Harley-Davidson Sportster S vs. Indian FTR Sport im Test

Duell der ungleichen US-Titanen mit Wasserkühlung

Bei diesem Aufeinandertreffen der beiden US-Kontrahentinnen könnte man am Papier von einem Vergleich auf Augenhöhe sprechen: Zwei wassergekühlte V2-Motoren mit über 120 PS aus den USA, ca. 230 kg schwer und mit einem ausladenden Kennzeichenträger bestückt. Doch reicht das für einen Vergleich?

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Technische Daten Indian FTR Sport vs. Harley-Davidson Sportster S

Der V2-Zylinder-Motor der Indian FTR Sport mit einem gewaltigen Hubraum von 1.203 Kubikzentimetern tritt gegen den 4-Takt V2-Zylinder-Motor der Harley-Davidson Sportster S mit stolzen 1.252 Kubikzentimetern an. Ein Showdown der wassergekühlten Neuentwicklungen aus Übersee! Die Sportster S trumpft mit starken 125 Newtonmetern Drehmoment bei 6.000 Touren auf. Doch die FTR Sport lässt sich ebenfalls nicht lumpen und liefert mit 118 Newtonmetern bei 6.000 Umdrehungen einen massiven Schub.

Die Sportster S RH1250S, wie die Harley mit vollem Namen heisst, setzt bei den Fahrwerkskomponenten auf eine verstellbare Upside-Down-Telegabel von Showa mit 43 Millimeter Standrohr-Durchmesser, die in Druckstufe, Federvorspannung und Zugstufe angepasst werden kann. Am Heck sorgt ein verstellbares Monofederbein von Showa für die optimale Performance. Das Indian Fahrwerk von Sachs glänzt gar durch vollständige Einstellbarkeit vorne wie hinten.

Bei der Bremsanlage setzt die Indian FTR Sport vorne auf eine Brembo Vierkolben-Zange in Kombination mit einer 320 Millimeter grossen Doppelscheibe. Hinten kommt eine Zweikolben-Zange und eine 260 Millimeter Scheibe zum Einsatz. Die Harley-Davidson Sportster S RH1250S vertraut ebenfalls auf eine Vierkolben-Zange von Brembo, muss allerdings mit einer 320 Millimeter grossen Einzelscheibe vorne und einer Einkolben-Zange in Kombination mit einer 260 Millimeter Scheibe hinten auskommen.

Die FTR Sport rollt mit Naked Bike Standard-Reifenmassen von 120/70-17 vorne und 180/55-17 hinten auf den Asphalt, während die Sportster S auf einen dicken 160/70-17 Reifen vorne und einen ebenfalls aussergewöhnlichen 180/70-16 Reifen hinten setzt, um Grip zu gewährleisten.

Überraschend, weil es auf den ersten Blick nicht so wirkt: Der Radstand der Indian FTR Sport beträgt mit 1.525 Millimeter, 5 mm mehr als der der Harley-Davidson Sportster S von Radachse zu Radachse. Kleinere Unterschiede als gedacht ergeben sich auch bei der Sitzhöhe. Diese misst bei der Harley cruisertypische 765 Millimeter aber auch der Indianpilot nimmt auf lediglich 780 Millimetern über dem Boden Platz . Noch weniger dürfte es echt nicht sein: Der Tank der FTR Sport fasst lediglich 13 Liter Sprit, während die Sportster S mit einem Tankvolumen von gerade einmal 11,8 Litern ausgestattet ist.

Mit einem fahrfertigen Gewicht von 237 Kilogramm zeigt sich die Indian etwas schwerer als die Harley-Davidson, die mit 228 Kilogramm auftrumpft. Die offiziellen Angaben haben wir natürlich auf der 1000PS Viehwaage überprüft. Hier kommt die Indian auf 233 Kilogramm vollgetankt, während die Harley randvoll 231 kg wiegt.

Am Papier steht manchmal nur die halbe Wahrheit

Jetzt könnte man denken, man weiss alles und doch weiss man in Wahrheit nichts über diesen Vergleich. Tatsächlich schlagen die beiden US-Bikes in vollkommen verschiedene Kerben. Die Indian ist ein individuelles Power-Naked mit ernstem sportlichen Anspruch und ordentlich Konkurrenz am Markt, während Harley-Davidson mit der Sportster S ein Modell auf den Markt gebracht hat, dass eher in Richtung Cruiser positioniert ist und in dieser Form keine unmittelbaren Rivalen kennt.

Sitzpositionen wie Tag und Nacht - Ergonomie Indian FTR Sport vs. Harley-Davidson Sportster S

Vorverlegte Fussrasten und ein breiter Lenker determinieren die Sitzposition auf der Harley-Davidson Sportster S. Cruiserfeeling, das bei hohen Geschwindigkeiten seinen Tribut verlangt. Der Winddruck auf Brust und Kopf ist doch beachtlich. Generell sind lange Etappen auf der schönen aber auch relativ unbequemen Sitzbank nur etwas für hartgesottene Piloten. Der coole Auftritt vor dem Eiscafe wird also relativ teuer erkauft. Ein Soziussitz, den man unter der Abdeckung am Heck vermuten könnte, ist übrigens nicht vorgesehen, die Fussrastenanlage für den Mitfahrer fehlt.

Vollkommen anders präsentiert sich die Indian FTR Sport. Aufrechtes Sitzen, eine entfernbare Abdeckung unter der sich ein Soziussitz befindet und mittig positionierte, sogar leicht nach vorne geneigte Fussrasten ergeben eine agile Sitzposition, wie sie einem sportlichen Naked Bike gut zu Gesicht steht. Der Lenker der Indian ist breit genug, um das Bike in engen Kehren drückend zu bewegen. Sowohl Zonko mit knapp 1,80 Meter als auch ich mit 1,87 Meter finden gut Platz auf der Maschine. Der Kniewinkel ist nicht übertrieben spitz und im komfortablen Sattel kann man sich auch ausgedehnte Tagesetappen problemlos vorstellen.

Fahrspass unterschiedlich definiert - Harley und Indian im Winkelwerk - Fahrwerk und Bremse

Beim aktiven Fahren ist die Aufmerksamkeit natürlich auf den 160er Vorderreifen in der Harley gerichtet. Es bedarf schon einiger Eingewöhnung und einem nicht unerheblichen Kraftaufwand, die Fuhre zum Einlenken zu bringen. Hat man den Dreh einmal heraussen, ist dank der für einen Cruiser relativ grossen Schräglagenfreiheit mehr Kurvenspeed möglich, als man ihr zunächst zutraut.

Im direkten Umstieg lässt sich die Indian FTR Sport unglaublich handlich bewegen; dass sie die schwerere der beiden Kontrahentinnen ist, hält man kaum für möglich. Diese Handlichkeit erklärt sich aus mehreren Faktoren: Zunächst ist dafür die bereits angesprochene deutlich aktivere Sitzposition zu nennen. Aber auch die Bereifung in den, nicht ohne Grund beliebten, Standard-Naked Bike-Dimensionen 120/70/17 vorne und 180/55/17 hinten, spielt eine beachtliche Rolle. Man hat hier eine grossartige Auswahl am Reifenmarkt und Indian lässt sich schon bei dem OEM-Pneu nicht lumpen und montiert den supersportlichen Metzeler M9RR auf die FTR Sport.

Die Doppelscheibenbremse vorne samt radial verschraubter Bremssättel aus dem Hause Brembo lassen die FTR rasant und präzise verzögern, an der Vorderradbremse erfolgte für 2023 eine Überarbeitung. Hier ist sportliches Bewegen kein Problem, auch die Schräglagenfreiheit ist für den Landstrassenritt ausreichend, auf der Rennstrecke gerät die Indian jedoch an ihre Grenzen, wie ich bereits 2021 mit der Vorgängerin herausfinden durfte. Damals wie heute überzeugend agiert das Fahrwerk der FTR Sport. Das Feedback von Gabel und Federbein braucht sich auch im Vergleich mit sportlichen Naked Bikes nicht zu verstecken.

Ausstattung: Volles Elektronikpaket udn mehr in Sportster S und FTR Sport

Die FTR in der Sport-Version verfügt über das komplette Elektronikpaket, das drei Fahrmodi, Wheelie-, Stabilitäts- und Traktionskontrolle sowie Kurven-ABS umfasst. Daher kann man beim kraftvollen Beschleunigen und Bremsen auf ein modernes Sicherheitssystem vertrauen. Für das Fahren auf der Landstrasse ist der Modus Standard am besten geeignet. Er bietet angenehmes Ansprechverhalten, während der Sport-Modus eher binär also als 1 oder 0 agiert. Richtig sportlichen Piloten geht eventuell ein Quickshifter ab, der auch gegen Aufpreis nicht erhältlich ist. Positiv zu erwähnen sind der serienmässige Tempomat und das vollwertige Navigationssystem in der FTR Sport.

Im Modelljahr 2023 erhält die FTR Sport, genauso wie die FTR Rally und FTR R Carbon als serienmässige Ausstattung ein 4 Zoll grosses, rundes Touchscreen-Display mit Ride Command und Navigation. Während die Vorgängerin noch auf einen Akrapovic-Endtopf setzte, wurde dieser nun durch einen neuen Sportendschalldämpfer ersetzt. Die Tachoeinheit wurde für eine verbesserte Lesbarkeit nach oben verlegt, optisch wurde diese Massnahme durch den Flyscreen kaschiert.

Überraschenderweise steht die Harley Davidson ihrer US-Kollegin von der elektronischen Ausstattung quasi um nichts nach. Ab Werk stehen gleich fünf Fahrmodi zur Verfügung - die vorprogrammierten Sport, Road und Rain und zwei zusätzliche frei programmierbare Fahrmodi. Die Einstellung der Leistungsentfaltung, der Motorbremse, des schräglagenabhängigen Antiblockiersystems (C-ABS) und der schräglagenabhängigen Antriebsschlupfregelung (C-TCS) kann mit diesen Fahrmodi frei gewählt werden.

Die Einstellung all dieser elektronischen Features erfolgt über das am Lenker zentral montierte 4 Zoll grosse Rund-Farb-TFT-Display. Dieses bietet eben nicht nur die Anzeige von Geschwindigkeit, Drehzahl, Fahrmodi, usw., sondern auch Turn-by-Turn Navigation, die von der Harley-Davidson App übertragen wird. Touchscreen oder eine Kartendarstellung des Navis sowie eine (zugegebenermassen nicht erforderliche) Wheeliekontrolle.

Moderne US-V2 Aggregate im Vergleich

Ein kurzes Kapitel möchte ich den Motoren widmen. Beide Hersteller sind berühmt für ihren luftgekühlten V2-Giganten, müssen aber hinsichtlich der zu erfüllenden Euro-Normen immer weiter Zugeständnisse machen. So ist es wenig verwunderlich, dass insbesondere auf die Entwicklung wassergekühlter V2 besonderes Augenmerk sowohl bei Harley als auch bei Indian gelegt wird. Die Aggregate im Test haben sich als kraftvolle und charakterstarke Antriebe gezeigt. Natürlich muss man beim Sound Abstriche machen, aber von der Performance her kommt hier kein luftgekühlter Motor auch nur annähernd hin.

Der Revolution Max kann sein leichtes Hubraumplus subjektiv vor allem in tieferen Drehzahlregionen ausspielen und bietet einen massiven Antritt von unten. Wie viel Newtonmeter und PS der wartungsarme Riemenantrieb schluckt, konnten wir nicht feststellen, man muss sich darum aber keine Sorgen machen - Kraft ist im Überfluss vorhanden. Der Indian V2 bietet etwas mehr Drehfreude als sein Pendant aus Milwaukee und punktet mit einer starken Mitte. Vibrationen machen sich beim Ausdrehen bemerkbar und mahnen den Piloten zum Schaltvorgang.

Fazit zum Nicht-Vergleich Indian FTR Sport vs. Harley-Davidson Sportster S

Diese beiden Motorräder gemeinsam zu bewegen, war für Zonko und mich sehr aufschlussreich. Allerdings sind wir beide zu dem Schluss gekommen, dass sie sich für einen echten Vergleichstest nicht eignen. Jedes dieser Bikes hat vollkommen zu Recht eine Fanbase. Die Indian FTR Reihe aufgrund ihrer unglaublichen Vielseitigkeit und die Harley Davidson Sportster S wegen ihrer Einzigartigkeit, die einer Persiflage auf den amerikanischen Traum auf zwei Rädern frecher Weise sehr nahe kommt.

Fazit: Harley-Davidson Sportster S RH1250S 2023

Die Sportster S besinnt sich wieder mehr auf die Tradition dieser Baureihe - ja, es ging tatsächlich mal um Sport! Daher will sich die neueste Kreation der Amerikaner mit ihren 122 PS und 125 Nm Drehmoment auch nicht in die Cruiser-Schiene lenken lassen sondern fast schon klassenlos auf Kundenfang gehen. Geboten wird ein herrliches Poser-Bike, das sich nach etwas Eingewöhnung erstaunlich einfach fahren lässt. Die Einzelscheibenbremse an der Front hat ordentlich zu arbeiten und der fette 160er-Vorderreifen lenkt nicht ganz selbstverständlich ein. Zudem hat der Pilot mit einer harte Federung und einer auf langen Etappen kraftraubenden Sitzposition zurechtzukommen - was vor dem Eissalon natürlich völlig egal ist. Elektronik und Sicherheit sind auf Top-Niveau, womit der ordentliche Preis für wahre Fans entschärft wird.


  • Kräftiger, kultivierter Motor
  • einzigartige Optik
  • volles Elektronik-Package mit Kurven-ABS und schräglagenabhängiger Traktionskontrolle
  • wartungsarmer Riemenantrieb
  • konkurrenzlos
  • Fahrwerk richtig hart
  • Einlenkverhalten wegen des breiten Vorderreifens etwas unwillig
  • geringes Tankvolumen

Fazit: Indian FTR Sport 2023

Die Indian FTR Sport macht weder durch ihre Sportlichkeit, noch durch ihren Motor, oder ihre Flattracker-Optik allein auf sich aufmerksam. Vielmehr macht sie das einzigartige Gesamtpaket aus. Einen mächtigen, amerikanischen V2 in schickem neo-retro Flattrack-Design und Naked-Bike-Ergonomie gibt es sonst nirgends. Wer also ein Fan dieser besonderen Kombination ist, muss fast schon zur FTR greifen und wird es nicht bereuen. Die überkomplette Ausstattung lässt einzig einen Quickshifter vermissen und etwas mehr Tankvolumen wäre nett.


  • V2-Motor mit ordentlich Druck
  • Einzigartiges Gesamtpaket
  • Schöne Optik
  • Intuitive Bedienung des TFT-Touchscreens
  • Umfangreiches Elektronik-Paket
  • Angenehme Naked-Bike-Ergonomie
  • geringes Tankvolumen
  • Sound im Vergleich zu den luftgekühlten Indians verhalten
  • Quickshifter auch nicht gegen Aufpreis erhältlich

Bericht vom 11.06.2023 | 24'612 Aufrufe

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