Eierlegende Wollmilchsau? Gas Gas ES 700 Test
Offroad & Strasse - Kann der 700er Einzylinder beides?
Zum Start unseres TuneUp-Projekts mit der Gas Gas 700 haben wir unsere Dauertesterin nach Südslowenien entführt. Wie gut schlägt sie sich im Mischbetrieb? Eine Tour von der slowenischen Wildnis bis an die kroatische Küste liefert uns die Antwort.
Die 700er Einzylinder erfreuen sich innerhalb der Enduro- und Abenteurer-Community grosser Beliebtheit. Die KTM Group besitzt quasi ein Monopol auf den Markt der einst weitverbreiteten, grossen Einzylinder-Bikes und hat mit den Marken KTM, Husqvarna und Gas Gas inzwischen gleich drei hochmoderne Enduro-Modelle mit leistungsstarken Eintöpfen im Programm. Der Sex-Appeal dieser Motorräder: Geringes Gewicht für harte Offroad-Pisten, doch dennoch genug Power und Laufruhe für die befestigten Wege. Wie sehr dieser Spagat von der Gas Gas ES 700 gemeistert wird, haben wir überprüft.
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Technische Daten der Gas Gas ES 700 2023
Bevor wir zu den Fahreindrücken kommen, hier ein schneller Überblick der technischen Daten der Gas Gas ES 700.
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Ganz schön bucklig - Stehposition der Gas Gas ES 700 Offfroad-Test
Unser Test führt uns in die südlichsten Ausläufer Sloweniens in das dünn besiedelte Gebiet kurz vor der kroatischen Grenze. Zwischen diesen bewaldeten Hügeln findet man noch jede Menge unbefestigter Wege unterschiedlichster Qualität und Steilheit. Unsere Spielwiese sind einfachere bis grobe Schotterstrassen, freie bis stark verwachsene Waldwege und alte Militärstrassen. Nichts allzu hartes, keine Singletrails, aber dennoch teils etwas gröber und steiler. Rein ergonomisch würde die Gas Gas sich durchaus auch für wirklich anspruchsvolles Terrain anbieten. Durch den hinter dem Sattel angebrachten Tank baut sie sehr schmal um die Taille und zum Lenker hin. Weiters liegt ihr Lenker wie bei einer Sportenduro sehr tief. Das mag für eingefleischte Reiseenduro-Piloten gewöhnungsbedürftig sein, doch bei steilen bergauf-Passagen gibt es so sehr viel Platz nach vorne und die richtige Position kann immer eingenommen werden. Ein Vorteil im härteren Gelände, doch nicht auf den entspannten Etappen unserer Tour. Vor allem bergab muss man sich als halbwegs grossgewachsener Fahrer schon sehr weit hinabstrecken, um den Lenker noch zu erreichen. Das beansprucht die Nacken- und Rückenmuskeln zusätzlich. Wer also eher leichte bis mittlere Offroad-Passagen mit der Gas Gas in Angriff nehmen möchte und vielleicht auch längere Touren plant, sollte über eine Lenkererhöhung nachdenken. Ambitionierte Fahrer werden sich aber über die Bewegungsfreiheit auf der ES 700 freuen.
Der grosse Einzylinder im Gelände - Gas Gas ES 700 Offfroad-Test
Es ist schon eine Meisterleistung im Jahr 2023 mit all den Emissionsvorschriften und Abgasnormen einen so grossen Einzylinder zulassungsfähig auf dem Markt zu haben. Doch auch an dem 700er Eintopf gingen die Anforderungen der Moderne nicht spurlos vorbei und im Vergleich zu den älteren 690er und 701er Modellen von KTM und Husqvarna bietet die Version in der Gas Gas weniger Druck aus dem Drehzahlkeller. Dennoch bleibt die Leistungsabgabe fein dosierbar, vor allem im sanfteren 2er Fahrmodus. Ja, auch zwei Fahrmodi und schräglagenabhängige, abschaltbare Traktionskontrolle und ABS bringt die hochmoderne ES 700 mit. Die arbeiten auch richtig gut, selbst in der mittleren Variante mit Offroad-ABS und Offroad-Traktionskontrolle. Vor allem die feinen Regelzyklen des dann nur noch an der Front aktiven ABS begeistern uns. Selbst bei sehr losen Abfahrten kann man grobmotorisch in die Zangen greifen, die Gas Gas verzögert anständig ohne zu blockieren, nur ein leichtes Pulsieren am Hebel informiert über das aktive ABS. Die Traktionskontrolle wiederum war im sehr losen Gelände etwas ruppiger, was wohl an den langen Zündintervallen des Einzylinders liegt. Aufgrund der feinen Dosierbarkeit der Leistung haben wir kurzerhand die Traktionskontrolle komplett deaktiviert.
Für einen Einzylinder braucht der Motor überraschend viel Drehzahl um auf Schwung zu kommen. Doch hat man sich daran einmal gewöhnt, erfreut man sich über seine spritzige Leistungsentfaltung und den quirligen Charakter. Die 74,7 PS und 73,5 Nm Drehmoment schupfen die selbst im vollgetankten Zustand immer noch überschaubaren 160 kg regelrecht über Stock und Stein. Knackige Passagen werden durch die sehr leichtgängige, fein dosierbare hydraulische Kupplung erleichtert. Kurz Drehzahl aufbauen, ein leichter Impuls über die Kupplung und schon steigt das Vorderrad in die Luft. Gangwechsel fallen dank des serienmässigen Quickshifters kurz und knackig aus. Herrlich flott ballern wir durch die slowenische Wildnis. Die langen Federwege des Fahrwerks erleichtern die Sache noch zusätzlich.
Leicht hölzern, doch stabil - Fahrwerk der Gas Gas ES 700 2023
Unser Eindruck des voll einstellbaren WP XPLOR Fahrwerks ist ambivalent. Mit 250 mm Federweg vorne und hinten bietet es jede Menge Reserven. Auch härtere Schläge werden passabel geschluckt, Sprünge sind kein Problem und schön progressiv bügelt sie über Bodenwellen. Doch gleichzeitig gibt das hart abgestimmte Fahrwerk nicht die beste Rückmeldung vom Grip des Reifens an der Front. Vor allem in Kurven fühlt es sich irgendwie "hölzern" an und spendet uns wenig Vertrauen. Immer wieder knickt das Vorderrad auf Schotterpassagen unvermittelt ein. Mag am Fahrer liegen, oder eben am Fahrwerk. Auch eine Veränderung der Zug- und Druckstufe bringt kaum Besserung. Spätestens bei der späteren Bosnia Rally wird uns bestätigt, dass wir nicht allein mit diesem Problem sind. Einige ES 700 Fahrer offenbaren uns, dass sie deshalb Gabeln aus Sportenduros eingebaut haben.
Gas Gas ES 700 auf der Strasse im Test
Auf der Strasse wiederum würde man meinen, dass solch langen Federwege eher schlecht performen. Doch aufgrund der harten, sportlichen Charakteristik bleibt die Gas Gas ES 700 auch im Winkelwerk sehr stabil. Der Conti TKC 80 ist ein toller Reifen solange es trocken bleibt, denn er gibt auf unbefestigtem Untergrund ordentlich Grip, kann aber auch auf Asphalt sehr flott bewegt werden. Übertreibt man es mal, springen die elektronischen Assistenzsysteme verlässlich ein. Die Bremsen sind klar auf den Offroad-Einsatz ausgelegt und beissen eher zaghaft zu, doch die Brembo Bremssysteme können trotzdem mit genug Druck am Hebel schnell verzögern. Der Quickshifter bleibt eine Freude und der Motor kann überzeugen. Selbst bei hohen Drehzahlen kommen vom Einzylinder keine übermässigen Vibrationen. Auch fühlt es sich nicht an, als würde man den Eintopf bei schnellerer Reisegeschwindigkeit aus der Komfortzone bringen und irgendwie quälen.
Ist die Gas Gas ES 700 langstreckentauglich?
Am letzten Wegstück vor der kroatischen Küste nehmen wir sogar noch ein Stück Autobahn mit. Unsere Erwartungen sind, dass sich die Gas Gas hier etwas fehl am Platz anfühlen wird. Doch siehe da, selbst 140 km/h gehen richtig gut auf der ES 700. Der Motor läuft entspannt, sie liegt ruhig auf der Strasse und selbst der Winddruck bleibt schön gleichmässig. Aufgrund der langgezogenen Sitzbank kann man richtig weit nach hinten rutschen und so den Oberkörper gegen den Fahrtwind lehnen. Man ruht wie bei einem Supersportler auf dem Luftkissen, was die Autobahnfahrt recht entspannt und kräftesparend gestaltet. Aufgrund des nur 13,5 Liter fassenden Tanks möchten wir sie nicht "langstreckentauglich" nennen, wobei sie dank ihres geringen Verbrauchs von 4,3L/100kmh schon 250 km Reichweite schaffen wird. In der Realität braucht es am ehesten wegen der spartanisch gepolsterten Sitzbank eine Pause. Dieser zum Trotz hat die Gas Gas ES 700 aber auch die letzte Disziplin bravourös gemeistert und bewiesen, dass sie tatsächlich eine eierlegende Wollmilchsau sein kann, wenn man bereit ist ein paar Eigenheiten zu akzeptieren und beim Komfort Abstriche zu machen.
GREGOR
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Fazit: GASGAS ES 700 2023
Wer sich gerne im Gemüse und Groben austobt und dort auch mal schwierigere Pfade befahren möchte, der ist mit der quirligen und leichten Gas Gas ES 700 gut beraten. Vor allem, wenn es zu diesen Strecken oder darum herum noch Strecken am Asphalt zu bewältigen gibt, denn die ES 700 schlägt sich auch auf befestigtem Untergrund sehr gut. Mit ihrer spartanischen Ausstattung muss man sich arrangieren können und ihr auch ein paar kleine Mankos verzeihen, doch dafür bietet die ES 700 eine auf Offroad-Performance und Vielseitigkeit, wie sonst kaum eine Enduro.- Geringes Gesamtgewicht
- Gut dosierbare Leistungsentfaltung
- Für einen 1 Zylinder sehr vibrationsarm
- Gute Wahl für schweres Gelände
- Moderne elektronische Assistenzsysteme
- Toller Quickshifter
- Feedback von Fahrwerk könnte besser sein
- Traktionskontrolle regelt im losen Gelände nicht allzu fein
- Bedienung der Elektronik wenig intuitiv
- Spartanische Sitzbank wird auf langen Etappen zur Willensprobe
Bericht vom 26.10.2023 | 22'297 Aufrufe