Ducati Multistrada 950 Test 2017
Frankensteins schönstes Monster!
Das Zusammenklauben verschiedener Komponenten, die in den Teileregalen auf ihre Abholung warten, war selten zuvor besser und schöner verpackt - die neue Ducati Mulitstrada 950 erbt Chassis, Bodywork, Tank und Cockpit von der Mulitstrada 1200, Schwinge, Auspuff, Sattel und Spiegel von der Multistrada 1200 Enduro und die Innereien wie Motor und dessen Periperie von der Hypermotard-Serie. Als positive Draufgabe sieht die kleine Mulit 950 den grossen 1200er-Schwestern zum Verwechseln ähnlich!
Ducati steht für italienischen Lifestyle, für (meistens) herrliches Design und nicht zuletzt für eine ordentliche, sprich etwas höher positionierte Preisgestaltung. Dennoch will die Tradiotionsmarke aus Bologna, so wie fast alle Konkurrenten auch, nahezu jedes Segment, also zusätzlich die "kleineren" Klassen bedienen. Bisher klaffte eine grosse Lücke im Touring-Segment zwischen der grossen Multistrada 1200 (und ihren beiden noch edleren Versionen Mulitstrada 1200 S und Multistrada 1200 Enduro) und der bestenfalls ansatzweise als Tourenmotorrad zu bezeichnenden Hyperstrada, die lediglich wegen ihres Windschilds und der allzu kleinen Köfferchen als solche bezeichnet werden dürfte.
weitere Mittelklasse-Reiseenduros:
Zu wenig Abstand zur grossen Ducati Multistrada 1200?
Nun schafft Ducati Abhilfe, die Multistrada 950 stösst in das Segment der unteren Oberklasse oder der oberen Mittelklasse - je nachdem wie man es betrachten möchte - vor und hat dabei schon alleine aus optischen Gründen gute Karten in der Hand, ganz vorne mitzumischen: die Multi 950 unterscheidet sich durch zu wenige Details von der grossen Schwester Multistrada 1200, als dass sie auf den ersten Blick unterschieden werden könnte. Das bedeutet für die Kleine natürlich einen enormen Prestigevorteil, Besitzer der Grossen könnten sich aber durchaus daran stossen, dass die 950er genauso gut aussieht wie die Grosse.
Die Multistrada 950 ist nicht brachial aber durchaus gut motorisiert
In Sachen Leistungsgewicht zeigen sich hingegen weitaus grössere Unterschiede, während nämlich bei der grossen Multistrada 1200 232 Kilo fahrfertig auf gewaltige 160 PS treffen, ist die kleine Mulitstrada 950 nur 5 Kilo leichter bei fast 50 PS weniger Leistung. Im wahren Leben geht es allerdings bei einer praktischen Touring-Maschine nicht vorrangig um schiere Power sondern um gute Fahrbarkeit und auch die 950er kann mit einer ausgeprägten Spritzigkeit aufwarten. Die 113 PS bei 9000 Umdrehungen aus dem bekannten 937 Kubik V-Zweizylinder mit typischer Ducati-Desmodromik treiben die kleine Multi durchaus flott voran und das maximale Drehmoment von 96 Newtonmeter bei 7750 Touren bietet einen souveränen Auftritt. Zudem stehen von 3500 bis 9500 Touren ständig mindestens 80 Prozent des maximalen Drehmoments zur Verfügung.
Nur nicht zu viel mit der grossen Multi vergleichen...
Ich fühlte mich bei den ersten Testfahrten also nie untermotorisiert und schon ab rund 2000 Touren kann die Multistrada ohne lästiges Ruckeln hochgedreht werden. Bei sehr engen Kurven, die bei der Präsentation auf Fuerteventura in den Bergen zahlreich vorkamen, ist man zwar besser bedient, sie im ersten Gang zu durchfahren, da die Fuhre im zweiten Gang nicht so gewaltig Fahrt aufnimmt wie etwa die Multistrada 1200 - doch der Vergleich mit der Grossen hinkt ohnehin und ich sollte ihn nicht so oft bemühen.
Komfort steht bei der Multistrada 950 im Vordergrund
Denn auch das Fahrwerk wurde von den Technikern weit weniger sportlich, stattdessen mehr auf Komfort ausgelegt. Die vordere Upside-Down-Gabel von Kayaba mit fetten 48 Millimeter Standrohrdurchmesser taucht beim Bremsen ordentlich ein - dem aber Dank der vollen Verstellmöglichkeiten von Federvorspannung, Zug- und Druckstufe auf Wunsch Abhilfe geschaffen werden kann. Ebenso ist das hintere Monofederbein von Sachs voll verstellbar, die Grundeinstellung geht auch hier eher in Richtung Komfort. Das starke Einnicken der Front geht allerdings zu einem gewissen Teil auf das Konto der Bremse, bei der es die Techniker mit der Entschärfung ein wenig übertrieben. Denn die ansonsten extrem sportliche Brembo M4.32-Anlage mit radialen Monobloc-Vierkolbenzangen und 320 Millimeter-Scheiben reagiert etwas träge und packt dann unvermittelt zu - da wäre ein transparenterer Druckpunkt wünschenswert.
Die 950er-Multi macht wohl auch im Gelände eine gute Figur
Dafür kann man sich mit der Multistrada 950 sogar auf Abwege wagen, die Reifengrössen entsprechen mit 120/70-19 vorne und 170/60-17 hinten jenen der Multistrada 1200 Enduro, die sich bekanntlich auch auf groben Pfaden gut bewegen lässt. Lediglich deren robustere Speichenfelgen fehlen der kleinen Multi, sie fährt auf Alugussfelgen und an Stelle der sehr universellen Pirelli Scorpion Trail II können ab Werk geländeorientiertere Scorpion Rally aufgezogen werden. Dazu passt schliesslich auch die Verwendung der Zweiarmschwinge der grossen Enduro und mit jeweils 170 Millimeter Federweg vorne und hinten stehen auch auf schlechtesten Wegen ordentliche Reserven zur Verfügung.
Neuartiger Drehzahlmesser im Sattel!
Die Armaturen übernimmt die Multistrada 950 von der Basis-1200er, also ein grosses LCD-Cockpit, bei dem Tacho und Ganganzeige tadellos, der digitale Drehzahlmesser jedoch weniger gut ablesbar ist. Letzteren hat man bei der Multi 950 jedoch neuerdings im Sattel - ab rund 6000 Touren kommt durch Motorvibarationen nämlich eine angenehme Masssage des Hinterteils hinzu die mit Steigerung der Drehzahl auch immer stärker wird.
Vollwertiges Elektronik-Paket mit Respektabstand zum Topmodell
Die Elektronik-Features sind ebenfalls fast auf dem Niveau der grossen Multistrada, durch fehlende Wheelie-Control, herkömmliche Scheinwerfer statt LED-Leuchten und Verzicht auf das Kurven-ABS wird jedoch der Abstand zum Top-Modell gewahrt. Übrig bleibt ein dreifach verstellbares und völlig deaktiverbares ABS sowie eine achtfach justierbare und abschaltbare Traktionskontrolle. Zusätzlich werden diese Parameter je nach gewähltem Leistungsmodus in Richtung Sport oder Sicherheit verschoben. Zur Wahl stehen die vier Modi Sport, Touring mit jeweils vollen 113 PS, Urban und Enduro, jeweils auf 75 PS reduziert. Und wer will, kann diese Modi noch weiter in Bezug auf ABS und Traktionskontrolle abändern, indem er im Menü auf die Einstellungen zugreift - und anschliessend das Speichern nicht vergisst!
Die Menüführung ist auf der Multistrada 950 nicht ganz intuitiv gestaltet
Die Menüführung an sich ist dabei nicht ganz intuitiv, am besten lässt man es sich einmal erklären, dann funktioniert es ausgezeichnet. Eher negativ befinde zumindest ich persönlich, dass der Knoopf für die Betätigung des Blinkers gleichzeitig jener Knppf ist, der das Menü startet. Denn ich drücke ab und an den Blinkerknopf ohne auf die Armautren zu blicken - einfach so, falls ich vielleicht den Blinker abzuschalten vergessen habe - und schwuppdiwupp bin ich im Menü für die Einstellung der Leistungsmodi. Da ich in der Regel nicht gleichzeitig die Wipptaste für die verschiedenen Parameter betätige, passiert nichts Schlimmes, allerdings hätte sich das Starten des Menüs durchaus einen eigenen Knopf verdient. Allerdings ist auch das eine Eigenheit, die nicht jeden so sehr stören wird wie mich - was die Multistrada insgesamt zu einem sehr bodenständigen, fairen und vor allem gutaussehenden Reise-Motorrad macht.
Vier Zusatz-Pakete, keine Qual der Wahl - alle kombinierbar!
Besonders praktisch ist, dass die ohnehin schon gut ausgestattete Multistrada 950 so wie ihre 1200er-Schwestern mit vier Zubehör-Paketen aufgewertet werden kann, die alle miteinander kombiniert werden können, sich also nicht gegenseitig ausschliessen. Das Touring-Paket beinhaltet zwei Seitenkoffer, eine Lenkertasche und den Hauptständer, das Sport-Paket den noch schöneren Termignoni-Auspuff, gefräste Rahmenpfropfen und einen Aludeckel für den vorderen Bremsflüssigkeitsbehälter. Beim Urban-Paket erweitern ein Topcase sowie ein Tankrucksack samt USB-Steckdose den praktischen Nutzen und das Enduro-Paket umfasst Zusatz-LED-Leuchten und robuste Komponenten von Touratech wie Motorschutzbügel, Aluminium-Kühlerschutz, Aluminium-Unterfahrschutz, breiterer Ständerfuss und Offroad-Fussrasten.
Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft!
Bleibt also nur noch die Frage, für wen sich die Multistrada 950 denn eigentllch eignet und wer ihre grössten Konkurrentinnen sind: Nun, wer eine agile, gut funktionierende und vor allem vergelichsweise günstige Reise-Enduro sucht, könnte die Triumph Tiger 800 ins Auge fassen, eventuell auch Suzukis V-Strom 1000. Eine der härtesten Konkurrentinnen der Multi 950 dürfte die Nachfolgerin der KTM 1050 Adventure, die 1090 Adventure S werden, da sie voraussichtlich bei Preis und Performance auf einem sehr ähnlichen Level angesiedelt sein dürfte.
Die herrliche Optik der Ducati Multistrada 950 ist einzigartig
Geht es aber zu einem sehr grossen Mass um Optik und Design - bei mir persönlich etwa spielen diese Faktoren eine äusserst wichtige Rolle - dann kommt man nur extrem schwer an der Ducati Multistrada 950 vorbei. Gerade die starke Ähnlichkeit zu den 1200er Schwestern hilft der Kleinen enorm, denn die werden von vielen (zu Recht) als die zur Zeit schönsten Reise-Enduros bezeichnet!
VAULI
Weitere Berichte
Fazit: Ducati Multistrada 950 2016
Die Multistrada 950 verbindet geschickt mehrere Ducati-Modelle zu einer bedenständigen Reiseenduro der oberen Mittelklasse. Die Optik übernimmt sie nahezu unverändert von der grossen Multistrada 1200 - was ihr natürlich enormes Prestige verleiht. Der 113 PS starke Motor stammt hingegen von der Hypermotard-Serie und obwohl die kleine Multi ganze 23 Kilo mehr schleppen muss als die näheste vergleichbare Verwandte Hyperstrada 939, kann sie durchaus flott bewegt werden. Dass der Komfort insgesamt sehr gross geschrieben wird, sollte auf einer Reiseenduro eigentlich nicht stören, ausgestattet mit reichhaltiger Elektronik kann sie alles, was ein modernes Touring-Eisen können muss. Wer auf das gewisse Etwas bei Optik und Design steht, wird nur sehr schwer an der Multistrada 950 vorbei kommen.- herlich elegante Optik
- Design der grossen 1200er-Modelle
- kultiviertes Triebwerk
- standfeste Bremsen
- gemütliche Sitzposition
- umfangreiches Elektronik-Paket
- gutes, höhenverstellbares Windschild
- ab 6000 Umdrehungen Vibrationen im Sattel
- Druckpunkt der Bremse nicht sehr transparent
Bericht vom 16.12.2016 | 98’376 Aufrufe