Honda Africa Twin vs Triumph Tiger 900 Rally Pro Offroad-Test

Offroad Vergleich im vulkanischen Hinterland Siziliens

Am Fusse des Ätna stellen sich sechs moderne Reiseenduros zum Offroad-Vergleich. Die Honda Africa Twin und Triumph Tiger 900 Rally Pro sind dabei die Reisedampfer, die dennoch im Gelände performen wollen. Wie gut gelingt ihnen das?

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Das deutsche Magazin MOTORRAD lädt zusammen mit Pirelli/Metzeler Italia nach Sizilien zum grossen Reiseenduro Offroad-Vergleich. Sechs moderne Adventure-Bikes (Honda Africa Twin, Triumph Tiger 900 Rally Pro, Ducati DesertX, KTM 890 Adventure R, Aprilia Tuareg 660 und Yamaha Tenere 700 World Raid) zeigen im vulkanischen Hinterland Siziliens, wie kompetent sie sich durch leichtes bis anspruchsvolles Gelände bewegen lassen. Das Ziel war es, von unterschiedlichen Herstellern die modernsten Reiseenduro-Modelle mit 21-Zoll Vorderrad aufzustellen. Die Oberklasse mit 150+ PS wurde dabei aber bewusst ausgelassen. Wenn euch der grosse Offroad-Vergleich interessiert, dann abonniert unseren Youtube-Kanal und seid gespannt auf das Video am 11.11.22.

Einheitsreifen beim Reiseenduro Offroad-Vergleich 2022

Um die Offroadtauglichkeit der Reiseenduros richtig einordnen zu können, setzen wir auf einen Einheitsreifen. Der Metzeler Karoo 4 ist ein moderner 50/50 Reifen, der mit seinem wellenförmigen Profil sehr guten Grip auf losem Untergrund bietet, trotzdem aber mit der weicheren Gummi-Mischung an den Flanken auch anständige Schräglagen und Performance auf Asphalt ermöglicht. Schon auf meiner Offroad-Tour durch Island mit der Honda Africa Twin war ich begeistert vom Karoo 4.

Honda CRF1100L Africa Twin vs. Triumph Tiger 900 Rally Pro im Offroad-Vergleich 2022

Unter den sechs Motorrädern in Sizilien sind die Honda Africa Twin und die Triumph Tiger 900 Rally Pro definitiv die Reisemotorräder, weshalb sie hier auch im Duell antreten. Dass der Reise-Gedanke an erster Stelle steht, merkt man schon an der Ergonomie, vor allem im stehenden Fahrbetrieb.

Stehposition auf der Honda CRF1100L Africa Twin 2022
Stört im Stehen: Der Rahmen bildet über den zu weit vorne positionierten Fußrasten die breiteste Stelle, was einen vernünftigen Knieschluss im Stehen erschwert.

Beide bieten eine, wie ich es gerne nenne, "touristische" Stehposition. Die breiten Lenker sind auf einer Höhe angebracht, dass auch ich mit meinen 1,85 m den Oberkörper nicht gross herunterbeugen muss, um mit den Armen den Lenker zu erreichen. Dass ist komfortabel genug, um ohne viel Ermüdung auch über längere Distanzen so zu fahren. Allerdings bringt man in so einer aufrechten Position schwerer Druck und Kontrolle über den Lenker an die Front, weshalb sportliche Offroad-Bikes oft niedrigere Lenker bevorzugen. Die Tiger 900 Rally Pro bietet sonst auch eine komfortable, gelungene Ergonomie. Die Taille ist schön schmal und ermöglicht guten Knieschluss, der Tank verbreitert sich spät genug, um bis zu moderatem Tempo ausreichend Platz zu bieten. Bei der Africa Twin ist die Ergonomie auch komfortabel, allerdings limitiert sie den Fahrer bei ambitionierterem Gelände recht stark. Der Rahmen baut auf Höhe der Fussrasten zu breit, sodass man schon mit den Knöcheln ansteht und so schwerer mit den Knien das Motorrad fassen kann. Das grösste Problem ist aber die Position der Fussrasten selbst, die vermutlich zu Gunsten eines entspannten Kniewinkels im Sitzen sehr weit vorne platziert wurden. Das stört vor allem bei bergauf Passagen oder bei härterer Beschleunigung, denn in Kombination mit dem breiten Tank ist es auf der Africa Twin kaum möglich, sich mit dem Körper weit genug nach vorne zu positionieren, um den Lenker locker zu halten. Ständiges Hinziehen zum Lenker ermüdet und erschwert gleichzeitig eine präzise Lenkung. Für einfaches Gelände passt die Ergonomie der Triumph und Honda, bei schwererem Gelände schränkt vor allem die Honda aber etwas ein.

Motor und Leistungsentfaltung - Honda CRF1100L Africa Twin vs. Triumph Tiger 900 Rally Pro im Offroad-Vergleich 2022

Dafür kann die Honda Africa Twin beim Motor punkten. Im Offroad-Betrieb ist weniger die Endleistung wichtig, sondern vielmehr spielt die Art der Leistungsentfaltung eine grosse Rolle. Der 1084 cm³ Reihen-Zweizylinder ist meiner Meinung nach eines der besten Aggregate am Markt. Nur wenige Motoren schaffen es, schon aus dem Drehzahlkeller dermassen viel Drehmoment bei gleichzeitig dermassen feinem Ansprechverhalten zu liefern. Die Africa Twin lässt sich sehr fein dosieren, kann aber mit nur einem leichten Gasstoss sofort ordentlich Power ans Hinterrad liefern. Die 102 PS bei 7.500 U/min und 105 Nm Drehmoment bei 6.250 U/min lassen sich selbst mit geringer Erfahrung leicht beherrschen, routinierte Piloten können der Africa Twin aber auch ordentlich Performance entlocken.

Motor der Triumph Tiger 900 Rally Pro 2022
Geschmackssache: Im Gegensatz zum Zweizylinder der Honda hat der Triumph Dreizylinder keine Drehmomentkeule zu bieten, dreht dafür aber smoother und vibrationsärmer hoch.

Die Triumph Tiger 900 Rally Pro hat mit ihrem 888 cm³ Reihen-Dreizylinder mit 95,2 PS bei 8.750 U/min und 87 Nm bei 7.250 U/min zwar auch ein ausgereiftes Aggregat mit an Bord, kann aber baubedingt als Reihen-Dreier nicht so einen Drehmomenthammer bieten, wie die Honda. Dafür dreht sie sehr sauber hoch, lässt sich durch die lineare Leistungsentfaltung auch sanft dosieren und liefert die Power sehr berechenbar. Wer eine smoothe Gasannahme schätzt, der könnte auch die Triumph bevorzugen. Der Motor braucht aber dementsprechend deutlich mehr Drehzahl, um die Tiger flott zu bewegen. Doch heutzutage kommt es beim Fahrverhalten nicht nur auf die Motoren selbst, sondern auch auf die alles regulierende Elektronik an.

Elektronik und Bedienkonzept - Honda CRF1100L Africa Twin vs. Triumph Tiger 900 Rally Pro im Offroad-Vergleich 2022

Africa Twin und Tiger 900 Rally Pro bieten beide sehr üppige Elektronik-Pakete. Mehrere Fahrmodi, schräglagenabhängige und mehrfach einstellbare Traktionskontrolle und ABS, Motorbremskontrollen, Wheeliekontrolle und mehr. Quickshifter mit Blipper-Funktion haben in Sizilien auch beide Bikes verbaut, im Gegensatz zur Africa Twin ist dieser aber bei der Tiger 900 Rally Pro in der Serienausstattung inbegriffen.

Elektronik Honda CRF1100L Africa Twin 2022
Am Umfang und der Funktion der Elektronik der Africa Twin gibt es nichts auszusetzen. Am unintuitiven Bedienkonzept aber schon.

In unbefestigtem Gelände ist vor allem eine einfache und schnelle Verstellbarkeit von ABS und Traktionskontrolle wichtig. Ausserdem sollten etwaige Offroad-Modi fein regeln und nicht zu restriktiv eingreifen. Das ist auch eine Schwäche der Tiger 900 Rally Pro, die selbst in der schwächsten Stufe der Traktionskontrolle noch immer zu stark eingreift und in grobem Gelände zu viel Power wegnimmt. Dafür lässt sich das ABS auf der Triumph deaktivieren, was bei der Honda Africa Twin nur hinten möglich ist. Das Bedienkonzept der Africa Twin ist anfangs sehr verwirrend und eines der unintuitivsten am Markt, dafür aber sehr fein einstellbar. Die Traktionskontrolle lässt sich, vorausgesetzt man findet das richtige Menü, schnell und einfach und auch während der Fahrt verstellen. Auch sind die Regelzyklen feiner, sodass selbst in tiefem Schotter oder Sand noch ein Vorankommen möglich ist. Das Bedienkonzept der Triumph ist deutlich schlüssiger und logischer, aber Triumph verhindert oder erschwert aus Sicherheitsgründen einige Einstellmöglichkeiten. Zum Beispiel lassen sich die Offroad-Modi, die Traktionskontrolle und/oder ABS deaktivieren, nicht in Bewegung auswählen. Auch beim Start des Motorrads muss in einem sehr kurzen Zeitfenster der Offroad-Modus bestätigt werden, bevor automatisch wieder der Road-Modus aktiviert wird. Auf Touren mit wechselnden On- und Offroad-Strecken kann das schnell mühsam werden.

Fahrwerk und Handling - Honda CRF1100L Africa Twin vs. Triumph Tiger 900 Rally Pro im Offroad-Vergleich 2022

Ebenfalls essentiell im Gelände ist das Fahrwerk, welches zu grossen Teilen Handling und Fahrverhalten mitbestimmt. Beide Motorräder sind mit Upside-Down Telegabeln und Federbeinen von Showa ausgestattet. Auf der Africa Twin bieten diese 230 mm Federweg vorne und 220 mm hinten, auf der Tiger 900 Rally Pro sind es 240 mm vorne und 230 mm hinten. Manuelleinstellbar sind auch beide komplett, nur die Druckstufe des Federbeins der Triumph lässt sich nicht anpassen. Die Fahrwerke müssen auch annähernd gleich viel Masse auffangen. Auf unserer 1000PS-Viehwaage wog die Honda randvoll vollgetankt 232 kg, die Triumph 232,5 kg. Beide Fahrwerke sind definitiv auf der weicheren, komfortablen Seite, wodurch bei Unebenheiten durchaus Bewegung ins Fahrzeug kommt. Auf der Africa Twin wird diese Bewegung aber nicht zur Unruhe, denn das Fahrwerk bewegt sich zwar, bleibt aber stabil und berechenbar. Auf der Tiger 900 Rally Pro schafft die Federung nicht ganz diese schwingende Stabilität, sondern gibt sich unruhiger und weniger präzise. Bis zu moderatem Tempo und in leichterem Gelände sind aber beide noch sehr gut zu bewegen.

Fahrwerk der Honda CRF1100L Africa Twin 2022
Bei Bodenwellen geht das weiche Fahrwerk der Africa Twin zwar auch in die Knie, bleibt aber berechenbar und stabil.

Bremsen und Getriebe - Honda CRF1100L Africa Twin vs. Triumph Tiger 900 Rally Pro im Offroad-Vergleich 2022

Die Brembo Stylema Bremsanlagen der Triumph Tiger 900 Rally Pro sind äusserst potent und würden für einen reinen Offroad-Einsatz weit übers Ziel hinausschiessen. Sie bleiben aber auch im losen Gelände fein dosierbar und bieten im Gegenzug auch bei sportlicher Strassenfahrt ausreichend Verzögerungskraft. Die Bremsen der Africa Twin von Nissin schaffen nicht die Performance der Triumph-Bremserei, sind aber auch fein dosierbar und kräftig genug. Beim Getriebe hat dafür wiederum die Honda die Nase leicht vorne, da Gänge hier extrem satt und knackig eingelegt werden. Die Triumph schafft nicht ganz diese Klarheit beim Gangwechsel, viel fehlt aber nicht. Dafür ist der Quickshifter der Tiger schneller.

Ready to crash? Robustheit im Offroad-Vergleich Honda CRF1100L Africa Twin vs. Triumph Tiger 900 Rally Pro 2022

Erfahrene Offroad-Piloten wissen: Im unbefestigten Gelände geht man früher oder später auf Tuchfühlung mit dem Boden. Eine falsche Einschätzung, etwas zu wenig Speed oder einfach ein allzu unebener Boden beim Stopp in der Pampa, und schon liegt die Kiste. Da ist es wichtig, dass zumindest kleine Hoppalas ohne grossen Schaden weggesteckt werden können. Bei Africa Twin und Tiger 900 haben wir ähnliche Ausmasse, der Motor ist bei beiden ähnlich exponiert. Allerdings beschränkt die Tiger den Schutz durch Sturzbügel in Serie auf den Motorraum, die Africa Twin hat dafür ohne Aufpreis gleich gar keinen Schutz mit an Bord. Bei unserem Vergleich war die Honda durch umfassende Sturzbügel im Vorteil, im Serienzustand wäre es aber anders. Die serienmässigen Handprotektoren bestehen bei beiden nur aus dünnem Plastik, hier ist ein Upgrade für ambitionierte Offroader dringend notwendig. Richtet man den Blick auf die Front der Maschinen, fallen auch die recht stark exponierten und damit von Steinschlag gefährdeten Krümmer der Triumph auf. Und noch eine Lanze muss ich für die Robustheit des Honda Motors brechen. Auf meiner Island-Reise mit den Honda Adventure Roads gab es auch Fahrtage mit einmal 14 und einmal 16 Flussdurchfahrten am Tag. Dabei gingen auch einige Maschinen baden. Trotz reichlich Wasser im System reichte es die Africa Twins anzustarten, das Wasser als Auspuff-Fontäne rauszublasen und schon ging es weiter. Nach ausgiebigen Badegängen wurde noch die Zündkerze rausgeschraubt und getrocknet, mehr nicht. Trotzdem hielten alle Motoren die Tortur durch und liefen sauber bis zum Ende der Reise.

Triumph Tiger 900 Rally Pro 2022
Im Gemüse kann schnell was schief gehen. Die Tiger 900 Rally Pro schützt in Serie zumindest den Motor vor unfreiwilligem Bodenkontakt.

Fazit zum Offroad-Vergleich von Honda CRF1100L Africa Twin vs. Triumph Tiger 900 Rally Pro 2022

Sowohl die Honda CRF1100L Africa Twin, als auch die Triumph Tiger 900 Rally Pro sind in erster Linie Reise-Motorräder. Ausflüge ins Gemüse werden mit solchen Dickschiffen immer ein Kompromiss bleiben und das spürt man ab den ersten Metern auf losem Untergrund. Dennoch ist es erstaunlich, wie gut sich beide dann doch im leichten bis moderaten Gelände bewegen lassen. Dabei weisen beide unterschiedliche Stärken und Schwächen auf. Die Africa Twin punktet mit ihrem genialen Motor und dem ausgewogenen Fahrwerk, die Tiger mit ihrer besseren Ergonomie und der zugänglicheren, wenn auch etwas übertrieben vorsichtigen, Elektronik. Der grösste Unterschied liegt in der Charakteristik des Motors und die Vorliebe für den smoothen Dreizylinder, oder den bollernden Zweizylinder, wird schlussendlich vermutlich auch der Entscheidungsgrund sein.

Fazit: Honda CRF1100L Africa Twin 2022

Die Africa Twin ist für mich eine Reiseenduro wie eine Reiseenduro sein soll. Das galt schon fürs Vorgänger-Modell und änderte sich auch mit dem Anwachsen von Hubraum und Leistung nicht. Weil diese mit 102 PS zum einen überschaubar blieb und es Honda dabei sogar schaffte, ein paar Kilo gegenüber der CRF1000L abzuspecken. Also blieb ihr die Vielseitigkeit, funktioniert sie auf der Autobahn genauso wie im Gelände. Das Fahrwerk schluckt so ziemlich alle Unebenheiten, der Motor bleibt in jeder Lebenslage souverän, Ergonomie und Sitzkomfort sind beispielhaft. Ein Motorrad für alle Tage genauso wie für die grosse Reise – wo immer die auch hingehen mag.


  • durchzugsstarker Motor
  • ausgereifte elektronische Fahrhilfen
  • wunderbar funktionierendes DCT (Option)
  • Touch-Screen-Farbdisplay
  • gute Ergonomie
  • Langstreckentauglichkeit
  • Windschild gut für Offroad
  • Bedienkonzept der Elektronik wenig übersichtlich und intuitiv
  • Handguards für Offroad-Einsatz wenig robust
  • Windschild bietet überschaubaren Schutz
  • Ergonomie für stehendes Fahren nicht ideal

Fazit: Triumph Tiger 900 Rally Pro 2022

Beeindruckend, wie gut das Motorrad den Spagat zwischen On- und Offroad hinbekommt, genau das kann, was eine Reiseenduro können sollte bzw. was man mit einer Reiseenduro noch angehen will. Und dies mit einem Reifegrad, der für ein neues Modell geradezu verblüfft bzw. zeigt, dass man bei Triumph die Hausaufgaben gemacht und die ohnehin schon unterschätzte Tiger 800 sinnvoll weiter entwickelt hat. Auch wenn manch eingefleischtem Tiger-Fan das nun weniger ausgeprägte, typische Pfeifen des Dreizylinders fehlen mag. Die Frage, ob die Tiger 900 Rally Pro bereit für die Reise ist, kann ich nur mit einem „wann soll es denn wieder losgehen?“ beantworten!


  • charaktervoller Dreizylinder
  • deutlich verbesserte Offroadtauglichkeit
  • komfortable Federelemente
  • Quickshifter mit Blipper serienmässig
  • üppige Serienausstattung, sogar Sitzheizung für Fahrer und Sozius
  • gute Ergonomie
  • guter Wind- und Wetterschutz
  • Langstreckentauglichkeit
  • Handguards für Offroad-Einsatz wenig robust
  • Schalterflut am linken Lenker

Bericht vom 21.10.2022 | 30'702 Aufrufe