Ducati Scrambler Test

Wie fährt sich das Retro-Bike aus Italien?

Wir fuhren die Ducati Scrambler ICON in der Gegend rund um Palm Springs in Kalifornien.

Nennt sie nicht Ducati? Es ist eine Scrambler! Die Ducati Crew hier beim Test in Kalifornien wurde nicht müde zu erwähnen, dass die Scrambler eine eigene Marke im Hause Ducati darstellt. Sie definiert sich nicht dadurch was sie ist und was in ihr steckt, sondern dadurch was man mit ihr erlebt. Gespannt blickten wir auf die rund 30 Motorräder welche vor dem ACE Hotel in Palm Springs in Reih und Glied parat standen. Die Scrambler erweckte viel Interesse, nun werden wir sie erstmals ausfahren können.

4 Scrambler buhlen um eure Gunst

Im Moment bietet Ducati ja 4 unterschiedliche Scrambler Varianten an. Die Icon ist jenes Modell, welches wir hier als erstes fahren werden. Sie ist die reinste Form der Scrambler, kann aber mit dem reichhaltigen Zubehör ebenfalls individualisiert werden. Bei der Urban Enduro ist der Name Programm. Die Speichenräder und der hohe Kotflügel verzeihen Bordsteinkanten und verkraften schlechte Wege auf dem Weg zum Strand oder zum Badesee. Die Full Throttle kommt mit etwas mehr Ehrgeiz in den Schauraum und die Classic bietet ebenfalls Speichenräder und erinnert am stärksten an das ursprüngliche Scrambler Modell von Ducati aus den 60ern.

Motorräder wie die Scrambler leben von Emotionen und die Event-Vollprofis flössten sie uns mit dem grossen Trichter ein. Doch glücklicherweise bogen wir dann mit der Scrambler nicht in Richtung Beachbar ab, wo man sich durch die positive Energie der kalifornischen Sonne leicht zu einem allzu euphorischen Testbericht verleiten lässt. Wir wählten das harte Leben der Motorradjunkies und fuhren mit Jeans, Lederjacke und Jethelm erst mal eine ewige Highway-Etappe und dann hinauf in die Berge. Dort prüften wir, ob die Scrambler auch bei Schnee am Fahrbahnrand und eisigen Temperaturen noch imstande ist, das Herz zu erwärmen.

Nur hübsch anzusehen?

Hübsche Motorräder wie die Scrambler haben ja oft erschreckende Defizite bei den sogenannten "Hard Facts", doch am Highway überraschte sie das erste Mal positiv. Auch bei nicht ganz vorschriftsmässigen Geschwindigkeiten bleibt das coole Motorrad ganz cool und hält stabil die Spur. Einige Kollegen unkten über den allzu hohen Lenker und schielten gierig zum niedrigen Lenker aus dem Zubehör Programm. Ich fühlte mich mit dem hohen Lenker jedoch richtig wohl, genoss den hohen Fahr- und Sitzkomfort und die Stabilität hat trotz des Winddrucks am Oberkörper immer gepasst. Die Motorisierung der Scrambler bietet im höheren Geschwindigkeitsbereich genau das, was man von 75 PS erwarten darf. Wirklich überraschend jedoch ging sie dann jedoch im Stadtverkehr ans Werk. Sie hängt ausgesprochen quirlig am Gas, geht bei den ersten paar Grad am Gasgriff sogar etwas ungestüm zur Sache und auch aufs Hinterrad. Das ist gut so - denn was nutzen all die tollen Emotionen welche die Scrambler versprüht, wenn man dann von den 300er Vespas hergebrannt wird. Das wird im Sattel der Ducati, ja in Sachen Motorfeeling darf man die Scrambler mit Stolz Ducati nennen, nicht passieren.

Designer und Techniker harmonierten perfekt

Die Kupplung wird zwar mit einem Seilzug betätigt, laut Ducati möchte man da Aussteigern und Weltenbummlern entgegen kommen, lässt sich aber leicht und sauber dosieren. Überhaupt funktionieren alle pragmatischen Details am Motorrad richtig gut. Die Spiegeln bieten eine tolle Aussicht, die Bedienelemente sind gut positioniert und funktionieren klasse und der Bordcomputer ist dezent ins kleine Cockpit integriert und lässt sich vom Lenkerende aus bedienen. Die Kombination aus Retroflair und modernem Nutzen wurde bei vielen Details grandios umgesetzt. Unter dem Sitzbank steht zum Beispiel ein USB Anschluss zur Verfügung. Die Zubehörabteilung hat natürlich eine Halterung parat, um das Handy als Navi stabil am schlanken Tank zu befestigen. Die Sitzbank sieht nicht nur toll aus, sondern bietet viel Komfort und der Motor bietet astreine Manieren ohne dabei spiessig zu wirken. Ganz so wie man es im Jahr 2014 gewohnt ist. Ein klein wenig Potential gibt es noch beim Kaltlaufverhalten, aber das ist tatsächlich Jammern auf hohem Niveau.

Die Freude wich bei den weiten Radien!

Die Freude an der Scrambler wich jedoch als wir bei den weiten Radien hinauf auf die Berge erstmals von der Leine gelassen wurden. Die Freude musste weichen und machte der schieren Begeisterung Platz. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass dieses supercoole Marketinginstrument tatsächlich so gut fährt. Sie ist nicht nur handlich und quirlig, sondern bleibt auch in den langen Radien stabil und lässt sich wirklich schnell bewegen. Da haben die Ducati Jungs und Mädels einen grossartigen Job gemacht. Der Asphalt war mies, die Temperaturen waren eisig, die Finger klamm und der Rotz triefte über den Pornobalken. Doch im Sattel war diese unbändige Freude sofort da, als der Guide uns nach vorne winkte. Die Scrambler lässt sich bis auf die Rasten umlegen und die Pirellis dürften da ein kongenialer Partner sein.

Die Scrambler rollt vorne auf einem 110/80 R18 Pirelli MT60 RS und hinten auf einem fetten 180/55 R17 in den Radius. Hört nicht auf jene Redakteure welche euch weis machen wollen die Scrambler braucht einen 160er Pneu. Der 180er sieht fett aus und das leichte Motorrad bietet einen geradezu famosen Schnittpunkt aus Geometrie, Handling und Gewicht. Im Stadtverkehr wirkt sie nicht kippelig, lenkt aber willig ein. Auf der Autobahn oder in den schnellen Kurven ist sie stabil, in den Wechselkurven ist sie dank des niedrigen Gewichtes und des breiten Lenkers ebenfalls wieseflink. Am Feldweg kann man den Schotter richtig schön spritzen lassen und dank der gutmütigen Geometrie gefahrloser driften als mit jeder Enduro.

Schnee am Fahrbahnrand

Keine Sorge liebe Leserinnen und Leser - es ist nicht die kalifornische Sonne welche mich hier so euphorisch stimmt. Am Strassenrand liegt Schnee und der Fahrtwind hat die mit sanften Jeansstoff bedeckten Knie längst erstarren lassen. Die Scrambler ist das Zentrum jeglicher positiver Emotion hier beim Test auf 1.800 Meter. Doch ich war froh, als der Asphalt dann von heftigen Bodenwellen verziert wurde. Dann konnte ich der Scrambler doch noch eine Schwäche entlocken. Sie bietet zwar vorne wie hinten 150 mm Federweg und wirkt optisch wie eine Sänfte, doch die Gabel spricht nicht sensibel genug an und ist auf den ersten Zentimetern auch etwas zu hart. Hier bleibt also noch etwas Potential zur Verbesserung und natürlich auch Potential für Zubehöranbieter. Das Federbein wirkte gut abgestimmt und liess im Solobetrieb keinerlei Wünsche übrig.

Trotz des geilen Motorrades und dem schmucken Oberlippenbart war es mir leider nicht möglich eine geeignete Testperson für einen Soziustest zu finden. Es muss an den niedrigen Temperaturen gelegen sein - oder doch am Pornobalken? Oberflächlich betrachtet wirkt die Sitzbank und die Rastenanlage hinten jedoch ordentlich, einer aphrodisierenden Fahrt zum einsamen Strand sollte also nix im Wege stehen.

Etwas getäuscht hatte ich mich dann bei den Bremsen. Misstrauisch blickte ich auf die Einscheibenbremse am Vorderrad. Doch die Scheibe kommt direkt aus dem Panigale Teilelager und bietet sogar 330 mm Durchmesser und wurde mit 5 mm Stärke sehr üppig ausgeführt. Der Optik kommt die Einzelscheibe vorne sehr entgegen und sowohl die Dosierung als auch die Wirkung überzeugten erstaunlicherweise vom ersten Meter an. Nicht ganz überzeugte komischerweise die normalerweise deutlich unkritischere Hinterbremse die ich bei einem solch spassigen Motorrad gerne etwas bissiger hätte - um damit auch mit geringerer Fusskraft ein wenig rumblödeln zu können.

Kaufempfehlung - bitte nicht mehr anrufen!

Zuletzt eine Nachricht an meine Studienkollegen, Verwandten und Freunde die mich wegen der Scrambler bereits angerufen haben - mehrmals!!!. JA ihr könnt sie kaufen, sie fährt toll, ist toll verarbeitet, bietet mehr als man ihr zutraut und macht am Parkplatz und beim Losfahren echt was her. Wem die Harley Sportster zu schwer ist der wird ebenso glücklich wie der coole Vespafahrer oder die pfiffige Vespafahrerin welche doch gerne etwas mehr Motorrad unterm Hintern haben. Mit Speichenrädern sowie den griffigen Pneus ist sie tatsächlich auch eine Alternative für deutlich uncoolere und vor allem höhere Enduros für unbefestige Strassen bei der Fahrt ins grosse Abenteuer. Die ersten Scrambler Modelle werden im Februar beim Ducati Händler verfügbar sein. Seit dem Audi-Einstieg bei Ducati hat sich die Produktionsplanung zwar verbessert, zaubern kann die Crew im Ducati Werk aber immer noch nicht. Das für Österreich, Deutschland und die Schweiz vorgesehene Kontingent dürfte im ersten Jahr bestimmt knapp werden. Wer schon im Frühjahr fahren möchte, sollte daher schon jetzt beim Händler vorstellig werden. Ihr werdet eine schöne Zeit haben! Versprochen!

Preis Ducati Scrambler 2015

In Deutschland soll der Preis für die Scrambler bei 8390 Euro starten, in Österreich mit höherer Mwst. und NOVA mit 9.595 Euro. Für die Full Throttle zum Beispiel ist in Österreich ein Tausender mehr zu bezahlen.

Fazit: Ducati Scrambler Icon 2015

Die Ducati Scrambler kann in der Icon aber bestimmt auch in den anderen Varianten mehr als bloss cool vor dem Cafe zu posieren. Die Maschine ist eine erstaunlich flinke Fahrmaschine, bietet viel praktischen Nutzen und fährt aber voll ins Herz. Ducati ist ein grosser Wurf gelungen. Die Möglichkeiten rund um das Motorrad herum sind gewaltig.


  • tolle Optik, liebevolle Details, hochwertige Verarbeitung
  • moderne Features wie USB Ladebuchse dezent in Retrostile integriert
  • stabiles aber gleichzeitig handliches Fahfverhalten
  • gute Vorderbremse
  • Angenehme Sitzposition für gross und klein
  • Irre Möglichkeiten zur Individualisierung
  • Hoher praktischer Nutzen und cooler Flair in perfekter Kombination
  • Gabel etwas zu straff / zu unsensibel bei Bodenwellen
  • Hinterbremse zu lasch

Bericht vom 04.01.2015 | 45'488 Aufrufe

Empfohlene Berichte

Pfeil links Pfeil rechts