Honda XL750 Transalp vs. Yamaha Ténéré 700 Vergleich & Test 2023
Wird Hondas neue Lightweight-Enduro zur Tenere-Killerin?
Die Verkaufszahlen der Yamaha Tenere 700 sprechen für sich. Sie ist die Königin der leichteren Reiseenduros. Doch Honda steigt nun mit der Wiederauflage der Honda Transalp in den Markt ein und will mit viel Leistung, niedrigem Gewicht und einem Kampfpreis punkten. Hat sie Chancen auf den Thron?
Dass gerade die Tenere 700 der Champion der leichten Reiseenduros ist, kommt eigentlich wenig überraschend, denn schliesslich gab es am Markt lange Zeit nur die Japanerin. Mit der Aprilia Tuareg 660 gab es verspätet zwar etwas Konkurrenz aus Italien, doch wirklich gefährlich wurde das für die beliebte Puristin nie. Es ist aber auch sicher nicht leicht, ein konkurrenzfähiges Produkt auf die Beine zu stellen, denn im sowieso schon anspruchsvollen Reiseenduro-Markt wird von diesen Adventure Bikes um die 700 Kubik auch noch wenig Gewicht, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und gleichzeitig eine gewisse Performance erwartet. Da kommt man mit halben Sachen nicht weit, weshalb Honda den legendären Namen Transalp wiederbelebt hat und gleich die richtig dicken Geschütze hochfährt.
Fast idente Daten = ein knappes Duell?
Schon mit dem ersten Blick auf die technischen Datenblätter steigt die Erwartung auf ein heisses Duell zwischen Tenere und Transalp. In vielen Punkten sind sie sich sehr ähnlich, teils nahezu ident. Beide Reiseeenduros tragen einen Reihenzweizylinder mit Hubzapfen-Versatz im Herzen, einmal mit 689 Kubik und einmal mit 755 cm³. 204 kg bringt die Tenere 700 fahrfertig auf die Waage, 208 kg sind es bei der Honda Transalp. Beide besitzen ein 90/90-21 Vorderrad und ein 150/70-18 Hinterrad. Der Radstand unterscheidet sich nur um 3 cm, die Höhe nur um 5 mm und der Verbrauch ist sogar komplett ident. 200 mm federt die nicht einstellbare Upside-Down-Telegabel auf der XL750 ein, 210 mm die auf der Tenere. Die Monofederbeine besitzen 200 mm (Tenere) und 190 mm (Transalp) Federweg. 5-Zoll TFT-Anzeigen, LED-Lichtelemente und Smartphone Connectivity sind auch bei beiden mit an Bord. Ähnlichkeiten gibt es also zuhauf.
Ungleicher als man denkt - Honda XL750 Transalp & Yamaha Tenere 700 im Vergleich
Doch schon ab den ersten Metern auf der neuen Transalp spüre ich, dass die vermeintliche Gleichheit nur am Papier besteht. Bei der Präsentation der Transalp in der portugiesischen Algarve erklären uns die Entwickler von Honda, dass Zugänglichkeit ein zentraler Punkt der Transalp ist, damals wie heute. Und das spürt man!
Auf den ersten Metern im Ortsgebiet und bei langsamen Verkehr fällt das leichte Handling der Transalp positiv auf. Ihre 208 kg liegen recht tief und zentral, was ihr einen niedrigen Schwerpunkt verleiht. In Kombination mit der für Reiseenduros tiefen Sitzhöhe von 850 mm, dem ab knapp unter 2.000 Umdrehungen sauber hochdrehenden Motor und einer fein dosierbaren, leichtgängigen Kupplung ist sie bei langsamen Geschwindigkeit sehr mühelos zu bewegen. Auch die Ergonomie fällt mit aufrechter Sitzposition, breitem Lenker und nahezu rechtwinkligem Kniewinkel sehr entspannt aus. Die Tenere führt auch einen sehr umgänglichen Motor ins Feld, bleibt aber aufgrund ihrer Sitzhöhe von 880 mm und einer eher kopflastigen Gewichtsverteilung bei ganz langsamen Geschwindigkeiten und beim Rangieren etwas kippelig.
Landstrassen-Performance im Vergleich - Honda XL750 Transalp vs. Yamaha Tenere 700 2023
Sobald das Ortsgebiet endet, beginnen die verschlungenen Strassen der hügeligen Algarve. Der gute Asphalt und wie für uns Biker wie geschaffene, enge Radien laden regelrecht zur flotten Kurvenfahrt ein. Mit 92 PS sollte die Transalp hier eigentlich klar überlegen sein, doch der Crossplane-Reihenzweier ist nicht umsonst seit Jahren ein Liebling der Motorradcommunity. Im engen Winkelwerk kann das drehmomentstarke Aggregat mit dem stärkeren Motor der Honda gut mithalten. Erst auf Geraden, wo man das Gas länger stehen lassen kann, merkt man, dass doch nur 73 Pferdchen in der Yamaha galoppieren. Der Motor ist jedoch bei der fröhlichen Kurvenhatz nicht der grösste Unterschied zwischen Transalp und Tenere. Vielmehr sind es die allzu weichen Knie und gedrungene Form der Honda. Um eine niedrige und zugängliche Sitzhöhe bieten zu können, wurden die Federwege der Transalp relativ kurz gehalten. Damit der Kniewinkel dennoch komfortabel bleibt, liegen auch die Fussrasten recht tief. Der letzte Faktor ist dann noch die sehr weiche Abstimmung des Fahrwerks, welches auch nur in der Vorspannung einstellbar ist. Fährt man mit Schwung in den Radius, geht die Transalp ziemlich in die Knie, verringert die Bodenhöhe von 210 mm noch weiter und so kratzen die Fussrasten schneller, als bei den meisten Reiseenduros. Kommen noch Bodenwellen in Schräglage dazu, macht sich auch eine unzureichende Dämpfung am Federbein bemerkbar und das Heck neigt etwas zum Aufschaukeln. Das alles bewegt sich allerdings in einem Rahmen, dass schwungvolle Fahrten und gemütliches Touren sowieso problemlos möglich sind. Sportliche Fahrer, die auch gerne auf ihrer Reiseenduro höhere Schräglagen fahren, werden die Transalp jedoch schnell ans Limit bringen.
Die Tenere besitzt zwar auch ein komfortabel abgestimmtes Fahrwerk, jedoch nicht mit dem Sänften-Charakter der Transalp. Sie bleibt etwas stabiler, bietet aber vor allem mehr Schräglagenfreiheit, was höheren Kurven-Speed bei ausreichendem Grip ermöglicht. Im Winkelwerk muss sie einzig bei der elektronischen Ausstattung Federn lassen, denn während die Transalp mit dem optionalen, gut funktionierenden Quickshifter knackig durch die Gänge ballert, ist auf der Puristin die Fahrt noch oldschool und analog.
Klare Sache im Groben - Honda XL750 Transalp vs. Yamaha Tenere 700
Abseits der befestigten Strassen sind die Unterschiede in der grundlegenden Philosophie und Auslegung der beiden Motorräder am offensichtlichsten. Die Honda XL750 Transalp geht auch hier zugänglich, fast schon etwas übervorsichtig zur Sache. Der Gravel-Modus ist sehr restriktiv und laut Honda bewusst auf Sicherheit ausgelegt. Aber selbst im frei konfigurierbaren User-Modus ist die 6-stufige Traktionskontrolle noch auf der schwächsten Stufe zu achtsam und nimmt zu viel Leistung weg. Der gutmütige Motor lässt sich dank seiner linearen Leistungsentfaltung dafür aber sehr fein dosieren. Neben der Elektronik ist auch die Ergonomie spürbar nicht für gröberes Gelände ausgelegt. Breite Schotterstrassen und Feldwege in der Ebene sind kein Problem und fühlen sich dank dem breiten Lenker sogar gut an. Doch wenn es härter und vor allem steiler wird, werden ihr wieder die sehr weit unten und vorne positionierten Fussrasten zum Verhängnis. Zumindest mir mit meinen 1,85 m ist es nicht möglich bergauf und mit Gas das Körpergewicht weit genug zur Front zu bringen, um die Hände am Lenker locker zu lassen. So zieht man sich ständig zum Lenker, was Kraft und Kontrolle kostet.
Dem gegenüber steht die Yamaha Tenere 700, die seit ihrer Erscheinung Adventuristen auf der ganzen Welt begeistert und wie geschaffen für Offroad-Fahrerei ist. Das Fahrwerk ist lang und stabil genug, der Motor mit feiner Dosierbarkeit und bauchiger Leistung kaum abzuwürgen und die Ergonomie perfekt, zumindest für mich. Als Nachteil im losen Gelände kann man ihr das mühsame Einstellen des dreistufigen ABS vorwerfen. Durch das hakelige Steuerrad und die unintuitive Bedienung nervt das, vor allem weil sich das ABS bei Ausschalten des Motors immer zurücksetzt, ausser man würgt das Motorrad ab. Ein weiteres Manko ist ihre Kopflastigkeit, durch die sie im Fall eines Sturzes erstaunlich viel Kraft benötigt, um wieder aufgerichtet zu werden. Und wenn man unfreiwilligen Bodenkontakt hat, dann sind auch Auspuff und der angeschweisste Heckrahmen bekannte Schwachstellen, die aber auch die Transalp aufweist.
Langstreckentauglichkeit & Komfort - Honda XL750 Transalp & Yamaha Tenere 700 im Vergleich
Hier liefern sie sich wieder ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Der Windschutz ist bei beiden passabel, sorgt mit dem Serienwindschild bei meiner Grösse aber für Verwirbelungen a Helm. Beide Bikes bieten Touringwindschilder im Originalzubehör an. Auch beim Verbrauch und der Reichweite gibt es nur kleine Unterschiede. Aus ihrem 16,9 Liter Tank holt die Transalp mit einem Verbrauch von 4,3 L/100km ca. 390 km. Die Tenere schafft mit ihrem 16 Liter Tank und 4,5 L/100km ca. 370 km. Einen klaren Vorteil beim Reisen hat die Transalp durch ihren stärkeren Heckrahmen und der dadurch möglichen Zuladung von 210 kg. Das ist zwar nicht weltbewegend, aber immer noch besser als die erlaubten 190 kg auf der Tenere.
Zu guter Letzt kommen wir noch zum Punkt der Elektronik. Die Tenere hat abgesehen vom ABS und dem neuen TFT-Display nichts mit an Bord. Als erklärte Puristin und mit einem noch klassischen Gaszug überrascht das aber weder, noch kann man ihr das Fehlen gross vorwerfen. Die Transalp hat aber Ride-by-Wire verbaut, bietet dadurch vier Fahrmodi, womit man die Gasannahme per Knopfdruck auf die jeweilige Fahrsituation einstellen kann. Ein echtes Touring-Essential und wichtigstes Feature für Langstreckenfahrer fehlt jedoch leider. Trotz elektronischem Gasgriffs und dadurch technisch leicht realisierbar, gibt es für die Transalp keinen Tempomaten, auch nicht für gutes Geld.
Preisvergleich der Honda XL750 Transalp & Yamaha Tenere 700 2023
Durch ihre hohe Gefragtheit ist der Preis der Yamaha Tenere 700 in Österreich von ursprünglich 11.000 € bei ihrem erstmaligen Erscheinen im Jahr 2020 auf inzwischen 12.099 € gestiegen. Damit liegt sie gut 500 € über der Honda XL750 Transalp, die in Österreich ab 11.590 € zu haben ist (Stand April 2023). Alle aktuellen Preise und Angebote zur Honda XL750 Transalp und Yamaha Tenere 700 findest du hier.
Fazit zum Vergleich der Honda XL750 Transalp & Yamaha Tenere 700 2023
Das vermeintlich knappe Duell besteht nur am Papier, in der Realität gehen Honda XL750 Transalp und Yamaha Tenere 700 in sehr unterschiedliche Richtungen. Die Transalp präsentiert sich auch in ihrer Neuauflage als braves, zugängliches Brot-und-Butter-Motorrad, welches sich in erster Linie an Alltagsfahrer und entspannte Tourer widmet. Die Tenere wiederum bietet auch 2023 ein im Reiseenduro-Segment einzigartiges Rezept, das den vielfältigen Zweizylinder-Motor mit dem puristischen Enduro-Spirit vereint und damit in erster Linie Abenteurer und Offroad-Cracks abholt. Beide Motorräder sind ausgeglichen genug, um ein bisschen im Revier der jeweils anderen zu wildern, doch die zentrale Ausrichtung bleibt eine grundverschiedene.
GREGOR
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Fazit: Yamaha Tenere 700 2023
Die Tenere 700 ist auch im Jahr 2023 noch konkurrenzlos. Sie bietet den besten Kompromiss aus Preis, Geländegängigkeit und Fahrkomfort auf der Strasse. Sie fährt ins Herz, macht super viel Spass und ist ein Motorrad für einen breiten Einsatzbereich. Die fehlenden Elektronikfeatures werden ihr die harten Fans verzeihen. Die etwas lasche Bremse, sowie die nervige ABS-Abschaltung vermutlich nicht.- Sehr robuster und zuverlässiger Auftritt
- sportliche und schlanke Optik
- spielerisches Fahrverhalten
- Erstaunlich sportlicher und spassiger Motor
- Gute Verarbeitung
- gutes Fahrwerk mit einem praxistauglichen Einstellbereich
- vergleichsweise geringes Gewicht
- Sehr hart im Nehmen
- ABS abschaltbar
- Sehr geländegängig
- mangelnder Sitzkomfort auf längeren Touren
- Bremse wirkt etwas billig - lascher Druckpunkt und magere Bremsleistung
- Bedienung der Elektronik unintuitiv und ABS-Abschaltung nervig
- Tankverschluss unpraktisch
- Ausstattungsliste in Sachen Elektronik sehr Kurz
GREGOR
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Fazit: Honda XL750 Transalp 2023
Die Honda XL750 Transalp schafft auch 2023 den Spagat zwischen verschiedenen Disziplinen des Motorradfahrens und brilliert überall dort, wo es nicht zu extrem wird. Ihre grössten Stärken sind der zugängliche, doch spassige Motor, ihr niedriges Gewicht und das daraus resultierende einfache Handling. Diese Zugänglichkeit und nicht zu vergessen der sehr preiswerte Kaufpreis haben aber zur Folge, dass die Transalp nicht die feinsten Komponenten mit an Bord hat. Das weiche Fahrwerk und die Bremsen bieten viel Komfort und bewältigen alle gemässigten Fahrsituationen souverän, doch gnadenlose Kurvenjagd oder hartes Gelände sind zu viel des Guten. Hinzu kommt noch der japanische Fokus auf Sicherheit, wodurch die Elektronik sehr vorsichtig und konservativ ausfällt. Doch die Aufgabe der Transalp ist es nicht Rennen oder Rallyes zu gewinnen, sondern Alltagsfahrer und Langstrecken-Tourer souverän durch die Welt zu tragen. Und das kann sie! Nur eines schmerzt hier: Der fehlende Tempomat.- Zugänglicher, doch spassiger Motor
- Gut geeignet für kleine Piloten, doch gleichzeitig auch Platz genug für grosse Fahrer Gute Verarbeitung
- Top Quickshifter (optional)
- Top Preis-Leistungs-Verhältnis
- Niedriges Gewicht
- Leichtes Handling in allen Situationen
- Niedriger Verbrauch
- Kein Tempomat, auch nicht im Zubehör
- Auf Komfort getrimmte Komponenten kommen unter härteren Bedingungen schnell an ihre Grenzen
- Relativ wenig Schräglagenfreiheit
- Sehr vorsichtig abgestimmte Elektronik
Bericht vom 12.04.2023 | 48'535 Aufrufe