen?

Beim Thema Motor und Ansprechverhalten gab es Uneinigkeit im Testteam. Während der 1160 Kubik Triple der 1200er Mex begeisterte, zog ich den unaufgeregt linear abliefernden 888 Kubik Drilling in der 900er vor - warum? Zum einen schätze ich Motoren rund um die 100 PS grundsätzlich, da man hier auch einmal beherzter am Gasgriff drehen kann, ohne sofort um den Führerschein bangen zu müssen. Zum anderen darf der seidige Triple in der Tiger 900 als Paradebeispiel für seine Gattung gelten: Genug Kraft von unten, seidiges Hochdrehen bis in den Begrenzer und so gut wie keine Vibrationen.

Letztere sind bei der grossen Schwester leider in der Drehzahlbandmitte, in der man sich im Landstrassenbetrieb nun einmal häufig aufhält, im wahrsten Sinne des Wortes nicht von der Hand zu weisen. In den Extremitäten spürt man den 150 PS Drilling stark. Der verbaute Kardan, mit Vorteilen in der Wartung, gibt der 1200er ein raues Ansprechverhalten und der Hubzapfenversatz sorgt für einen Motorlauf, den Kollege Mex als charakterstark umschrieben hat. Natürlich ist das hohe Drehmoment eine Freude und insbesondere im Soziusbetrieb und mit Gepäck schätzt man die Kraft des grossen Dreizylinders sehr. Beide Kontrahentinnen weisen einen serienmässigen bidirektionalen Quickshifter auf. Auch in diesem Fall verhindert der Kardan, dass der Schaltassistent auf der Tiger 1200 Rally Pro die Präzision seines Pendants auf der Tiger 900 Rally Pro erreicht.

Voll verstellbare Fahrwerke: Tiger 900 konventionell vs Tiger 1200 elektronisch

Einen Riesenvorteil bietet hingegen das E-Fahrwerk der grossen Tiger. Der Belag einiger der hiesigen Landstrassen, den man umgangssprachlich gerne als Fleckerlteppich bezeichnet, offenbart schonungslos die Schwächen eines analogen Fahrwerks. Nicht, dass die Tiger 900 Rally Pro mit ihrem voll-einstellbaren Showa-Fahrwerk schlecht aufgestellt wäre, aber bei rasch wechselnden Bedingungen spielt das semi-aktive E-Fahwerk (ebenfalls aus dem Hause Showa) seine Stärken aus. Mühelos bügelt die 1200er Unebenheiten weg, das straffe Setting des Sportmodus macht sich in der Bremszone äusserst positiv bemerkbar. An Stellen, an denen die 900er schon längst tief einsinkt, stemmt sich die Gabel der Tiger 1200 gegen die auftretenden Bremskräfte und ermöglicht rasches Umlegen am Kurveneingang.

Die Tiger 900 Rally Pro glänzt zwar durch ein hohes Mass an Stabilität, dieses geht aber mit einer latenten Unhandlichkeit einher. Im direkten Duell fällt das natürlich stärker auf, hat man sich einmal an das Fahrverhalten gewöhnt, lässt sich auch mit der kleinen Tiger ein flotter Strich fahren. Das Dynamikkapitel geht dennoch klar an die Tiger 1200 Rally Pro.

Reisetauglichkeit und Windschutz auf hohem Niveau

Im Sattel einer Reiseenduro kommt es aber natürlich, wie der Name schon sagt, auch auf andere Eigenschaften an. Auf Reisen schätzt der Pilot auf beiden Maschinen den ausgezeichneten Windschutz, durch den grösseren Motor und die dadurch etwas breitere Front der 1200er ist er hier im unteren Körperbereich noch besser als der der 900er. Die Windschildverstellung gelingt da wie dort mühelos mit einer Hand auch während der Fahrt.

Bei der Zuladung übertrifft die Tiger 900 mit 223 kg denkbar knapp ihre grosse Schwester, die mit 222 kg aber ebenfalls tüchtig wegstecken kann. Das Zubehörprogramm bietet Gepäcklösungen, andere Sitzbänke und Sturzbügel. Im Falle der 1200er bietet es auch Sitzheizung für Fahrer und Sozius, diese ist beim kleineren Modell bereits in Serie verbaut und funktioniert ausgezeichnet, wie unser Test 2020 bewiesen hat.

Beim Thema Verbrauch hat die kleine Tiger die Nase vorn, sie genehmigt sich mit 5 Litern auf 100 km rund einen Liter weniger, als die 1200er, bei der auf der gleichen Strecke ca. 6 Liter durch die Brennräume gejagt werden. Da beide Spritfässer 20 Liter fassen, ergibt sich bei der kleinen eine rechnerische Reichweite von 400 km, während man auf der grossen bereits nach 330 km dringend Ausschau nach einer Tankstelle halten sollte.

LS2 Explorer Carbon - Adventure Helm im Test 2022

Wir hatten 2022 erstmal seit längerem wieder Helme von LS2 flächendeckend in der Redaktion im Einsatz. Gregor und ich (wie z.B. in diesem Test) den Explorer Carbon MX701, Vauli, Mex und Horvath den Thunder Carbon FF 805, zu dem wir auch schon einen Testbericht online haben.

Nachdem mich der Explorer Carbon nun schon die ganze Saison begleitet, möchte ich an dieser Stelle auch ein paar Eindrücke loswerden. Optisch kommt der in schier unendlich vielen Farb- und Dekorvarianten erhältliche LS2 Explorer ausladend und wuchtig daher, nimmt man den Adventure Helm dann jedoch in die Hand, folgt die erste Überraschung. Der Werkstoff Carbon ermöglicht niedriges Gewicht bei hoher Sicherheit. Gerade einmal 1450 Gramm bringt der Explorer Carbon in Medium auf die Waage. Ein sicherheitsrelevanter Vorteil ist das Visier, dass dem Fahrer ein riesiges Blickfeld ermöglicht. Die Belüftung lässt sich über zahlreiche Verstellmöglichkeiten wunderbar dosieren und das Schild oben am Helm mit wenigen Handgriffen auch abmontieren, wodurch sich die Optik stark verändert und der Explorer C bei hohem Speed auch deutlich leiser wird. Dem Adventure-Look geschuldet, gehört der Explorer ansonsten zu den lauteren Modellen am Markt. In Summe hat LS2 hier ein auch preislich wirklich attraktives Produkt am Start, das sich nicht vor der Konkurrenz verstecken muss.

Ergonomie, Soziusbetrieb, Haptik Tiger 900 vs. 1200

Ausladende Platzverhältnisse und bequemes Gestühl bieten sie beide, die Tiger-Schwestern. Der Lenker ist auf der 1200er etwas breiter und die Sitzhöhe mit 875 - 894 mm höher als auf der Tiger 900, die mit 850 - 870 mm somit für kleinere Piloten die bessere Wahl darstellt. Die Sitzbank der Tiger 1200 Rally Pro bietet etwas mehr Kontur als die der Tiger 900. Etwas enttäuschend und der einzige Fleck auf der ansonsten strahlend weissen Verarbeitungs- und Materialanmutungsweste der frisch designten Tiger 1200 Rally Pro ist die Tankverkleidung. Sie scheppert leicht, wenn man drauf klopft und das Plastik ist an den Stellen, wo die Beine aufliegen, bereits matt. Die Sozius-Haltegriffe der beiden Reiseenduros sind ident, durch die anders geformte Soziussitzbank an der 1200er fällt es dem Beifahrer auf ihr allerdings schwer sie gut in den Griff zu bekommen.

Fazit Vergleichstest Triumph Tiger 900 Rally Pro vs Triumph Tiger 1200 Rally Pro 2022

Die Tiger 900 Rally Pro ist nach wie vor eine grossartige Reiseenduro und macht auch im direkten Duell mit ihrer Schwester aus der Oberliga eine gute Figur. Wer einen tapferen Allrounder sucht, der einen durch Dick und Dünn begleitet, kann hier bedenkenlos zuschlagen. Bei der Tiger 1200 Rally Pro kommen all jene auf ihre Kosten, die frei nach dem Motto Nur das Beste ist gut genug! auf Annehmlichkeiten wie das semi-aktive E-Fahrwerk oder Fahrhilfen der neuesten Generation nicht verzichten wollen. Das Triebwerk bietet Leistung und Drehmoment satt, hat aber Ecken und Kanten, wie man sie von einem Dreizylinder eigentlich nicht kennt. Für Weitreisende hat der Kardanantrieb unbestritten Vorteile, auch wenn er im alltäglichen Fahrbetrieb weniger harmonisch arbeitet, als eine Kette. Nicht zuletzt wird die Grösse des Geldbeutels ebenfalls eine Rolle bei der Entscheidungsfindung spielen. Bei einem Preisvorteil von knapp 7.000 Euro, müsste ich nicht überlegen, auf welchen Tiger meine Wahl fällt.

Fazit: Triumph Tiger 900 Rally Pro 2022

Beeindruckend, wie gut das Motorrad den Spagat zwischen On- und Offroad hinbekommt, genau das kann, was eine Reiseenduro können sollte bzw. was man mit einer Reiseenduro noch angehen will. Und dies mit einem Reifegrad, der für ein neues Modell geradezu verblüfft bzw. zeigt, dass man bei Triumph die Hausaufgaben gemacht und die ohnehin schon unterschätzte Tiger 800 sinnvoll weiter entwickelt hat. Auch wenn manch eingefleischtem Tiger-Fan das nun weniger ausgeprägte, typische Pfeifen des Dreizylinders fehlen mag. Die Frage, ob die Tiger 900 Rally Pro bereit für die Reise ist, kann ich nur mit einem „wann soll es denn wieder losgehen?“ beantworten!


  • charaktervoller Dreizylinder
  • deutlich verbesserte Offroadtauglichkeit
  • komfortable Federelemente
  • Quickshifter mit Blipper serienmässig
  • üppige Serienausstattung, sogar Sitzheizung für Fahrer und Sozius
  • gute Ergonomie
  • guter Wind- und Wetterschutz
  • Langstreckentauglichkeit
  • Handguards für Offroad-Einsatz wenig robust
  • Schalterflut am linken Lenker

Fazit: Triumph Tiger 1200 Rally PRO 2022

Die Triumph Tiger 1200 Rally Pro wartet mit einem mächtigen Reihen-Dreizylindern auf und richtig viel Ausstattung auf. Das Rundum-Sorglos-Paket auf zwei Rädern lässt sich souverän steuern, bevorzugt aber eher gemütliche Gangarten. Wen das nicht stört, der wird sich am sanften elektronischen Fahrwerk, dem guten Windschutz und jede Menge Komfort-Features erfreuen. Die neuentwickelte Tiger 1200 ist aber an einigen Ecken auch (noch) etwas unrund, wie man zum Beispiel an stärkeren Lastwechselreaktionen und hochfrequenten Vibrationen auf Autobahn-Etappen merkt.


  • Lineare, berechenbare Leistungsentfaltung
  • Üppiges Elektronik-Paket
  • Guter Windschutz
  • Angenehme Sitzposition
  • Top Bremsen
  • Hochfrequente Vibrationen bei bestimmten Drehzahlen
  • Lastwechselreaktionen
  • Griffe für Sozius ungünstig positioniert

Bericht vom 09.09.2022 | 29'141 Aufrufe

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